Die Fanprojekte im Fußball sollen Zugang zur Szene haben und auf Augenhöhe mit Fans und Gruppierungen sprechen. Allerdings ist das nur möglich, wenn den Sozialarbeitern aus den Stadionkurven vertraut wird. Deshalb fordern sie ein Zeugnisverweigerungsrecht, um nicht gegenüber der Polizei zu sensiblen Themen aussagen zu müssen.

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Die Arbeit eines Fanprojekts bestehe aus zwei Ebenen, erklärt Ralf Busch, der Leiter vom Fanprojekt Berlin, welches sich um Anhänger von Hertha BSC und BFC Dynamo kümmert. "Zum einen machen wir aufsuchende Arbeit", sagt Busch. So werden die Fans bei Heim- und Auswärtsspielen begleitet, wo Situationen gelegentlich eskalieren und die Fanprojektmitarbeiter Augenzeuge sein können.

Die zweite Ebene, nämlich die vermittelnde Arbeit, spielt etwa im mittlerweile bundesweit bekannten Fall von Karlsruhe eine wichtige Rolle. Dieser geht zurück auf einen großen Einsatz von Pyrotechnik beim Heimspiel des Karlsruher SC gegen St. Pauli im vergangenen November. Eine Karlsruher Ultragruppierung feierte auf diese Weise ihr 20-jähriges Bestehen. Auf der Südtribüne des Wildparkstadions wurden bengalische Fackeln, Rauchtöpfe, Böller und Silvesterraketen gezündet. Elf Personen kamen dabei zu Schaden.

"Da war es so, dass die Ultras, die Täter, und Betroffene im Fanprojekt gesessen haben. Das macht man, um Sensibilisierung zu erreichen, Empathie zu schaffen", sagt Busch. Die Ultragruppierung habe selbst eingesehen, dass der Einsatz zu massiv war. Ungeachtet dessen leitete die Polizei Ermittlungen ein. Bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmte man unter anderem Mobiltelefone. Auf diese Weise erfuhr die Polizei vom Wiedergutmachungsgespräch und vernahm drei Mitarbeiter des Fanprojekts, die teilgenommen hatten.

Karlsruher Fanprojektmitarbeiter verweigerten Aussage

Ähnliches sei anderen Fanprojekten auch schon passiert, aber trotzdem handle es sich laut Busch um einen Präzedenzfall. "Im Fragebogen [Anm.: den die Karlsruher Fanprojektmitarbeiter beantworten sollten] ging es vor allem um Strukturen und nicht um den Vorfall an sich", sagt der Berliner. "Wenn Jugendliche damit rechnen müssen, dass wir Auskunft über ihre Aktivitäten geben, können wir zumachen." Die Vertrauensbasis, die ohnehin an einigen Orten fragil ist, weil Fans ein gewisses Misstrauen nur schwer ablegen, wäre bei Aussagen über interne Strukturen komplett zerstört.

Dazu muss man wissen, dass Fans meist die Räumlichkeiten von Projekten für Aktivitäten nutzen können, zuweilen auch ohne dass ein Mitarbeiter anwesend ist. Zudem tauschen sich Fangruppen gegebenenfalls offen mit den Projekten aus oder lassen sich auf Diskussionen zum Einsatz von Böllern und dergleichen ein. Die drei Karlsruher Mitarbeiter blieben standhaft und verweigerten die Aussage. Allerdings besitzen Sozialarbeiter im Fanbereich wie auch in vielen anderen Bereichen kein Zeugnisverweigerungsrecht. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe entschied sich schlussendlich dafür, keine Beugehaft zu beantragen, um sie zur Zeugenaussage zu bewegen. Ein Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung droht ihnen jedoch.

Forderung nach Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts

Durch den Fall Karlsruhe beziehungsweise das generell fehlende Zeugnisverweigerungsrecht wird die Arbeit der Fanprojekte gefährdet, lautet die Meinung von Seiten der Projekte. Busch verweist zudem auf das "Nationale Konzept Sport und Sicherheit", in dem steht, dass es Teilhabe an der Lebenswelt der Klientel oder Zielgruppe geben soll. Fanprojekte betrieben präventive Arbeit und seien nicht Teil des Sicherheitsapparates, trotzdem könne es nicht im Interesse der Polizei sein, dass niemand mehr Zugang habe, meint Busch und ergänzt: "Es würde mehr kaputt gemacht, als in dem einen Fall erreicht."

Zugleich wird weiterhin die Diskussion um eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts befeuert. "Das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit", mit Mitgliedern wie der BAG Streetwork/Mobile Jugendarbeit, fordert, dass die Mitarbeiter der Sozialen Arbeit in die geschützten Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 der Strafprozessordnung aufgenommen werden. Bereits jetzt eingeschlossen sind beispielsweise Schwangerschaftsberatungen.

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Böllervorfall bringt vielleicht auch Pyrotechnik in Gefahr

Dass Fanprojekte direkt mit Gruppierungen über deren Vorhaben in und außerhalb der Stadien diskutieren und mal Dinge kritisch hinterfragen, könnte sich aktuell bezahlt machen. Denn zuletzt kam es zu Vorfällen mit Böllern etwa beim Bundesligaspiel zwischen dem FC Augsburg und der TSG Hoffenheim, als aus dem Gästebereich Knallkörper geworfen und dreizehn Personen verletzt worden waren. Zwei Männer kamen deshalb in die JVA Gablingen in Untersuchungshaft, einer der beiden ist inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Von Pyrotechnik lassen sich die Fankurven kaum abbringen, denn die sehen gerade Ultragruppierungen als Teil ihrer Kultur. Aber das Abfeuern von Knallkörpern, die oftmals aus dem Ausland stammen, stellt eine ernsthafte gesundheitliche Gefahr dar. Zudem rufen Vorfälle wie kürzlich in Augsburg politische Vertreter auf den Plan. Im Nachgang verurteilte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nicht nur die Tat, sondern sagte außerdem, dass der Einsatz von Böllern und Pyrotechnik im Stadion "brandgefährlich" sei, das habe der Vorfall im Augsburger Stadion eindringlich vor Augen geführt.

Taten Einzelner sind kaum zu verhindern. Trotzdem sollte wohl allgemein noch mehr Sensibilisierung in den Kurven geschaffen werden darüber, welche Gefahr Böller darstellen. "Wir müssen diese Diskussionen [zu Böllern] begleiten", sagt Busch. Aber dafür braucht es eben stets jene so verletzliche Vertrauensbasis.

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