Zurück zur Normalität? Nicht mit den Weltmeisterinnen. Spaniens neue Nationaltrainerin Montse Tome nominiert für die anstehenden Länderspiele zwar - entgegen deren Wunsch - 15 von ihnen, doch die weigern sich, dem Ruf zu folgen. Und mehr noch: Sie drohen mit drastischen Schritten.

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Spaniens Frauen-Fußball versinkt immer mehr im Chaos, die Posse um die Weltmeisterinnen nimmt fast stündlich groteskere Züge an: Am Montagnachmittag berief die neue Nationaltrainer Montse Tome 15 WM-Heldinnen von Sydney in den Kader für die kommenden Nations-League-Spiele - offenbar ohne erfolgreiche Rücksprache mit diesen. Denn die Nominierten erklärten am Abend, sich weiterhin im Streik zu befinden. Und drohen dem Verband RFEF mit rechtlichen Schritten.

"Wir als Profispielerinnen werden nach allem, was heute geschehen ist, die möglichen rechtlichen Konsequenzen prüfen, die sich aus der Haltung der RFEF ergeben", besagt das Statement, das die Spielerinnen in den sozialen Medien verbreiteten, die Nominierung sei zudem "nicht fristgerecht erfolgt", mögliche Sanktionen durch den Weltverband FIFA könne es im Falle ihres Fernbleibens also nicht geben.

Spaniens Weltmeisterinnen befinden sich weiter im Streik

Die Spielerinnen verwiesen zudem auf ihren Standpunkt vom vergangenen Freitag, als sie - ebenfalls mit einem offenen Brief - ihren Boykott erklärt hatten. "Diese Erklärung behält ihre volle Gültigkeit", hieß es in der Mitteilung der Spielerinnen um die zweimalige Weltfußballerin Alexia Putellas, die wie 14 weitere Weltmeisterinnen zuvor von Tome berufen worden war.

Wen die neue Trainerin nicht berufen hatte: die besonders im Fokus stehende Jenni Hermoso - laut Tome geschah dies angeblich zu ihrem, Hermosos, persönlichen Schutz. Die 33-Jährige war nach dem WM-Finale in Sydney bei der Siegerehrung von dem mittlerweile zurückgetretenen spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales ohne ihre Zustimmung auf den Mund geküsst worden. Der Vorfall löste international eine Welle der Entrüstung aus und erschütterte den spanischen Verband in seinen Grundfesten.

Rubiales ist mittlerweile zurückgetreten, Weltmeister-Trainer Jorge Vilda entlassen worden. Doch die Aufräumarbeiten in der RFEF gingen den Spielerinnen nicht weit genug, sie formulierten ihre strikte Weigerung, unter den derzeitigen Bedingungen weiter für Spanien zu spielen.

Erst am Freitag hatten 21 der 23 Weltmeisterinnen einen offenen Brief an den Verband RFEF unterschrieben und darin mitgeteilt, dass die bisherigen Veränderungen "nicht ausreichend" seien, "um sich sicher und respektiert zu fühlen". Ohne weitere Veränderungen würden sie ihren Boykott nicht beenden, erklärten sie. Dass sie drei Tage später ihre Meinung geändert haben könnten: eigentlich nicht denkbar.

Hermoso: "Wovor soll ich geschützt werden?"

Hermoso selbst meldete sich in der Nacht auf Dienstag in den sozialen Medien zu Wort, drückte ihre uneingeschränkte Solidarität mit ihren Mitspielerinnen aus und ließ auch erneut den Verband auflaufen:

"Lassen Sie mich eins klarstellen: Heute wurde behauptet, dass das Umfeld des Verbands meinen Kolleginnen genug Sicherheit biete, um in die Nationalmannschaft zurückzukehren. In derselben Pressekonferenz wurde jedoch verkündet, dass man mich zu meinem eigenen Schutz nicht nominiert hätte. Wovor soll ich geschützt werden? Und vor wem?"

Man habe wochen-, sogar monatelang nach Schutz gesucht. Dieser sei nie gekommen, schreibt Hermoso in ihrem Statement weiter. Und macht deutlich:

"Die Menschen, die jetzt von uns verlangen, dass wir ihnen vertrauen, sind dieselben, die heute eine Liste mit Spielerinnen vorgelegt haben, die darum gebeten hatten, NICHT nominiert zu werden."

Gab es Gespräche - oder nicht?

Die für Vilda installierte Tome, früher dessen Co-Trainerin, hatte sich zuversichtlich gezeigt, für Ruhe sorgen zu können. Und sorgte für die nächste Groteske. "Ich habe mit ihnen gesprochen", antwortete Tome am Montag auf die Frage, ob sie vor der Nominierung den Dialog mit den betroffenen Spielerinnen gesucht habe. Dies bleibe aber "unter uns", erklärte Tome. Zur Personalie Hermoso sagte sie: "Wir dachten, dass es die beste Art und Weise ist, um sie zu schützen."

Von Gesprächen mit Tome, gar von deren positiven Ergebnis, wollten die Weltmeisterinnen dann aber gar nichts wissen. Aussage steht gegen Aussage. Sollte Tome wider besseren Wissens gehandelt haben, dürfte auch ihr Ansehen irreparabel beschädigt sein.

Wie auch immer, die Zeit drängt: Spanien trifft in der Nations League am Freitag auf Schweden und am Dienstag kommende Woche auf die Schweiz. In der Nations League geht es um die zwei europäischen Startplätze für die Olympischen Sommerspiele 2024, auch Weltmeister Spanien muss sich qualifizieren. Mit welchem Team auch immer. (sid/ska)

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