Er brachte den Fußball nach Deutschland, heißt es. Sogar ein Kinofilm wurde über Konrad Koch und seine Meriten gedreht. In Wahrheit konnte er aber das Fußballspiel nicht leiden, denn es war ihm viel zu wenig kampfbetont.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Petra Tabarelli (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist einer der größten Mythen der deutschen Fußballgeschichte: Ein junger Braunschweiger Lehrer, noch keine dreißig Jahre alt, ließ 1874 am Martino-Katharineum seiner Heimatstadt Schüler mit einem Ball spielen. Das Spiel hatte er während eines Englandaufenthaltes kennengelernt. Sein Engagement führte dazu, dass er als "Vater des deutschen Fußballs" bezeichnet wird, denn er half der Sportart, sich in Deutschland zu etablieren.

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Kochs Regelheft zeigt: Das war kein Fußball

Gott sei Dank ist Koch dünnes Regelheft überliefert, das insgesamt 62 Vorgaben enthält, kaum eine länger als einen Satz. Sie beginnen wie die heutigen Fußballregeln mit einer Reihe von Maßen, bevor dann die "Allgemeine Regeln" daran anschließen. Und hier beginnt dann das kollektive Stirnrunzeln.

Ein Beispiel:

"12. Die Aufgabe jeder Gespielschaft [= Team] ist, den Ball über die Querstange des feindlichen Mals [= Tors] zu stoßen und das eigene Mal zu verteidigen.

13. Der Ball darf nach vorwärts nur mit den Füßen getrieben werden.

14. Der Ball darf nur zurück, d. h. auf das eigene Tor zu geworfen werden, nie nach vorn geworfen noch Händen oder Armen geschlagen oder gestoßen werden.

15. Der Ball darf zum Tragen nur dann aufgenommen werden, wenn er seitwärts von den Stürmern oder hinter denselben ist.

16. Nur derjenige, der den Ball trägt, darf mit den Händen gehalten werden; es darf derselbe auch nur in der Weise gehalten werden, daß er am Weiterlaufen gehindert wird, und nur so lange, als er den Ball festhält."

Dieses Spiel klingt doch viel mehr nach Rugby und nicht nach Fußball, oder? Ja, die Wahrheit ist: Konrad Koch hatte Rugby nach Deutschland gebracht und ließ es an dem Braunschweiger Gymnasium spielen, an dem er unterrichtete.

Football war nicht nur Fußball

Gestützt auf den pädagogischen und theologischen Idealen von Thomas Arnold, versuchte Koch mit football die Schüler körperlich und moralisch zu erziehen. Sein Vorbild Arnold war in den 1830er Jahren Schulleiter der Rugby School in Rugby (Warwickshire, England) und ließ seine Schüler spielerisch mit leicht reglementierten Sportarten sowohl die Gentlemen- als auch seine religiösen Ideale zu lehren. Mens sana in corpore sano. Ein heiler Geist steckt (ausschließlich) in einem heilen und somit frommen Körper. Sport war für Thomas Arnold eine Art Gottesdienst.

Auch Konrad Koch wollte durch dieses Spiel die Jugendlichen am Braunschweiger Martino-Katharineum körperlich fit zu machen, um die Basis für eine athletische Elite zu legen und wählte football als wichtigste Sportart. Ebenso übersetzte er den Namen in Deutsche: Fußball. So weit, so gut, aber wieso hieß Rugby früher football? Das ist leicht erklärt: Die Trennung in Fußball und Rugby entstand erst mit dem Ende der 1870er Jahre. Noch bis in die 1890er Jahre gab es sogar viele verschiedene regionale, ja teils nur institutionsgebundene Regelwerke, die sich mehr oder minder ähnelten und meist eine Mischform aus Fußball und Rugby waren,

Das gilt auch für den Londoner Fußballverband, aus dem die heutige nationale englische FA sich entwickelte. Ihre Regeln sahen noch bis 1871 den Fair Catch vor und kannten kurzzeitig den Touchdown, um unentschiedene Spiele zu entscheiden. Es gab aber sehr wohl schon Unterschiede: Schoss man nun ein Tor, in dem man über oder unter der Latte den Ball ins Toraus brachte? Durfte man den Ball in den Händen halten und mit ihm laufen oder ihn nur mit den Füßen treten oder ihn einmalig direkt aus der Luft fangen ("Fair Catch") und das Spiel mit einem ungehinderten Schuss ("Freistoß") fortführen?

Der Vater des deutschen Rugbys

Konrad Koch war Befürworter des kampfbetonteren Rugbyspiels und sah Fußball nicht als passendes Mittel zur Körperertüchtigung. Doch das Fußballspiel setzte sich mehr und mehr in Deutschland durch, nicht zuletzt dank Walther Bensemann.

Zähneknirschend unterstützte Konrad Koch die Fußballbegeisterung, jedoch nicht vor den 1890er Jahren.

Es ist ziemlich unbegreiflich, wie sich der Mythos Konrad Koch über Jahrzehnte halten konnte und 2011 durch den Kinofilm "Ein ganz großer Traum" reichweitenstark befeuert wurde, obwohl doch so viele Beweise und Indizien dagegensprechen. Da ist das Regelwerk, dass unmissverständlich wesentlich dem Rugbyspiel ähnelt – wenig verwunderlich, da doch sein Vorbild Schulleiter in Rugby war und das Spiel dort initiierte. Zudem die Tatsache, dass zu Kochs Zeiten football ein Sammelbegriff für verschiedene Spielarten war und aus dem erst Fußball und Rugby entstanden. Es ist an der Zeit den Gründungsmythos der deutschen Fußballgeschichte zu relativieren und den Namen Konrad Koch mit Rugby zu verbinden, aber nicht mit Fußball.

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