Der Umgang mit rassistischer Sprache im Fußball lässt zu wünschen übrig. Statt eine Fehler- und Entschuldigungskultur zu entwickeln, setzen die Akteurinnen und Akteure auf Abwehrhaltung und machen damit oft alles noch viel schlimmer. Aber wer entscheidet, was rassistisch ist?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Im Umgang mit rassistischer Sprache kommt es oft zu einer bizarren Umkehr von betroffener und grenzüberschreitender Perspektive: Weite Teile der weißen Mehrheitsgesellschaft haben weit höhere Erwartungen an jene, die durch rassistische Aussagen beleidigt oder ausgegrenzt werden, als an diejenigen, die unreflektiert zu solchem Vokabular greifen. Das lässt sich auch im Sport allgemein und hier speziell im Fußball immer wieder beobachten.

Die vorrangige Erwartung lautet, sich wahlweise nicht so zu haben oder das Thema nicht an die große Glocke zu hängen. Was ist schon dabei, sollte beispielsweise ein Spieler als "scheiß Afghane" beschimpft worden sein, wie das bei Leverkusens Nadiem Amiri im verbalen Schlagabtausch mit Florian Hübner (Union Berlin) im Raum stand? Immerhin sollen auch von Seiten Bayer Leverkusens Beleidigungen gefallen sein. Muss der DFB solchen Vorwürfen nachgehen? Muss man da so ein Fass aufmachen?

Rassismus als strukturelles Problem

Man muss. Rassismus ist in unserer Gesellschaft ein strukturelles Problem und dass Betroffene oft aufgefordert werden, ihn durchzuwinken, während die*der Beleidigende geschützt und die Tat heruntergespielt wird, steht genau dafür. Strukturelle Probleme verschwinden nicht durch Augenrollen oder das Negieren ihrer Bedeutung. Im besagten Fall wurde Hübner nun vom DFB für zwei Spiele gesperrt, aber vom Rassismusvorwurf freigesprochen, weil nicht nachzuweisen sei, was er gesagt hat. Auf den ersten Blick mag die Sache damit erledigt sein, auf den zweiten bleiben Fragen offen, wieso dann dennoch eine Strafe ausgesprochen wurde, aber nur gegen Hübner. Ohne die konkrete Situation aufschlüsseln zu können: Wenn rassistische Äußerungen ohne Zeugen geschehen – sind sie dann einfach nicht passiert?

Während also von Menschen, die auf diese Weise beleidigt werden, erwartet wird, ihre Ängste und Gedanken im Stillen und bestenfalls mit sich selbst auszumachen, erfahren Täter*innen den Zuspruch der Gesellschaft: "Ist ja nicht so schlimm." "War sicher nicht so gemeint." "Kann doch passieren." Das geschieht, weil das Aufdecken von Rassismus wiederum der benannten weißen Mehrheitsgesellschaft Angst macht – und sie eigene Sorgen ernster nimmt als die der von rassistischer Sprache Betroffenen. Dabei geht es auch um Macht und ihren Verlust.

Es muss nicht bewusst verletzend gemeint sein, um dennoch zu verletzen

In rassistischer Sprache äußert sich immer entsprechendes Gedankengut und das geht von einem "Ihr" und einem "Wir" aus, wobei die Wertigkeit des "Wir" höher eingestuft wird, aus Gründen der eigenen Zugehörigkeit. Das muss in der konkreten Situation nicht einmal bewusst verletzend gemeint sein, um zu treffen. Als beim Spiel zwischen Paris St. Germain und Istanbul Başakşehir der vierte Offizielle Sebastian Colțescu den Kameruner Pierre Webó mit dem Wort "negru" identifizierte, zog das eine epische Diskussion darüber nach sich, ob der rumänische Begriff rassistisch sei. Es diskutierte, wie immer: die weiße Mehrheitsgesellschaft.

Ihr steht es aber nicht zu, auf die Hoheit über ein Thema zu pochen, welches sie nur von außen betrachten kann. Die Frage, ob etwas als rassistisch aufzufassen ist oder nicht, müssen wir uns von denen beantworten lassen, die Rassismus erfahren, weil uns schlicht die Kompetenz fehlt. Hier setzt das Gefühl des Machtverlustes ein, mit dem viele gerade im männlich dominierten Fußball nicht zurechtkommen. Sie werden lernen müssen, dass sie die Linie nicht selbst ziehen können: Auch unbedachte Worte verletzen und wir müssen lernen, uns dem zu stellen.

Demba Ba bringt das Problem auf den Punkt

Istanbuls Demba Ba brachte das Problem gut auf den Punkt, als er das Schiedsrichterteam fragte: "You never say this white guy. You say this guy. So why when you mention a black guy you have to say this black guy?"

Im Nachgang der Partie hieß es oft, aus einer Gruppe Schwarzer würde man den einzigen Weißen auch als "weiß" rausdeuten. Das ist aber unwahrscheinlich, weil die eigene Hautfarbe kein auffälliges Merkmal ist, eine andere schon. Sprechen wir also über sie, so ist das ein Herausstellen ihrer Andersartigkeit, mit der gleichzeitig die eigene zur Norm gemacht wird – man sprich auch von "Othering" – strukturell rassistisch.

In der beschriebenen Szene geht der Konflikt aber noch weiter: Es ist irrelevant, ob negru im Rumänischen beleidigend ist. Die Offiziellen in einem internationalen Fußballspiel müssen gut genug gebrieft sein in Bezug auf Begrifflichkeiten, die gemeinhin mit Rassismus assoziiert sind, um sie keinesfalls zu verwenden. Die sprachliche Nähe zwischen negru und dem N-Wort ist zu groß, der Boden für massive Konflikte bereitet. Bei dem Vorfall sind Grenzen überschritten worden.

Gibt es wieder mehr Rassismus auf dem Platz?

Als Nebenschauplatz drängt sich bei derartigen Ereignissen die Frage auf, ob Rassismus gerade verstärkt auf den Platz zurückdrängt – oder diese Vorfälle nur durch die leeren Stadien besser zu hören sind und derart gut verständlich eine stärkere Beachtung erfahren.

Wird Rassismus als solcher enttarnt, müsste das in einer idealen Welt ganz einfache Schritte nach sich ziehen: Den Vorwurf anerkennen, reflektieren, sich selbst hinterfragen, eine ehrliche Entschuldigung aussprechen und für die Zukunft daraus lernen. Stattdessen folgt meist eine Abwehr der Vorwürfe, oft in Verbindung mit einer weiteren Abwertung der bereits beleidigten Person oder jener, die den Rassismusvorwurf erheben. Gerade im Fußball geht das häufig mit einer unangenehmen Kumpelei einher. Als Clemens Tönnies im Sommer 2019 Kraftwerke auf dem afrikanischen Kontinent bauen wollte, denn dann "würden Afrikaner aufhören, Kinder zu produzieren", da fanden sich zahlreiche Weggefährten, die erklärten, er sei kein Rassist.

Es braucht eine Fehlerkultur

Rassismus ist aber nicht in dem Sinne eine bewusste Entscheidung wie die Wahl eines Vereins, vielmehr muss die bewusste Entscheidung jene gegen Rassismus sein.

Weil das so ist, gehört in diesem Thema unbedingt eine Fehlerkultur hinzu, will heißen: Wer sich rassistisch äußert, muss die Gelegenheit zur erwähnten Reflektion haben – und die, aufrichtig um Entschuldigung zu bitten. Schwammige Aussagen à la: "Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Rassist bin", wie sie auch der Vierte Offizielle Colțescu tätigte, gehören übrigens nicht dazu.

Gerne wird von Weißen bei dem Thema damit argumentiert, es schränke ihre Freiheit ein, sich all diese Gedanken darüber machen zu müssen, ob ein Begriff nun rassistisch gelesen werden kann oder nicht. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall, die gedankenlose Verwendung von Sprache schränkt die Freiheit jener ein, deren Beleidigung und Verletzung wir damit in Kauf nehmen.

Oder anders gesagt: Wenn ein Spieler vor Anpfiff Sorge hat, er könne sich bei einem Wortgefecht im Ton vergreifen und ein anderer, er könne rassistisch beleidigt werden, sollte klar sein, wer von beiden lernen muss, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

Verwendete Quellen:

  • "Sportbuzzer.de": Weil nicht sein kann, was nicht sein darf
  • Youtube: Demba Ba konfrontiert die Schiedsrichter
  • "Zeit.de": Schalke-Chef verstört mit rassistischer ÄußerungDie Causa Tönnies
  • Youtube: Pierre Webó: Why you say negru?
  • "Sportbuzzer.de": Rumänischer Schiedsrichter-Assistent äußert sich zu Vorwürfen: "Bin kein Rassist"

In einer früheren Version dieses Artikelswurde berichtet, dass auch aus von Seiten Union Berlins Beleidigungen gefallen seien. Richtig ist, dass auch von Seiten Bayer 04 Leverkusens Beleidigungen gefallen sind.

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