Keine WM-Medaille und noch viel schlimmer: Olympia findet im Frauen-Fußball ohne Deutschland statt. Die DFB-Elf hat bei der WM in Frankreich eine herbe Enttäuschung gegen Schweden hinnehmen müssen. Das junge Team um Bundestrainerin Voss-Tecklenburg muss sich nun neue Ziele setzen - die Bundestrainerin im Interview.
Die deutschen Fußball-Frauen verpassen das Halbfinale der WM und sind auch im nächsten Jahr nicht bei Olympia dabei - ein Rückschlag im Entwicklungsprozess für das junge Team. Trotz der Enttäuschung blickt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg schon wieder positiv nach vorn. Fragen an die Bundestrainerin nach dem bitteren Aus im Viertelfinale.
Was bedeutet das Aus im Viertelfinale und insbesondere das Verpassen der Olympischen Spiele in Tokio 2020?
Martina Voss-Tecklenburg: Es ist relativ schwierig, das jetzt schon abzuschätzen. Uns hätte das Olympia-Turnier gut getan in dem Prozess, in dem wir sind. Jedes Turnier hilft den Spielerinnen, Erfahrungen zu sammeln. Dass wir das nicht geschafft haben, weil man das Halbfinale erreichen musste, das ist eben so. Das ist der Modus der WM. Man muss sich für die Olympischen Spiele qualifizieren auf eine harte Tour. Wir haben es nicht geschafft, weil Europa so dicht beieinander ist. Wir wussten, dass es schwer wird, nachdem so viele europäische Team ins Viertelfinale eingezogen waren.
Wie groß ist der Rückschlag für den deutschen Frauenfußball?
Es darf für uns kein Rückschlag sein. Wir müssen uns neue Ziele setzen. Wir müssen diesen Prozess jetzt weitergehen. Vor allem müssen wir aus dieser Niederlage wachsen und Stärke gewinnen. Die Erfahrungen, die wir auf eine positive Art, aber heute auch auf eine negative Art gemacht haben, müssen uns helfen, als Fußballerinnen, als Team zu wachsen und nach vorne zu schauen. Das nächste Ziel ist die Europameisterschaft. Wir werden die EM-Qualifikation angehen und versuchen, sie bestmöglich zu gestalten.
Sie haben gesagt, dass Deutschland nie weg war aus der Weltspitze. Inwieweit würden Sie diese Aussage jetzt wieder treffen?
Genau so. Wie groß ist die Weltspitze? Das ist eine Frage der Definition. Das Spiel haben wir nicht 0:5 verloren, sondern 1:2. Es war sehr eng, ein Spiel auf Augenhöhe. Es hat auch ein bisschen Spielglück gefehlt. Wir haben das Spiel sehr gut angefangen. Was sicher ein bisschen fehlt, ist diese Konstanz, auch mit Rückschlägen weiter mutig und positiv zu sein. Wir haben das jetzt zum ersten Mal erlebt, vorher hatten wir die Situation noch nicht. Jetzt muss man sauber analysieren, wie sind wir damit umgegangen? Wir hatten noch die Möglichkeit zum Ausgleich. Am Ende haben wir das Tor nicht gemacht.
Fehlt der jungen Mannschaft insgesamt noch etwas Erfahrung, um mit solchen Rückschlägen in Drucksituationen fertig zu werden?
Ich glaube schon, dass wir in einigen Situationen gesehen haben, dass auf der anderen Seite ein Gegner stand, der ein bisschen robuster, cleverer und auch cooler war. Wir haben aber auch viele positive Dinge gesehen. Giulia Gwinn hat alles reingeworfen, ein gutes Turnier gespielt. Wir haben als Trainerteam ein paar Dinge gesehen. Da müssen wir schauen, wie wir einige Positionen besetzen. Man muss auch sehen, wie sich das Gesicht der Mannschaft vielleicht verändert. Wir haben schon ein, zwei ältere Spielerinnen. Insgesamt erwarte ich, dass wir diese Niederlage verarbeiten, dass wir die nächsten Schritte einleiten, dass wir wieder aufstehen, dass wir daran wachsen und uns neue Ziele setzten. Ohne Ziele braucht man nicht auf den Fußballplatz zu gehen.
Nach dem EM-Aus 2017 gab es Grundsatzdiskussionen, auch 2018 nach dem WM-Aus der Männer. Müssen Vereine und DFB noch mehr tun?
Ich denke, dass wir den seit einem Jahr eingeschlagenen Weg konsequent verfolgen und weitergehen müssen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Wir sind in der Kommunikation mit allen Beteiligten im DFB und im Austausch mit allen Vereinen. Wir gehen kritisch mit den Dingen um. Wir müssen schauen, wie sich unsere potenziellen Nationalspielerinnen entwickeln, wie sie sich vereinsmäßig entscheiden. Ich bin nicht bange, wir haben wirklich Talente. Wir werden wieder aufstehen. Weil wir jetzt ein Spiel verloren haben, stellen wir sicherlich nicht alles in Frage.
Es sind jetzt zwei Jahre bis zum nächsten Turnier ohne ganz große Pflichtspiele. Ist es auch die Chance, die ganz jungen Spielerinnen zu formen?
Ja, das ist jetzt unsere Aufgabe. Wir wissen, dass wir in der EM-Qualifikation auch Gegner haben, gegen die wir gewinnen müssen und werden. Wir wollen formen, wir können formen. Wir wollen diesen Veränderungsprozess konsequent weiterführen. Wir haben viele junge Spielerinnen reingeworfen. Sie haben es mehrheitlich gut gemacht. Wir stellen uns nun neuen Aufgaben. Wir werden schauen, was in der U19 ist. Wir werden diesen Weg bis zur EM in zwei Jahren weitergehen. Und dann kommen schon wieder neue Ziele.
Was haben Sie ihrem Team direkt nach dem Schlusspfiff gesagt?
Ich habe der Mannschaft klar gesagt: Wir stehen zusammen, wir sind auch in der Niederlage ein Team. Das zeichnet uns aus. Heute sind alle total enttäuscht. Und die Enttäuschung wird auch noch ein paar Tage anhalten, die tut auch weh. Aber ich kann meiner Mannschaft keinen Vorwurf machen, was die Bereitschaft angeht, was den Versuch der Umsetzung des Willens angeht, bis zum Schluss alles zu probieren. Wir haben das leidenschaftlich probiert.
Wie sehr schmerzt es, dass die neu entfachte Euphorie eine Vollbremsung erfährt?
Es ist für mich keine Vollbremsung. Wir lassen uns nicht beirren. Das ist jetzt eine Niederlage, die müssen wir als Team einstecken und verarbeiten. Das gehört zum Sportlerleben dazu. Ich erwarte und vertraue, dass wir daran alle zusammen wachsen. Es braucht sicher eine kritische und sachliche Auseinandersetzung. Diese Mannschaft hat Potenzial und eine Zukunft. Ich hoffe, sie bekommt auch von außen die Unterstützung, die sie verdient hat. (mgb/dpa)
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