Dass Konrad Koch den Fußball nach Deutschland gebracht hat, ist ein Mythos, der es sogar auf die Kino-Leinwand geschafft hat. Dabei lässt Kochs überliefertes Regelheft schon auf den ersten Seiten erkennen: Er ließ in Braunschweig Rugby spielen und keinen Fußball.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Petra Tabarelli (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Doch wer brachte den Fußball wirklich nach Deutschland?

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Die Briten waren's. Sie kamen als Urlauber oder Händler, mitunter auch als Studierende nach Deutschland und spielten hier ihre heißgeliebten "sports", zu denen auch das heutige Rugby-Spiel und Cricket gehörten. Das war nicht nur in Deutschland so, sondern sowohl in Mittel- wie Westeuropa und Südamerika. In Deutschland kannte man Turnen und Gymnastik, nicht aber diese Teamsportarten, und übernahm daher den englischen Begriff. Sport.

Von den meisten wurden diese "sports" sehr argwöhnisch betrachtet oder gar angefeindet. Karl Planck schrieb 1898 gar von einer "englischen Krankheit" und bezeichnete das Fußballspiel als "Fußlümmelei". Aber es gab auch einige Deutsche, die die Spiele interessant genug fanden, um mitzuspielen oder eigene Teams zu gründen.

Insbesondere in Kurstädten oder in beliebten britischen Reisegebieten Deutschlands gab es vermehrt Sportteams mit englischen oder internationalen Mitgliedern. Doch zunächst hatte Rugby die Nase vorn. Mehr dazu gleich.

Mens sana in corpore sano

Aber es gab auch andere Wege. Ein Beispiel: Alfred Meß wurde 1843 in Neuwied geboren und studierte Theologie. Anschließend reiste er nach England und lernte dort das Prinzip der "muscular christianity" kennen, deren bekanntester Verband sogar der Titel eines Welthits wurde: YMCA, die Young Men’s Christian Association.

"Mens sana in corpore sano" – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper war das Ziel der gläubigen Muskel-Christen. Sie nutzten im England um 1850 die gerade entstehenden Sportarten, um sich körperlich, seelisch und geistig fit zu halten und so ein gottgefälliges, missionarisches Leben zu leben.

Das passte offenbar in die Ideologie des Theologen Meß, über den leider nicht viel bekannt ist. Auf jeden Fall gründete er aber Mitte der 1880er-Jahre eine Schule für die Söhne britischer Händler und Langzeiturlauber im Rheinromantik-Städtchen Bingen am Rhein, die etwa zwanzig Jahre Bestand hatte: Das Victoria College, benannt nach der damaligen britischen Queen.

Es wundert bei Meß’ Vorgeschichte nicht, dass an seiner Schule Sport getrieben wurde. Von 1893 datiert eine Meldung über einen Fußballclub des Victoria College – sie ist gleichzeitig die älteste Quelle für einen Binger Fußballclub.

Was ist nun mit Konrad Koch?

Ganz ähnlich war es auch bei Konrad Koch (*1846), der ebenfalls Theologie studierte und eine Zeit in England verbrachte. Auch er brachte "football" nach Deutschland, aber ließ zunächst Rugby spielen. Wie passt das zusammen?

Nun, als Koch in England weilte, war "football" ein Sammelbegriff für verschiedene Fußball-Spielvarianten, die ein Mix aus Fußball, Rugby und dem späteren American Football waren. So gab es in den FA Rules in der Saison 1866/67 einen Touchdown. Er konnte erzielt werden, wenn der Ball ins Toraus ging, und wurde für die Mannschaft gewertet, die den Ball dort zuerst berührte. Die Anzahl der Touchdowns pro Team war jedoch nur bei Unentschieden von Bedeutung, denn so wurde der Sieger ermittelt.

Oder der Fair Catch: Das Fangen des Balles aus der Luft war in sämtlichen "football"-Regelwerken bis 1871 ein erlaubtes, ja, sogar empfohlenes Handspiel. Denn nur nach einem Fair Catch erhielt man einen ungehinderten, freien Schuss, einen "free kick". Erst 1874 wurde der Freistoß zu einer Bestrafung für ein Foulspiel.

1875 fand das erste Fußballspiel in Lüneburg statt

Diese Beispiele alleine verdeutlichen: Es ist kein Widerspruch, dass Konrad Koch "football" nach Deutschland gebracht und Rugby hat spielen lassen. Auch Rugby wurde damals, in den 1870er-Jahren, als "football" bezeichnet.

Das älteste, heute bekannte Fußballspiel fand nach Forschungen des Archäologen und Fußballhistorikers Hans-Peter Hock in Lüneburg statt. Am 4. September 1875 berichtete die englische Wochenzeitschrift "The Field, The Farm, The Garden – The Country Gentleman’s Newspaper", dass Ende August ein Fußballspiel nach FA Rules an der Schule Johanneum in Lüneburg stattgefunden habe.

Die Protagonisten waren der deutsche Lehrer Wilhelm Karl Philipp Theodor Goerges (1838–1925) und der junge englische Schüler Richard Ernest Newell Twopenny (1857–1915), der zuvor am Marlborough College zur Schule ging und später Fußballkarriere in Australien machte. Das war der wirkliche Anstoß für den Fußball in Deutschland.

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