Am 17. September startet die Champions League in eine neue Saison - mit einem ganz neuen Format. Wir haben mit dem Dazn-Experten Sebastian Kneißl über die Ligaphase, die Auswirkungen, Belastungen und die Aussichten der deutschen Teams gesprochen.

Ein Interview

Sebastian Kneißl, die neue Champions League steht in den Startlöchern. Was gefällt Ihnen besonders an dem neuen Modus?

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Sebastian Kneißl: Es hat ehrlich gesagt echt ein wenig gedauert, bis ich verstanden habe, wie das ganze System funktioniert (lacht). Doch ich finde, es ist der modernen Zeit angemessen. Mit jedem einzelnen Push von Cristiano Ronaldo bei der Auslosung gab es bei mir mehr und mehr Vorfreude. Acht Spiele für jede Mannschaft im Ligasystem gegen ganz unterschiedliche Gegner - das ist wirklich sehr cool. Die Bandbreite der Kontrahenten ist wirklich super und ein großer Pluspunkt des neuen Modus.

Und was halten Sie für überflüssig bzw schwierig?

Ich schaue mit anderthalb lachenden und mit einem halben weinenden Auge auf die Spiele. Denn ich verstehe jeden Spieler, der auf das Thema Belastungssteuerung hinweist und anregt, das mal zu überdenken. Der oft herangezogene Vergleich zu Handball, Basketball oder Eishockey hinkt aber ein wenig, denn die spielen auch oft, können im Spiel aber immer wieder runter, immer wieder eine Pause machen. Deshalb müssten zukünftig Dinge angepasst werden, zum Beispiel sollte es mehr Wechsel geben. Denn langfristig wird die Qualität unter der Belastung leiden. Aber: Ist es schön für die Fans, noch mehr Spiele zu sehen? Ja klar. Ich finde, der Modus gibt dir tatsächlich noch mehr Möglichkeiten, diesen Wettbewerb noch mehr zu genießen.

Welche Faktoren wären das?

Dass du zum Beispiel als vermeintlich kleinere Mannschaft nicht nur zweimal gegen Manchester City oder gegen die Bayern spielst, und zwei Niederlagen einplanst, sondern auch gegen Teams aus Topf 3 oder Topf 4 spielst, gegen die du mehr Punkte sammeln und dann sogar in die Playoffs kommen kannst. Selbst die vermeintlich kleineren Klubs profitieren von dem Modus.

Kritik, dass zu sehr an der Finanzschraube gedreht wird, gibt es aber immer. Wann ist der Punkt erreicht, an dem es zu viel wird?

Ist es jetzt langsam genug? Ich finde nicht. Ganz wichtig: Der Wettbewerb muss ständig angepasst werden, sodass es dem Sport dient. Ist die Champions League dafür in der Theorie ausgelegt? Ich denke ja. Jetzt müssen wir das Ganze aber einmal durchspielen und danach in den Austausch mit den Vereinen gehen, um zu schauen, was benötigt wird.

Warum hört eigentlich keiner auf die Spieler in Sachen Belastung?

Da findet schon ein Austausch zwischen Vereinen und Verbänden statt. Das 'Problem' ist, dass es eine starke Nachfrage gibt, die man bedienen möchte. Und in Deutschland ist die Auslandsvermarktung ein großes Thema. Das bedeutet: Wir müssen offen sein, um andere Märkte zu erschließen, wir können nicht immer Samstag, 15.30 Uhr machen. Profiklubs sind knallharte Business-Organisationen. Da geht es darum, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Durch Transfers, mehr Einnahmen, besseres Personal, damit man sich eine bessere Infrastruktur aufbauen kann. Die Spieler sind dabei Mittel zum Zweck. Und jetzt geht es darum, dass sie gehört werden. Sie müssen aber auch offen dafür sein, dass sie vielleicht nicht mehr vier Tage zur Regeneration bekommen, sondern nur drei. Heißt: Beide Seiten müssen aufeinander zugehen und sich in der Mitte treffen.

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Welche Möglichkeiten gäbe es denn, um effektiv gegenzusteuern?

Ich finde die Variante ganz charmant, dass man zum Beispiel sagt, dass man 16 Spieler einsetzen kann, und die kann man immer wieder ein- und auswechseln. Wenn der Topstürmer im roten Bereich ist, nimmst du ihn raus und kannst ihn für die letzten zehn Minuten nochmal bringen. Das ist dann ein bisschen wie in der Formel 1 und der Strategie, zwei oder drei Boxenstopps zu machen. Keiner weiß, wie der andere plant. Das kann dem Spiel eine ganz neue taktische Note geben.

"Das Format wird zu 100 Prozent so angenommen"

Sebastian Kneißl über den neuen Champions-League-Modus.

Glauben Sie, dass der neue Modus tatsächlich erfolgreicher wird als der alte?

Ja, auf jeden Fall. Das Format wird zu 100 Prozent so angenommen. Die Stadien werden zum Großteil voll sein, die Einschaltquote wird stimmen. Der neue Modus ist gerechtfertigt, der Grundstein ist gelegt. Jetzt gilt es, Schritt für Schritt an weiteren Stellschrauben zu drehen. Es ist wie immer, wenn du etwas veränderst: Dann gibt es Menschen, die generell offen sind. Und es gibt Menschen, die skeptisch sind. Es klingt zunächst einmal komplizierter. Aber ich glaube, dass es eine Veränderung zum Positiven ist, weil es einfach aufregender wird.

Schauen wir mal auf die deutschen Vereine: Der VfB Stutgart tritt unter anderem gegen Real, PSG und Juve an. Ist das Comeback schnell beendet?

Nein, die Top acht sind es zwar nicht, aber die Playoffs sind drin. Ich finde das Transferfenster des VfB nach wie vor sensationell. Sie haben starke Spieler verloren, aber sie haben meiner Meinung nach echt Qualität nachgeliefert. Das muss sich jetzt finden. Das braucht Zeit. Hast du die Zeit in der Champions League und beim ersten Spieltag bei Real Madrid? Logischerweise nein, trotzdem traue ich ihnen die Playoffs absolut zu.

Wie sehr hilft es, wenn die Erwartungen nicht so riesig sind?

Das ist ein guter Punkt. Komplett auszuscheiden wäre in dem neuen Modus schon bitter, eine echte Enttäuschung. Aber es kann definitiv helfen, es einfach zu genießen und die Playoffs als realistisches Ziel anzuvisieren. So nimmst du Druck von den Spielern.

So schätzt Kneißl die deutschen Teams ein

Leipzig hat auch keine einfachen Gegner, hat es aber regelmäßig in die K.o.-Runde geschafft. Was geht diesmal?

Ich traue RB in dieser Saison brutal viel zu. Zum einen, weil sie es in der letzten Saison schon in vielen Phasen sehr ordentlich gemacht haben. Sie haben Dani Olmo verloren, haben aber gut nachgelegt. Und ich bin wirklich der Meinung, dass RB zu den Mannschaften gehört, die von diesem neuen Modus profitieren werden. RB wird eine Playoff-Platzierung schaffen, aber eine vordere.

Leverkusens Auftritte als Meister werden spannend. Ist das Alonso-Team international dominant oder erstmal unterwürfig unterwegs? Es gab früher ja große Unterschiede zwischen Bayer national und international.

Die große Frage ist: Was ist die Erwartungshaltung? Können wir die vergangene Saison als Messlatte nehmen? Das wäre unfair. Kann ich spielerische Dominanz erwarten? Ja, das muss ich erwarten. Es wird sich anpassen. Es wird national nicht mehr ganz so dominant, wie wir es in der letzten Saison gesehen haben. Aber international werden sie dominanter, werden sie professioneller. In der Bundesliga werden sie aber das eine oder andere Mal nachlässiger sein. Das, was wir jetzt auch schon gesehen haben: Zuordnungsprobleme hinten drin, nicht zielstrebig genug in der Chancenverwertung. Da gab es schon so ein, zwei Prozentpunkte an Nachlässigkeit.

Bayer kommt ins Viertelfinale

Wie weit geht es in der Königsklasse?

Ich traue Bayer zu, dass sie mit ihrer Spielphilosophie das Viertelfinale erreichen. Definitiv. Wir haben mehr Mannschaften, wir haben mehr Spiele, aber wir müssen trotzdem noch vergleichen, wer welchen Fußball spielt. Da setzt sich dann immer noch die Qualität durch. Bayer gehört mit der Dominanz und mit diesem Spiel mit zum erweiterten Kreis der führenden Mannschaften in diesem Wettbewerb.

Der BVB startet als letztjähriger Finalist, hat aber einen Umbruch vollzogen. Ist Dortmund auf einem guten Weg oder wie sehr wackelt das Gebilde noch?

Ich muss immer aufpassen mit Euphorie. Ich bin jemand, der gerne schnell euphorisch ist. Ich habe aber auch gemerkt, dass mir das schon so ein, zwei Mal auf die Füße gefallen ist. Aber wenn ich sehe, wie sie Heidenheim die ersten 15, 20 Minuten an die Wand gespielt haben, was da für eine Dynamik drin war und wie sie jetzt mit Serhou Guirassy jemanden vorne drin haben, der so, so wichtig für diese Spielanlage ist, freue ich mich einfach nur auf die Champions-League-Saison mit der Mannschaft.

Was bedeutet das für die Königsklasse?

Was die Top acht angeht, bin ich ein bisschen pessimistisch. Aber werden sie die Playoff-Runde überstehen? Das ist ganz sicher. Das Heidenheim-Spiel hat gezeigt, was da alles an Potenzial drin steckt, wenn ein klassischer Stürmer vorne steht. Ich hoffe, dass Guirassy gesund bleibt, damit er seine Spiele bekommt. Er wird in der Champions League dann echt viele Treffer erzielen. Ich glaube, die Dortmunder müssen eher aufpassen, dass er nicht bald schon wieder für unfassbar brutal viel Geld weggekauft wird. Weil er einfach so gut eingesetzt werden wird von der Mannschaft. Und er setzt ja auch die anderen ein.

Bayern peilt das Finale dahoam an

Der FC Bayern hat ein klares Ziel: Das nächste Finale dahoam. Für wie realistisch halten Sie das?

Ich halte das ganz klar für realistisch. Nimmt man jetzt die ersten Spiele, würden viele sagen: ‚Kneißl, wie kommst du zu dieser Aussage?‘ Es gibt nach wie vor Baustellen im Spiel der Bayern, aber es gibt auch Dinge, die bereits funktionieren. Diese Saison kann ein Grundstein werden für eine tolle Ära. Es gab im Vorfeld dieses lange Trainerthema, aber ich mag Vincent Kompany als Typen, weil er nah an der Mannschaft dran ist und gleichzeitig sehr viel gelernt hat von Pep Guardiola, der den FC Bayern auch sehr erfolgreich geführt hat. Die Mischung passt. Deshalb ist das Finale dahoam realistisch. Es ist der Leuchtstern, an dem sie sich orientieren können. Da wollen sie hin. Aber bis dahin müssen sie noch kleinere Ziele abarbeiten.

Ist Kompany auch der Mann, der den Laden mit seinen ganzen Nebengeräuschen im Griff behalten kann?

Das ist das einzige Fragezeichen bei mir. Daher hoffe ich, dass Max Eberl ihm zur Seite steht und ihn die ganze Zeit unterstützt. Kompany hat als Trainer noch nicht die Zeit gehabt, solche Situationen zu erleben. Was ihm hilft, sind Ergebnisse. Dann kommt er gar nicht erst in diese Situation.

Wer holt am Ende den Pott? Einer der üblichen Verdächtigen oder gibt es eventuell Überraschungen?

Es bleibt für mich bei den üblichen Verdächtigen. Wir werden da nicht über Atalanta oder Girona sprechen. Ich glaube, dass Atletico oder RB für Überraschungen sorgen können. Das bedeutet dann im Maximalfall Halbfinale. Ich glaube, dass ich sich am Ende trotzdem eines der Top-Teams durchsetzen wird. Ich bin sehr auf Liverpool gespannt, die habe ich in diesem Jahr ganz besonders auf der Rechnung.

Über den Gesprächspartner:

  • Sebastian Kneißl wagte 2000 mit nur 17 Jahren als vielversprechendes Talent (U19-Vize-Europameister) den Sprung von Eintracht Frankfurt zum FC Chelsea, kam dort aber nicht bei den Profis zum Einsatz. Er spielte anschließend unter anderem für Fortuna Düsseldorf und Wacker Burghausen. 2014 beendete Kneißl aufgrund einer Sportinvalidität seine Profikarriere. Seit 2016 ist er unter anderem bei Dazn als Experte tätig.
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