Nach dem 0:1 gegen Werder Bremen schwankt der FC Bayern zwischen Ratlosigkeit und Sarkasmus. Es wird Zeit, dass Mannschaft und Trainer sich gegen die erste titellose Saison seit über zehn Jahren stemmen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es sind drei große Niederlagen, die dem FC Bayern derzeit die Stimmung und vielleicht die ganze Saison verhageln. Es waren nicht die großen Spiele gegen Manchester United, Dortmund oder Leverkusen, sondern Spiele gegen vermeintlich klar unterlegene Teams, die dem FC Bayern in dieser Saison womöglich ein entscheidendes Bein stellen.

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Das peinliche Aus im Pokal gegen Drittligist Saarbrücken. Ein indiskutables 1:5 gegen Frankfurt und nun die erste Niederlage zu Hause gegen Bremen seit 2008. Da war Jamal Musiala noch nicht mal eingeschult. Drei Tiefpunkte - vor allem wegen der Art und Weise - die normalerweise für eine ganze Saison reichen. Und aktuell ist nicht mal Februar.

Kritische Fragen an Tuchel sind berechtigt

Trainer Thomas Tuchel stand nach dem Spiel nicht zum ersten Mal ratlos da und flüchtete sich in Sarkasmus. Er wolle nicht mehr von den zuvor guten Trainingsleistungen sprechen, weil ihm das ohnehin niemand mehr glaube. Er wirkte nicht zum ersten Mal tief enttäuscht von seiner Mannschaft, die 75 Minuten lang nichts oder wenig von dem umgesetzt habe, was er sich vorgestellt hatte.

Es ist logisch, dass jetzt auch verstärkt über Tuchel diskutiert wird. Es ist eben auch nicht so, dass die Mannschaft Woche für Woche Weltklasse-Leistungen abliefert und nur einzelne Aussetzer hat. Die Leistungen sind mal gut, mal sehr gut, mal wechselhaft.

Hinzu kommen die genannten Komplettaussetzer, die auch nicht mit einer Dauerdiskussion über einen zu kleinen oder nicht optimal zusammengestellten Kader zu erklären sind. Man muss mit Kane, Sané, Coman, Musiala gegen Bremen einfach mehr Torgefahr, Tempo, Explosivität auf den Rasen bekommen, als es die Münchner am Sonntag zeigten. Auch das Vertrauen, dass man sich in der Champions League schon automatisch steigern wird, ist erstmal weg.

Die Fragen, ob Tuchel die Mannschaft in seiner ersten vollen Saison als Trainer mit Sommer- und Wintertrainingslager genügend weiterentwickelt hat, sind berechtigt. Wenn man wohlwollend ist, hat Tuchel die Mannschaft stabilisiert. Er hat ihr ein unspektakuläres, aber sehr solides Grundgerüst verpasst, auf dessen Basis der Rekordmeister viele ordentliche und manche sehr gute Spiele gemacht hat.

Taktik-Connaisseure schauen aktuell allerdings woanders hin. Nach Leverkusen. Nach Liverpool. Nach Stuttgart. Oder nach Brighton in der Premier League. Dort geht taktisch die Post ab, mit spannenden neuen Ideen für das Positions- oder Pressingverhalten. Bayern wirkt dagegen aktuell höchstens solide. Das ist ok, passt aber nicht so ganz zum Ruf des auch als Innovator geholten Weltklasse-Trainers Tuchel.

Fehlt ein Plan B in der Offensive?

Konkret wurde das zum Beispiel auch gegen Bremen im Verhalten rund um den gegnerischen Strafraum. Der FC Bayern hat gegen tiefer stehende Gegner meist eine gute Lösung parat, wie es in den Strafraum gehen kann. Nimmt der Gegner diese weg, zum Beispiel durch eine gute Staffelung oder weil die Münchner den Ball zuvor zu behäbig und ohne Tempo nach vorne getragen haben, dann wird es meist dünn. Das war nicht nur gegen Bremen so, sondern auch schon bei Siegen wie kurz vor Weihnachten gegen Wolfsburg.

Der Anspruch, durch gegenläufige Bewegungen auf der ballfernen Seite oder Flügelüberladungen durch zwei Offensivspieler auf einer Seite den Gegner zu überraschen, sind eigentlich nie zu erkennen. Wirklich neu sind nur die Passqualitäten, die ein weiträumig agierender Kane ins Offensivspiel bringt. Solange der FC Bayern gewinnt, ist das nicht schlimm.

Wenn der FC Bayern allerdings durch Auftritte wie gegen mutige und disziplinierte Bremer ins Straucheln kommt, muss Kritik erlaubt sein. Zumal Tuchel zwar oft beklagt, dass die Mannschaft seine Vorstellungen nicht umsetzt, man aber doch ganz gern mal erfahren würde, was genau sich Tuchel anders vorstellt oder warum er nur sehr zaghaft während eines Spiels eingreift.

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Bayern war angeschlagen oft am gefährlichsten

Es wäre jedoch auch zu einfach, nur auf den Trainer zu zeigen. Natürlich steht die Mannschaft auf dem Platz und in der Verantwortung. Thomas Müller sprach nach dem Spiel gegen Bremen von fehlendem Feuer. Was er meinte, war wohl vor allem die Bereitschaft, mit aller Konsequenz immer wieder anzulaufen und den Gegner aus der Komfortzone zu zwingen. Das klappte erst nach der Hereinnahme von Tel und der Umstellung auf Dreierkette spät im Spiel. Zu spät, um das Spiel noch zu drehen.

Nach der Bremen-Pleite stellen die ersten Journalisten die Mentalitätsfrage beim FC Bayern. Eigentlich eine Majestätsbeleidigung für ein Team, das sich in den Vorjahren regelmäßig aus schwierigen Spielverläufen und Tabellensituationen wieder herauskämpfte und so am Ende immer mindestens einen Titel holte.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kritik dieser Tage etwas auslöst im insgesamt nach wie vor verhältnismäßig ruhigen Kader, in dem aktuell auffällig viele Spieler mit sich hadern. Eine Trotzreaktion. Angeschlagen und herausgefordert war der Rekordmeister schließlich schon oft am stärksten.

Für die nächsten Wochen gilt: Wutmodus an, bitte. Ansonsten heißt der Meister Bayer Leverkusen und Xabi Alonso. Und dann geht die Diskussion um Tuchel und wichtige Eckpfeiler seiner Mannschaft erst richtig los.

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