Jörg Neblung ist seit fast 20 Jahren als Spielerberater tätig. Früher vertrat er unter anderem die Nationaltorhüter Timo Hildebrand und Robert Enke, heute zum Beispiel Torhüter Stefan Ortega von Zweitliga-Spitzenreiter Arminia Bielefeld. In unserem Interview spricht Neblung über die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie, einen möglichen Saisonabbruch, eine Gehaltsobergrenze und eine mögliche komplette Absage der EM 2021.
Herr Neblung, was macht ein Spielerberater momentan? Gehaltsverzichte aushandeln?
Jörg Neblung: Nein, das ist nicht meine Aufgabe. Entscheidungen über Gehaltsverzichte werden einheitlich mit allen Spielern innerhalb der jeweiligen Vereine geklärt. Wir Spielerberater prüfen die schriftlichen Grundlagen. Es gab bereits Forderungen von Vereinen, dass Spieler bis in den Juli hinein auf einen Teil ihrer Gehälter verzichten sollen. Davon rate ich ab. Wir sollten von Monat zu Monat schauen, wann der Spielbetrieb wieder läuft und wann die TV-Einnahmen wieder fließen.
Die Spieler des FC Barcelona verzichten auf bis zu 70 Prozent ihres Gehalts, die Spieler des FC Bayern München auf 20 Prozent. In welcher Größenordnung empfinden Sie einen Gehaltsverzicht als angemessen?
Die Frage kann ich nicht pauschal beantworten. In der Regionalliga gibt es Spieler mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.500 Euro. Da wäre selbst ein kleiner Gehaltsverzicht schwierig.
Verzichtet hingegen ein Bundesligaprofi auf die Hälfte seines Gehalts, geht es ihm noch immer gut. Dennoch würde er sehr viel Geld abschreiben.
Lesen Sie auch: Alle Entwicklungen rund um die Sportwelt in Zeiten des Coronavirus in unserem Live-Blog.
Was geschieht, wenn in sechs Monaten selbst ohne Zuschauer noch immer kein Fußball gespielt werden kann?
Über dieses Szenario denke ich nicht nach, weil ich mir sicher bin, dass wir bis dahin eine Lösung finden werden – ob nun mit Corona-Schnelltests oder der Abschottung von der Außenwelt.
Die Frage ist eher, ob wir die laufende Saison noch zum Abschluss bringen. Meine Meinung: Wenn wir bis Mai nicht wieder einen Spielbetrieb haben, natürlich ohne Zuschauer, können wir die Saison tendenziell nicht zu Ende spielen. Das müsste nämlich bis Ende Juni geschehen, weil dann viele Spielerverträge enden.
Einige Stimmen behaupten, man könne die Vertragsverhältnisse um ein paar Wochen ausdehnen.
Dieser Anpassung müsste jeder einzelne Spieler zustimmen. Ich gehe davon aus, dass einige das nicht tun werden. Ein Beispiel: Wenn ein Spieler einen Vertrag bei einem großen deutschen Verein unterschrieben hat und sein Gehalt verzehnfacht, wird er kaum dazu bereit sein, über den 30. Juni hinaus für seinen alten Verein zu spielen und dementsprechend weniger Gehalt zu bekommen.
Das heißt, es droht ein Saisonabbruch. Was geschieht dann mit der Auf- und Abstiegsregelung?
Ich wäre für eine Aufstockung der Liga. Wir könnten zwei, drei oder sogar vier Vereine mehr in der Bundesliga haben. Dadurch hätten wir kommende Saison mehr Spiele, würden mehr Einnahmen generieren und könnten die Verluste aus der aktuellen Spielzeit ausgleichen.
Selbst wenn die Saison bis zum 30. Juni beendet werden kann, wäre die Sommerpause kurz. Möglicherweise muss sogar die Winterpause wegfallen, um im Falle eines späteren Saisonstarts die Spielzeit 2020/2021 rechtzeitig vor der Europameisterschaft zu beenden. Befürchten Sie eine zu hohe Belastung für die Spieler?
Das beste Szenario wäre meiner Meinung nach eine komplette Absage der EM 2021. Auf dieses Turnier können wir alle gut verzichten. Dadurch wäre es möglich, die kommende Saison trotz eines späteren Saisonstarts gut zu Ende zu bringen und die Spieler keinem allzu großen Verletzungsrisiko auszusetzen. Das wäre nämlich die Folge, wenn der straffe Zeitplan keine Regeneration mehr zulässt – gerade wenn wir die Ligen aufstocken würden und dadurch mehr Spiele hätten.
Ist es realistisch, dass die UEFA die EM komplett abbläst?
Die UEFA wird dazu sicherlich nicht bereit sein. Es könnte aber sein, dass die Bereitschaft durch die Öffentlichkeit erzwungen wird. Wenn alle Beteiligten - also Manager, Sportdirektoren, Trainer und Spieler - sagen, die EM passt nicht hinein, wird die UEFA sich dem beugen müssen.
Ich denke, man könnte die EM sehr gut absagen, weil sie ohnehin auf mehrere Länder aufgeteilt wird. Dadurch gäbe es nicht dieses eine Land, das davon besonders betroffen wäre. Es war ökonomisch noch nie so leicht, eine EM komplett in den Wind zu schreiben.
Wie werden sich die Ablösesummen und die Spielergehälter durch die Coronakrise insgesamt verändern?
Noch lässt sich das schwer voraussagen. Sicherlich werden Gehälter und Ablösesummen in der kommenden Transferperiode sinken. Es wird aber auch in dieser Situation Gewinner geben. Damit meine ich die internationalen Top-Spieler, die einen auslaufenden Vertrag haben.
Inwiefern?
Weil die Ablösesummen sinken, werden die Vereine zu ihren Top-Spielern sagen: 'Es lohnt sich nicht, dich für diese Summe ziehen zu lassen. Wir behalten dich lieber noch ein Jahr hier und lassen dich dann gehen, zur Not auch ablösefrei.' Die Spieler können also später bei ihrem neuen Verein einen guten Vertrag abschließen, weil dieser keine Ablöse für sie bezahlen muss.
Ein weiteres Thema, das zuletzt durch Martin Kind, dem Vorstandsvorsitzenden von Hannover 96, ins Spiel gebracht wurde, ist ein Salary Cap – also eine Gehaltsobergrenze wie im US-Sport, sodass keine Vereine bevorteilt sind und mehr Ausgeglichenheit herrscht. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Auch wenn ich hier keinen Zusammenhang zur Coronakrise erkenne, empfinde ich das Thema als diskussionswürdig. Der Salary Cap lässt sich nicht Eins-zu-Eins aus den USA übernehmen, weil das ganze System ein anderes ist. In den USA sind die Spieler nicht bei den Vereinen angestellt, sondern bei der Liga.
Ich könnte mir aber in Europa vorstellen, dass es je nach Umsatz des jeweiligen Vereins eine Gehaltsdeckelung gibt. Das würde für mehr Ausgeglichenheit sorgen. Allerdings glaube ich nicht, dass die Top-Vereine diese Regelung befürworten, weil sie im Bieten um die Top-Spieler gegen die anderen europäischen Topklubs noch schlechtere Karten hätten.
Zum Abschluss noch eine andere Frage, die sich vermutlich viele Fußball-Fans stellen: Wie wird man eigentlich Spielerberater?
In diesem Beruf gibt es keine Zugangsvoraussetzungen oder notwendige Qualifikationen. Man braucht lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis und muss 500 Euro an den DFB überweisen, um registriert zu werden.
So gesehen könnte jeder als Spielerberater arbeiten. Viele, die das versuchen, geben allerdings schnell wieder auf. Das ist ein Knochenjob, bei dem man sieben Tage die Woche rund um die Uhr erreichbar ist.
Ein guter Spielerberater sollte Erfahrung im Fußball oder der Vereinsarbeit mitbringen, muss kommunikativ und vertriebsstark sein, hat Grundkenntnisse im Bereich Vertragsrecht und muss netzwerken können. Ein Kicker- und Sky-Abo alleine reicht da nicht.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.