Neulich habe ich online ein Buch gefunden, das ich in meiner Kindheit verschlungen habe: "Lena hat nur Fußball im Kopf" von Kirsten Boie. Ein Buch über ein Fußball spielendes Mädchen aus dem Jahr 1993, das kann aus heutiger Sicht eigentlich nicht gutgehen. Also habe ich es mir gekauft und es noch mal gelesen, 30 Jahre später.
Der Fußball der Frauen hatte damals noch lange nicht den Stellenwert, wie er ihn heute hat. Es war erst vier Jahre her, dass die Nationalspielerinnen das inzwischen traurig-legendäre Kaffeeservice zum Gewinn des EM-Titels bekommen hatten. Star der DFB-Elf war Stürmerin Heidi Mohr. Und wer sich als junges Mädchen für Fußball interessierte, wurde dafür sehr kritisch beäugt, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann.
Ein Buch aus jenem Jahr über ein fußballverrücktes Mädchen konnte eigentlich nur schiefgehen. Und siehe da: Die Autorin stellt gleich mal klar, dass Lena, neun Jahre alt und der Star der Geschichte, natürlich auch gerne hübsche Kleider trägt – man will schließlich trotz allem noch weibliche Klischees aufrechterhalten.
So wollen die erwachsenen männlichen Protagonisten des Buchs, nämlich Lenas Vater und Lenas Trainer, ihr einreden, dass der Fußball für sie ohnehin schnell langweilig werden würde, schließlich würde sie doch "lieber mit ihren Freundinnen spielen".
Lena (9): "Ich bin gar nicht schwanger!"
Diesem verstaubten Geschlechterdenken entspringt dann auch der größte sexistische Aussetzer des Buches, wenn ein Mitspieler Lena unwidersprochen "Auf Weiber ist kein Verlass" entgegenschleudern kann. Das mündet darin, dass sich die wohlgemerkt Neunjährige auch noch mit "Ich bin gar nicht schwanger!" erklären muss. Herrje.
Wenn Lena dann mal auf dem Fußballplatz steht, was im Buch erschreckend selten der Fall ist, wird sie von den Jungs beim Warmlaufen (!) abgehängt – auch das "Jungs sind sportlicher als Mädchen"-Narrativ will ja irgendwie bedient werden. Als Lena dann in einem Freundschaftsspiel zwei Tore schießt, wird sie direkt zum Torschützenkönig (sic!) ausgerufen. Und dass mit Matthias Sammer,
Noch mehr Klischees werden dadurch vermieden, dass schlicht nur wenige wirkliche Fußballszenen beschrieben werden. Dafür hat die Story, die laut Selbstbeschreibung "In großer Schrift und fürs erste Lesealter" ist, noch andere Grausamkeiten zu bieten: Allen voran Lenas Mutter behandelt das Kind und seine Fußballleidenschaft dermaßen unsensibel und unsympathisch, dass es beim Lesen wehtut – und zwar auch heute noch.
Die Rolle der Mutter ist erschreckend
Denn die Geschichte handelt davon, dass Lena das Fußballspielen verboten bekommt, weil sie nicht gut in Mathe ist. Sie wird von ihrer Mutter beschimpft, bespitzelt und ihre Grenzen werden wiederholt überschritten, wenn ihre Eltern beispielsweise ohne anzuklopfen in ihr Zimmer kommen oder in ihrer Abwesenheit in ihren Notizen herumschnüffeln. Der anklagende Unterton des Buchtitels "Lena hat nur Fußball im Kopf" ist natürlich ebenfalls die Sicht ihrer motzigen Mutter, denn "Lena ist ein Fußballstar" hätte es deutlich besser getroffen.
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Lena entwickelt Strategien, wie sie doch zum Fußball gehen kann, sie verbessert sich in Mathe, sie bringt sich gar in furchtbare Situationen. Ein Kind, das seiner Leidenschaft nachgehen will. Und am Ende von seinen Eltern dafür erst Anerkennung bekommt, als diese ein Bild von ihr als Doppeltorschützin in der Zeitung entdecken. Lena, die so sehr unter ihrer Mutter leidet, muss ihr dafür zum Schluss der Geschichte natürlich auch noch pädagogisch wertvoll in die Arme fallen.
Übrigens hat der Oetinger-Verlag einige Jahre später noch eine Audio-Fassung produziert. Darin ist zwar – warum auch immer - der Name "Thon" gegen "Bierhoff" ausgetauscht. Geschlechterklischees, Sexismus und Adultismus sind aber unverändert geblieben. In dieser Version ist "Lena hat nur Fußball im Kopf" tatsächlich bis heute unter anderem bei einem großen Hörbuch-Anbieter zu finden. Diese Tatsache kann man einfach mal auf sich wirken lassen.
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