Spaniens Nationaltrainer schlägt vor, die Verlängerung bei Europameisterschaften teilweise abzuschaffen. Tatsächlich ist die Idee nicht ganz neu: In Amerika wird sie bereits umgesetzt – und auch auf europäischer Ebene wurde der Vorschlag bereits diskutiert.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wer sich die Spiele der EM 2024 in Deutschland angesehen hat, kommt schnell zu einer Erkenntnis: Die Qualität der Spiele hat im Laufe des Turniers deutlich nachgelassen. Nach teils spektakulären Partien am ersten und zweiten Gruppenspieltag gab es vor allem in der K.o.-Runde weniger ereignisreiche Spiele mit deutlich weniger Toren.

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Die Gründe dafür sind vielfältig – einer von ihnen dürfte jedoch auch die hohe Belastung sein. Der Kalender für die Spieler ist aufgrund der gestiegenen Spielanzahl auf Vereinsebene ohnehin schon mehr als voll. Seit der Aufstockung auf 24 Teams bei der EM 2016 gibt es auch hier mehr Spiele – zuvor nahmen jeweils "nur" 16 Mannschaften an einer Europameisterschafts-Endrunde teil.

"Das würde auch der Show helfen, denn die Spieler wären viel frischer und würden die späteren Runden in einem frischeren Zustand absolvieren."

Spanien-Trainer Luis de la Fuente

Um die Qualität der Spiele anzuheben, hat Spaniens Nationaltrainer Luis de la Fuente nun einen Vorschlag ins Spiel gebracht: Der K.o.-Modus bei Europameisterschaften soll teilweise ohne eine Verlängerung auskommen und im Falle eines Unentschiedens nach der regulären Spielzeit direkt mit dem Elfmeterschießen starten.

Laut de la Fuente könnten zumindest Achtel- und Viertelfinale ohne die klassische Verlängerung (2 x 15 Minuten) abgehalten werden. "Das würde auch der Show helfen, denn die Spieler wären viel frischer und würden die späteren Runden in einem frischeren Zustand absolvieren", erklärte der spanische Coach, der am Dienstagabend im EM-Halbfinale auf Frankreich trifft.

Bei dieser EM ist es bislang relativ häufig zu einer Verlängerung gekommen: Zwei von acht Achtelfinals und sogar drei von vier Viertelfinal-Paarungen gingen in die Verlängerung – insgesamt drei dieser fünf Partien wurden erst im anschließenden Elfmeterschießen entschieden.

In Südamerika wird teilweise schon auf die Verlängerung verzichtet

Eine komplette Fußball-Revolution – zumindest weltweit gesehen – wäre die Abschaffung der Verlängerung aber nicht. Bei der Copa América, quasi dem amerikanischen Pendant der EM, gibt es nur im Finale die klassische Verlängerung. In den Runden zuvor wird darauf verzichtet, dann gibt es direkt Elfmeterschießen.

Brasilien gegen Uruguay bei der Copa América
Das Viertelfinale bei der Copa América zwischen Brasilien und Uruguay ging ins Elfmeterschießen. Eine Verlängerung gab es zuvor nicht. © IMAGO/Newscom World/Christopher Trim

Dies kam bei der aktuell ebenfalls stattfindenden Copa auch schon mehrmals vor: In der ersten K.o.-Runde, dem Viertelfinale, gab es bei vier Spielen insgesamt drei Mal eine Entscheidung nach Elfmeterschießen. Im Gegensatz zu den EM-Spielern haben sich die Akteure hier also einiges an Extra-Minuten in der Verlängerung gespart.

Der südamerikanische Fußballverband ist damit aber noch ein Vorreiter. Denn ein Blick in die Wettbewerbsbestimmungen der anderen Fußballverbände zeigt: Auf den anderen Kontinenten wird noch in jeder K.o.-Runde mit der gewohnten Verlängerung gespielt – sowohl beim Afrika-Cup als auch bei der Asien-Meisterschaft und natürlich der Weltmeisterschaft.

In Südamerika wurde die Regelung hingegen auch schon auf andere Wettbewerbe ausgeweitet. So gilt sie nicht nur bei der Copa América, sondern auch bei der Copa Libertadores, die mit der Champions League in Europa vergleichbar ist. Ausnahme ist auch hier jedoch das Endspiel, wo es im Falle eines Gleichstands eine Verlängerung gibt.

Trainer diskutierten schon 2016 über Abschaffung der Verlängerung

Bereits 2016 wurde auch in Europa über eine mögliche teilweise Abschaffung der Verlängerung in der Champions League diskutiert. Beim Uefa-Elitetrainer-Forum in Nyon sei dieser Vorschlag eingebracht worden, berichtete damals die Nachrichtenagentur Reuters.

"Ich glaube nicht, dass wir die Spieler auf dem Platz erschöpft herumgehen sehen wollen. Wenn nach 90 Minuten abgepfiffen wird, habe ich immer das Gefühl, dass es am Ende zum Elfmeterschießen kommt", wurde Sir Alex Ferguson, damals Trainer-Botschafter der Uefa, zitiert.

Doch nicht alle Trainer, die beim Treffen vor Ort waren, sollen die mögliche Regeländerung für gut befunden haben. Einer der Gründe, die damals angeführt wurden: Kleinere Vereine, die den Fokus aufs Verteidigen legen, könnten durch die Abschaffung der Verlängerung einen Vorteil haben.

Kryptische Antwort der Uefa

Ob die Uefa nach dem Vorstoß von de la Fuente nun erneut über die Idee nachdenken wird, ist unklar. Die kryptische und einen Satz lange Antwort auf eine schriftliche Anfrage unserer Redaktion: "Die Uefa evaluiert ihre Wettbewerbe ständig, um allen Beteiligten die bestmöglichen und attraktivsten Wettbewerbe zu bieten."

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte sich auf Nachfrage noch nicht zur Thematik äußern, man wolle sich zunächst intern damit befassen, wie eine Sprecherin mitteilte.

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