- Kopfverletzungen können bleibende Schäden hinterlassen.
- Doch im Fußball wurde die Gefahr heruntergespielt. Bis jetzt.
Wie von einem schweren Box-Hieb getroffen fliegt
Die Szene beim 3:2-Sieg der "Fohlen" über den FC Bayern zum Beginn dieses Jahres beweist, welche Kräfte bei einem Kopftreffer wirken können. TV-Experte und Ex-Nationalspieler
Doch abseits von solch saloppen Sprüchen gibt es für die in der Öffentlichkeit lange Zeit unterschätzte Gefahr von Kopfverletzungen im Fußball inzwischen eine erhöhte Sensibilität. Bei der Klub-WM in Katar darf deshalb erstmals jedes Team in einem internationalen Wettbewerb einen zusätzlichen Spieler bei einer Gehirnerschütterung oder dem Verdacht darauf auswechseln.
Symptome und Häufigkeit von Gehirnerschütterungen im Fußball
"Ein sinnvolles Vorgehen" aus Sicht von Nina Feddermann-Demont, Leiterin des Swiss Concussion Center, Schulthess Klinik in Zürich. "Eine dauerhafte Auswechslung ist die sicherste Lösung für den betroffenen Spieler, weil es sich bei einer Gehirnerschütterung um eine dynamische Verletzung handelt."
Oftmals treten Symptome erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf. "Gerade das macht die Diagnostik am Spielfeldrand so schwierig", sagt Feddermann-Demont.
Insgesamt kommt es Untersuchungen zufolge international in mehr als jedem 20. Spiel zu einer Gehirnerschütterung. "Im Fußball gibt es allerdings deutlich weniger Gehirnerschütterungen als in anderen Kontaktsportarten wie Football, Rugby oder Eishockey", sagt Feddermann-Demont.
DFL prüft weitere Wechselmöglichkeiten
Die Fachärztin für Neurologie nahm an den Beratungen der Regelhüter des International Football Association Board teil, nach denen diese eine Testphase mit der Option für eine oder zwei zusätzliche Auswechslungen beschloss. Die englische Premier League wird vom 6. Februar an, nur zwei Tage nach Start der Klub-WM, testweise zwei weitere Wechselmöglichkeiten für Fälle von möglichen Kopfverletzungen einführen.
Ob es auch zu Tests in den Bundesligen kommen wird, ist noch offen. Bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) wird sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die Kommission Fußball mit Vertretern der Klubs damit beschäftigen.
Im Gegensatz beispielsweise zur englischen Spitzenklasse sind in der Bundesliga wegen der Corona-Pandemie bereits fünf statt der üblichen drei Wechsel erlaubt. Seit der Saison 2019/20 gibt es in den beiden deutschen Topligen zudem ein sogenanntes Baseline-Screening - dabei werden vor der Saison neurologische Tests durchgeführt, um bei akuten Verletzungen die mögliche Abweichung vom gesundheitlichen Normalzustand festzustellen.
Diese Basis hilft, über eine Auswechslung zu entscheiden. Aus Sicht von Ingo Helmich, Neurowissenschaftler von der Sporthochschule Köln, sollte dies durch unabhängige Ärzte geschehen. "Da diese unabhängig vom Team, Trainer, Spielstand entscheiden können, ob ein Spieler nach einer möglichen Gehirnerschütterung genauer untersucht und ausgewechselt werden sollte." Dieses Modell wurde beispielsweise 2013 in der amerikanischen National Football League (NFL) eingeführt.
Neurologin Feddermann-Demont plädiert hingegen dafür, die Ausbildung der Teamärzte für die Untersuchung von Kopftraumata zu verbessern und ihnen die Entscheidung über eine Auswechslung zu überlassen. "Das Problem bei unabhängigen Ärzten ist, dass diese die Vorgeschichte des Spielers und möglicherweise vorbestehende Symptome wie Kopfschmerz nicht kennen", sagt sie.
Dazu komme eine Vielzahl an Sprachen im Fußball. "Die Ausgangslage ist im Fußball anders als beispielsweise in Sportarten wie Rugby oder Football, die im angelsächsischen Bereich populär sind."
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Demenz bei Weltmeistern und Auswirkungen des Köpfens für Kinder
Vor allem in England gibt es eine Debatte über die möglichen Langfrist-Folgen des Fußballs. Vergangenes Jahr machte die Frau von Sir Bobby Charlton öffentlich, dass ihr Mann an Demenz erkrankt ist - als bereits fünfter Weltmeister von 1966.
Eine Studie der Universität Glasgow hatte 2019 ergeben, dass Ex-Profis ein erhöhtes Risiko haben, an Demenz oder Parkinson zu sterben. Auch wenn keine direkte Verbindung der Erkrankungen zum Köpfen erbracht werden konnte, entschieden sich die Verbände Englands, Schottlands und Nordirlands, Kopfbälle im Training von Kindern unter elf Jahren zu verbieten.
Aufgrund der nicht belegten Kausalität warnte Tim Meyer, Arzt des Nationalteams und Chef der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes, dagegen vor einer "Überinterpretation" der Studie und erachtete ein Kopfballverbot für Kinder "nicht für sinnvoll". Expertin Feddermann-Demont verweist auf eine Untersuchung, wonach bei Kindern 82 Prozent der Gehirnerschütterungen durch Kontakt mit einem Spieler beim Zweikampf oder Zusammenstoß zustande kommen.
"In etwa zwei Dritteln der Gehirnerschütterungen wurde der Spieler am Hinterkopf getroffen. Ein Verbot des Kopfballspiels würde daher nicht zwingend die Häufigkeit von Gehirnerschütterungen verringern", sagt Feddermann-Demont. In Deutschland läuft derzeit ein auf drei Jahre angelegtes Projekt zur Erforschung von langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit von Ex-Fußballern.
Eine der aufsehenerregendsten Gehirnerschütterungen erlitt Christoph Kramer im WM-Finale 2014. Noch heute könne er sich nicht mehr an alles rund um seinen Zusammenprall und die anschließende Auswechslung beim Sieg über Argentinien erinnern. "Es wird wahrscheinlich nicht wieder kommen, aber die wichtigsten Szenen habe ich auf der Platte", erinnerte der Gladbacher am Mittwochabend bei "Clubhouse".
Mit einer akuten Gehirnerschütterung fielen in dieser Saison beispielsweise der Schalker Mark Uth und Robin Hack vom 1. FC Nürnberg aus. Matthias Ginter hatte hingegen Glück.
Nach einer Untersuchung durfte der Gladbach-Profi wieder gegen Bayern aufs Spielfeld. Am nächsten Tag veröffentlichte der 27-Jährige ein Bild von sich mit seinem Nachwuchs und schrieb dazu: "Dem Kopf geht's auch wieder gut." (msc/dpa)
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