Das blamable Pokal-Aus in Osnabrück lässt beim Hamburger SV mal wieder die Alarmglocken schrillen. Die Pleite ist mehr als ein Ausrutscher - denn dieselben Fehler wiederholen sich einfach immer und immer wieder.
Die beste Schlagzeile lieferte die "Hamburger Morgenpost" - wobei es sich weniger um eine Schlagzeile, denn um eine Art Hilfestellung für deprimierte HSV-Fans handelte.
"Ich möchte nicht drüber reden", stand groß auf Seite Eins der Montagsausgabe, verziert mit der HSV-Raute und dem Subtext: "Für alle HSV-Fans, die nach der Pokal-Schmach ihre Ruhe heute haben wollen - einfach ausschneiden und am Arbeitsplatz aufhängen!"
Der Hamburger SV hat sich mal wieder blamiert. Natürlich kann man im DFB-Pokal an einem ambitionierten Drittligisten scheitern. Das ist schon so ziemlich jedem anderen Klub der Bundesliga auch passiert, am Sonntag übrigens kurz nach den Hamburgern auch dem FC Augsburg.
Die Frage ist dann halt immer das "Wie". Und das sollte allen, die es mit dem HSV halten oder sogar beruflich mit ihm zu tun haben, dann doch ein paar Sorgen bereiten.
In Hamburg ist es mittlerweile gute Sitte, sich über den Nichtabstieg zu freuen wie anderswo über den Einzug ins europäische Geschäft.
So in etwa hat es neulich Mergim Mavraj ausgedrückt, der es toller fand, mit dem HSV nicht in die 2. Liga abgestiegen zu sein als mit seinem Ex-Klub Köln nach 25 Jahren wieder in den UEFA-Cup bzw. die Europa League einzuziehen.
Zahlen des Schreckens
Die Euphorie ist in den späten Mai-Tagen dann immer besonders groß, dann kommt der Juni mit ein paar seichten Transfers, die aber wenigstens eine Stange Geld kosten, im Juli gibt es die Kampfansagen der Spieler und Anfang August dann, spätestens mit dem ersten Bundesligaspiel, kommt die ganz große Ernüchterung. Die Sinuskurve der Emotionen ist mittlerweile so beständig wie die Meisterschaften der Bayern.
Diesmal hielt sich die Mannschaft aber gar nicht erst bis zum Start in der Liga mit der ersten derben Klatsche auf, sondern legte gleich beim 1:3 beim VfL Osnabrück eine derart verheerende Vorstellung hin, dass den Fans fast Angst und Bange werden könnte.
Hamburg, der um fast 20 Millionen Euro aufgepimpte Erstligist, spielte über 70 Minuten in Überzahl gegen den Vorletzten der 3. Liga. Kassierte in der Zeit drei Gegentreffer und erzielte nur dank eines Handelfmeters ein eigenes Tor, als alles längst zu spät war.
Klar war auch ein bisschen Pech dabei in einigen Szenen, manche Abläufe funktionierten auch gar nicht mal so schlecht. Aber viele andere Dinge funktionierten eben gar nicht.
76 Prozent Ballbesitz hatte der HSV, die nahezu nutzlos waren. Die Mannschaft kann immer noch nicht das Spiel selbst machen.
Sie kann zerstören und schnell umschalten. Aber mit dem Ball weiß die Truppe von Markus Gisdol immer noch kaum etwas anzufangen.
Wie unkreativ und drucklos der HSV insgesamt agierte, verdeutlicht wohl am besten eine andere Zahl: Osnabrücks Innenverteidiger Furkan Zorba, der nach dem Platzverweis eingewechselt wurde und 68 Minuten Spielzeit bekam, musste nicht einen einzigen Zweikampf gegen einen Hamburger Angreifer führen.
Als harter Fakt steht das dritte Ausscheiden in den vergangenen sechs Jahren schon in der ersten Pokalrunde. Das kann kaum noch ein Zufall oder Ausrutscher sein. Die Ursachen liegen tiefer.
Missglückte Transferpolitik
In Osnabrück standen im ersten Pflichtspiel der Saison am Ende mehrere Spieler auf dem Platz, die weg sollen oder wollen.
Lewis Holtby ist so ein Kandidat, Nicolai Müller wollte weg, Douglas Santos ebenfalls.
Um Startspieler Aaron Hunt gibt es Debatten, er wurde kurz vor dem Ende von Sven Schipplock ersetzt, dem nicht wenige die Tauglichkeit für die Bundesliga absprechen. Diese Spieler sollten die Blamage abwenden.
Die Einkaufspolitik lässt Fragen offen: Julian Pollersbeck wurde als neuer Torhüter für 3,5 Millionen Euro gekauft. Gespielt hat in Osnabrück aber Christian Mathenia.
Kyriakos Papadopoulos wurde für 6,5 Millionen Euro von Bayer Leverkusen fest verpflichtet. Der Grieche gilt aber als ungeheuer anfällig für Verletzungen, setzt immer mal wieder mit dem Training aus.
Rick van Drongelen ist sicherlich eine Investition in die Zukunft. Aber wer hilft jetzt sofort? Ein 18 Jahre altes Talent aus den Niederlanden ohne jegliche Bundesligaerfahrung?
Dafür wurde mit Michael Gregoritsch einer der wenigen Spieler verkauft, die sowohl spielerische Akzente setzen konnten als auch für so etwas wie einen Neuaufbau bereitgestanden hätten.
Schon wieder Zoff hinter den Kulissen
Sportdirektor Jens Todt hat sich in den vergangenen Wochen recht rar gemacht, der Transfermarkt ist ja noch über zwei Wochen geöffnet und der HSV wird auf alle Fälle noch etwas tun müssen.
Nach den Eindrücken aus den Testspielen und jetzt im Pokal verstärken sich aber die Zweifel, ob Todt auch wirklich das richtige Gespür für Problempositionen und neue Spieler hat - die dem HSV auch tatsächlich weiterhelfen können.
Hinter den Kulissen machen sich ehemalige und aktuelle Entscheider gegenseitig große Vorwürfe. Ex-Boss Carl-Edgar Jarchow schießt gegen den Aufsichtsrat ("Der muss weg!"), Ex-Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff sieht "eine eklatante Misswirtschaft". Der Konter von Geldgeber Klaus-Michael Kühne ließ nicht lange auf sich warten.
Beim HSV brennt es wenige Tage vor dem Start in die Bundesliga schon wieder auf allen Ebenen lichterloh. Derzeit spricht wenig dafür, dass sich dies in naher Zukunft noch ändern könnte.
Die Fans sollten sich auf eine erneut turbulente und anstrengende Saison einstellen. Am Samstag kommt es dann gegen den FC Augsburg wohl schon zum ersten von 34 Abstiegskrachern.
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