Uli Hoeneß springt Clemens Tönnies zur Seite. Das war erwartbar, pflegen die beiden Silberrücken des deutschen Fußballs doch eine jahrelange Freundschaft. Ganz so innig ist diese aber gar nicht: Die Rollenverteilung war immer eindeutig geklärt.
Also sprach
Irgendwann kam die Rede dann auf Corona und Clemens Tönnies, das Geschäft mit dem Fleisch und wie das alles so schief laufen konnte. Hoeneß war auf diese Frage vorbereitet und schaltete schnell in eine Art Abteilung Attacke light um. Nicht aggressiv, aber sehr bestimmt und unmissverständlich teilte er seine Sicht der Dinge mit. "Ich muss ehrlich sagen: Wenn Fehler gemacht wurden, muss man dazu stehen. Das tut er ja. Wenn Dinge zu ändern sind, dann muss man das auch tun. Ich gehe davon aus, dass er das tut, wenn es notwendig ist", sagte Hoeneß in einer Mischung aus Verteidigung und Rechtfertigung im Namen seines Freundes
Die "Steuersache"...
Er könne sich ganz gut in Tönnies‘ Lage derzeit versetzen, immerhin war Hoeneß oft genug selbst so sehr in den Fokus öffentlicher Kritik geraten. "Teilweise erinnert es mich an die Zeit mit meiner Steuersache", sagte Hoeneß weiter. Mit der "Steuersache" war die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 28,5 Millionen Euro gemeint, für die Hoeneß zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde.
Darüber ging der ehemalige Bayern-Boss aber nonchalant hinweg und setzte stattdessen zu einer Generalkritik am Umgang mit den Erfolgreichen des Landes an. "Dass man dann alles, was er so geleistet hat, was er für eine große Firma aufgebaut hat, jetzt plötzlich in Schutt und Asche redet, das kann es nicht sein. Das ist aber ein Zeichen unserer Gesellschaft. Wenn du dran bist, dann gibt es kein Halten mehr. Und das erlebt er jetzt gerade am eigenen Leib."
Es war der merkwürdige Teil eines ansonsten ganz amüsanten Auftritts Hoeneß‘, wirklich verwundern darf die Rückendeckung des einen Silberrücken für den anderen Silberrücken aber nicht. Hoeneß und Tönnies sind, oder besser: waren, in der Bundesliga zwar Kontrahenten - im Geiste sind sich beide aber ziemlich ähnlich. Das liegt nicht nur daran, dass sich beide in den selben Metiers tummelten. Hoeneß ist der Sohn eines Metzgers aus Ulm, er lernte schon früh die Arbeit in der Wurstküche und was es bedeutet, nachts um 3 Uhr aufzustehen und die Ware vorzubereiten für den Verkauf. Wenig überraschend gründet Hoeneß nach seiner Zeit als Profi in Nürnberg Ende der 70er Jahre zusammen mit seinem Freund Werner Weiß die Wurstfabrik "HoWe".
Firmen an die Spitze geführt
Rund drei Jahrzehnte lang war Hoeneß als einer von zwei Geschäftsführern verantwortlich für den Betrieb, ehe er seinem Sohn Florian die Geschicke übergab. Auf rund 8.000 Quadratmetern Produktionsfläche stellen mittlerweile bis zu 300 Mitarbeiter Wurstwaren her, unter anderem gehen pro Tag an die vier Millionen Nürnberger Rostbratwürstchen in den Versand. "HoWe" in Nürnberg ist ein Familienbetrieb geblieben, der sich in Deutschland und Europa einen Namen gemacht hat und zu den Marktführer in seinem Segment zählt. Ganz ähnlich verläuft die Geschichte von Tönnies, der ebenfalls einen Familienbetrieb übernahm und zu einem Milliardenunternehmen aufbaute.
Um Tönnies ranken sich ein paar hartnäckige Gerüchte, bei der Firmenübernahme sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Deshalb schwelt seit Jahren schon ein Rechtsstreit mit seinem Neffen Robert. Es geht um die Macht in einem der größten Fleischkonzerne Europas: Die Tönnies Holding macht einen Umsatz von etwas über sechs Milliarden Euro pro Jahr, rund 9.000 Mitarbeiter zerlegen am Tag an die 30.000 Schweine. Das sind, wie bei Hoeneß, die Zahlen des Großkapitals.
Nicht ganz auf Augenhöhe
Beide, Hoeneß wie Tönnies, haben ihre Firmen groß gemacht. Beide sind oder waren die bestimmenden Figuren in ihren Fußballklubs: Allesentscheider, egal in welcher offiziellen Position. Bei den Bayern und auf Schalke ging oder geht nichts ohne die Zustimmung der Alphatiere. Man ist sich nahe, auch wenn beide in gewisser Weise immer Konkurrenten waren. Deshalb pflegen Hoeneß und Tönnies auch seit langer Zeit eine freundschaftliche Beziehung. Die beiden Herren vom alten Schlag, wo Dinge einfach auch mal gemacht und nicht lange geredet wurde.
Das ist die gemeinsame Basis, mit der Hoeneß und Tönnies seit Jahren vermeintlich auf Augenhöhe agieren. Der eine ist mit seinem Klub zwar über die Maßen erfolgreicher als der andere, in der Sache gab es auch mal Dissonanzen oder sogar Streit. Am Ende aber blieben das immer nur Randaspekte einer vordergründigen Männerfreundschaft. Vielmehr waren Hoeneß und Tönnies gern gesehene Gäste bei Veranstaltungen oder Diskussionsrunden. Echte Macher, die auch mal einen kernigen Spruch raushauen ohne dafür gleich an die Wand genagelt zu werden. So sind sie halt.
Und doch war da immer auch eine gewisse Distanz, besonders gut zu erahnen auf dem Sportbusiness-Event SpoBis im Jahr 2018. Hoeneß und Tönnies waren damals zu einer Podiumsdiskussion geladen. Hoeneß gab sich als großer Zampano, er ließ Tönnies trotz aller Versuche nicht wirklich an sich ran. Der probierte es schlagfertig und auf die Kumpel-Tour, aber Hoeneß ließ eindeutig durchblicken, wer hier der Chef im Ring ist und wem nur die Nebenrolle zusteht. So wie das eben auch immer mit ihren Klubs war: Die Bayern ganz vorne, Schalke irgendwo dahinter.
Immenser Druck auf Tönnies
Seit letzten Sommer hat sich der Wind für Tönnies nun ganz gehörig gedreht. Tönnies stand damals schon wegen seiner rassistischen Äußerungen beim Tag des Handwerks in Paderborn unter Beschuss, der faule Beschluss des Schalker Ehrenrats sorgte für noch heftigere Kritik. Seine Nähe zur "Bild"-Zeitung war nun plötzlich ein Thema. Der Anstieg der Corona-Fallzahlen an Tönnies‘ Hauptwerk in Rheda-Wiedenbrück rückt nun auch dessen Firma und Geschäftsgebaren in den Vordergrund. Die Produktion steht still, der Imageschaden ist jetzt schon enorm. Am Wochenende protestierten an die tausend Schalker Fans gegen Tönnies, der Druck wächst gefühlt mit jedem Tag noch mehr.
Die kolportierte Bürgschaft der nordrhein-westfälischen Landesregierung über einen 30-Millionen-Euro-Notkredit für den FC Schalke 04 passt da gut ins Bild: Mit Tönnies an der Spitze verschlimmert sich Schalkes Lage immer nur noch weiter. Auch das unterscheidet die beiden Granden: Hoeneß hat den Absprung auch zu spät, aber immer noch rechtzeitig geschafft. Niemand hat ihn aus dem Amt geputscht, er hat den Klub erhobenen Hauptes verlassen und das Feld sauber für seine Nachfolger bestellt. Tönnies fliegt momentan alles förmlich um die Ohren. Die Rückendeckung vom Tegernsee dürfte dagegen auch nicht ausreichen.
Verwendete Quellen:
- BR: Hoeneß verteidigt Tönnies: "Erinnert mich an meine Steuersache"
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