Sie müssen sich attackieren und beschimpfen lassen, teils direkt, teils über die sozialen Medien. Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter benötigen, egal in welcher Liga, neben Regelkenntnis und Durchsetzungsvermögen vor allem ein dickes Fell. Davina Lutz pfeift seit 2023 in der Frauen-Bundesliga. Sie schildert im exklusiven Interview mit unserer Redaktion ihre Leidenschaft und ihren Umgang mit Anfeindungen.
Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter sind Wochenende für Wochenende auf unzähligen Fußballplätzen in Deutschland Sündenböcke. Ihre Leistungen werden oft mehr im negativen als im positiven Kontext hervorgehoben. Wie sie selbst damit klarkommt, und warum sie trotzdem einen riesigen Spaß daran hat, Schiedsrichterin zu sein, darüber spricht im Interview mit unserer Redaktion die Bundesliga-Schiedsrichterin Davina Lutz.
Frau Lutz, warum haben Sie sich dafür entschieden, Schiedsrichterin zu werden?
Davina Lutz: Ich habe damals selbst Fußball gespielt und war mit der einen oder anderen Entscheidung, die der Schiedsrichter bei unseren Spielen getroffen hat, nicht ganz zufrieden. Dementsprechend habe ich es einfach mal selbst versucht. Ein damaliger Klassenkamerad war auch Schiedsrichter und hat mir ein paar Einblicke gegeben. Ich habe dann den Schiedsrichterschein gemacht und musste feststellen, dass es doch nicht ganz so einfach ist, wie man es sich als Spielerin vorstellt. Dieser Perspektivwechsel war sehr spannend und hat mir geholfen, sowohl die Spielerinnen als auch die Schiedsrichter-Seite zu verstehen und auch umstrittene Entscheidungen besser nachvollziehen zu können.
Wenig Nachwuchs aufgrund des schlechten Images
Es gibt einen Schiedsrichtermangel. Warum wollen immer weniger diese Rolle auf dem Spielfeld übernehmen?
Die Rolle des Schiedsrichters ist in der Öffentlichkeit oftmals negativ behaftet. Wenn ich mit Leuten darüber spreche und sage: "Ich bin Schiedsrichterin", dann schauen sie mich oft mit großen Augen an und fragen: "Wieso tust du dir das an?" Dieses negative Image, das die Schiedsrichterei mit sich bringt, ist sicher etwas, das den einen oder anderen abschreckt, selbst Schiedsrichter zu werden.
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Mir ist aber ganz wichtig zu betonen, dass das Schiedsrichterwesen viele positive Aspekte mit sich bringt: Wir sind Woche für Woche gemeinsam als Team unterwegs und haben die wichtige Aufgabe, die Spiele in geregelten Bahnen zu halten. Mir macht es Spaß, jede Woche aufs Neue diese Herausforderung anzugehen.
Zudem hat mir die Schiedsrichterei viel Positives für meine Entwicklung gebracht. Ich habe mit 17 Jahren den Schiedsrichterschein gemacht und gemerkt, dass ich dadurch ein ganz anderes Auftreten bekomme, weil ich Entscheidungen plötzlich auf dem Feld vor 22 Spielern oder Spielerinnen verkaufen muss. Das hilft mir auch im Beruf. Ich habe ein anderes Selbstverständnis und gehe anders auf Leute zu. Ich denke, wir müssen genau diese positiven Seiten hervorheben, um mehr Menschen dafür begeistern zu können, Schiedsrichter zu werden.
Sie meinten, dass es hin und wieder Vorfälle gibt. Wurden Sie selbst schon mal verbal oder gar körperlich angegriffen?
Bisher musste ich solche Erfahrungen noch nicht machen. Ich hoffe, das bleibt so. Ich hatte noch nie die Situation, dass ich körperlich angegangen wurde. Dass vom Spielfeldrand bei Unzufriedenheit mal etwas kommt, vor allem von Zuschauern ist leider ein Stück weit normal. Solange es gewisse Grenzen nicht überschreitet, blende ich das aus. Als Schiedsrichter lernt man relativ schnell: Man darf sich nicht alles zu Herzen nehmen.
Wo liegt bei Ihnen die Toleranzgrenze?
Auf Spieler, Trainer und Offizielle kann ich im Spiel aktiv einwirken. Sie wissen, wenn sie eine Grenze überschreiten, dann müssen sie mit Konsequenzen rechnen. Was Unsportlichkeiten angeht, bin ich sehr strikt. Ein respektvolles Miteinander auf dem Platz ist mir sehr wichtig. Für Vorfälle auf den Zuschauerrängen gibt es auch klare Regularien, beispielsweise für rassistische Äußerungen oder Gesten, Banner oder auch Beleidigungen. Da haben wir eine gute Handhabe und wissen um den Stufenplan, an den wir uns halten können.
Wenn Sprüche von der Seite kommen, haben Sie schon mal an Ihrer eigenen Leistung gezweifelt? Gehen Sie mit Angst ins Spiel?
Mit Angst bin ich noch nie in ein Spiel gegangen. Natürlich hat jeder Sportler und jede Sportlerin mal einen guten, mal einen nicht so guten Tag. Auch ich hatte schon schlechte Tage. Aber egal, ob ich einen guten oder weniger guten Tag habe: Was von außen kommt, das blende ich aus. Es hilft mir für meine Spielleitung nicht, über die Kritik von Fans nachzudenken, stattdessen versuche ich mich weiterhin voll aufs Spiel zu fokussieren.
Und wie ist das mit den Schiedsrichterassistenten, die Ihnen zur Seite stehen? Gibt es untereinander so eine Art Feedbackkultur? Kritisieren Sie sich?
Im Team kommunizieren wir sehr klar und offen. Da wir oft im selben Team zusammen unterwegs sind, kennen wir uns gut und wissen, welcher Input dem anderen gerade helfen kann. Kommunikation ist das A und O und ist mir im Team sehr wichtig. Wenn wir mal nicht einer Meinung sind, sprechen wir darüber und gleichen während des Spiels kurz unsere Eindrücke ab. Das kann auch mal dazu führen, dass ich meine Meinung ändere. Wichtig ist, dass ich letztendlich eine Entscheidung mit Überzeugung treffe, denn ich muss sie verkaufen und mich somit auch damit wohlfühlen.
Also würden Sie sagen, dass Schiedsrichter untereinander sehr kritik-tolerant sind?
Zumindest die, mit denen ich zu tun habe. Am Ende ist Kritik ja auch etwas, das einen weiterbringt. Wenn ich sachliche Kritik bekomme, dann weiß ich, was ich noch verbessern kann.
Wenn es zu Fehlentscheidungen kommt: Hat man dann Angst, was passieren könnte, obwohl es doch menschlich ist, Fehler zu machen?
Nein. Wichtig ist, dass man im Spiel zu 100 Prozent bei der Sache ist. Da ist es nicht hilfreich, sich Gedanken darüber zu machen, dass man Fehler machen könnte. Deswegen sollte man stattdessen stets voll im Moment sein und den Fokus auf die Spielsituation legen, die es gerade zu bewerten gilt.
Die Medien-Präsenz nimmt zu
Sie pfeifen seit der Saison 2022/23 in der 1. Bundesliga der Frauen. Würden Sie sagen, dass mehr Druck auf Ihnen liegt als bei Amateurspielen? Wo fühlen Sie sich sicherer?
Am Ende wird in beiden Bereichen Fußball gespielt. Der Unterschied ist, dass eine andere Medien- und Zuschauerpräsenz auf den Spielen liegt. Mittlerweile werden alle Spiele der Frauen-Bundesliga auch im TV übertragen, somit sind diese Spiele mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Aber egal, wie viele Zuschauer das Spiel verfolgen: Mir ist wichtig, dass ich dem Spiel gerecht werde. Ob nur die 22 Spieler oder Spielerinnen da sind, oder ob zusätzlich 50.000 Zuschauer im Stadion sind – ich möchte am Ende für das Spiel die beste Leistung bringen. Natürlich bekommen wir auch die Atmosphäre beim Aufwärmen oder Auflaufen auf das Spielfeld mit, aber spätestens mit Anpfiff bin ich so fokussiert, dass ich nicht darüber nachdenke, wer zuschaut. Da gilt der volle Fokus dem Spiel.
Also blenden Sie negative Kommentare aus? Oder bemerkt man diese erst, wenn sie extremer werden?
Wenn viele Zuschauer da sind, gehen einzelne Kommentare in der Masse unter. Wenn weniger Zuschauer da sind, nimmt man einzelne Äußerungen teilwiese schon wahr. Aber ich habe mir angeeignet, das auszublenden.
Sie pfeifen jetzt schon seit einigen Jahren, und man bemerkt, dass der Respekt gegenüber Schiedsrichtern nachlässt. Empfinden Sie das auch so?
Ich weiß nicht, ob es tatsächlich gestiegen ist, ich denke aber, dass es heutzutage, vor allem aufgrund von Social Media, sichtbarer und präsenter ist als früher. Ich habe vor zwölf Jahren meinen Schiedsrichterschein gemacht, und ich selbst habe nicht das Gefühl, dass der Respekt gegenüber Schiedsrichtern nachgelassen hat. Wichtig ist, dass jeder versucht, einen Beitrag zu einem guten Miteinander auf dem Platz zu leisten, denn für das Spiel braucht es alle Beteiligten – die Spieler, aber auch die Schiedsrichter.
Wie gehen Sie mit Fehlentscheidungen von anderen Spielleitern oder sogar von Ihnen selbst um, wenn Kolleginnen und Kollegen oder Sie unter Kritik geraten?
Ich denke, dass man in beiden Fällen etwas lernen kann. Aus eigenen Fehlern lernt man oft am besten. Aber natürlich verfolgen wir auch Spiele von Kollegen und können daraus etwas mitnehmen. In beiden Fällen stelle ich mir die Frage: "Was kann ich tun, dass mir der Fehler nicht passiert?" Denn es ist absolut menschlich, dass Fehler passieren. Wichtig ist nur, dass man daraus die Schlüsse zieht, um zukünftig nicht den gleichen Fehler ein zweites Mal zu machen.
Lob für Aktion, den besten Schiedsrichter des Tages zu küren
Finden Sie, dass das Schiedsrichter-Image generell aufpoliert werden sollte und haben Sie vielleicht sogar Ideen dafür?
Ich hatte es ja schon angeschnitten, dass das Image der Schiedsrichter aus meiner Sicht leider etwas negativ behaftet ist. Es gibt aber bereits einige Initiativen, die dem entgegenwirken sollen. Letztes Jahr beispielsweise wurde vom DFB das "Jahr der Schiris" ausgerufen. Hier wurden zahlreiche Aktionen umgesetzt, um das Schiedsrichterwesen in einem positiven Licht darzustellen, mit dem Ziel der Schiedsrichtergewinnung und des Schiedsrichtererhalts. Hier gab es einige Ansätze, die wir aktiv begleiten konnten, beispielsweise "Profi wird Pate", bei der einem Jungschiedsrichter ein erfahrener Profischiedsrichter als Coach für seine Spiele an die Seite gestellt wird.
Es gibt aber auch tolle Entwicklungen außerhalb des DFB: Als sehr positives Beispiel empfinde ich beispielsweise den "kicker", der mittlerweile an jedem Bundesligaspieltag den besten Schiedsrichter hervorhebt. Denn in der bisherigen Berichterstattung wurden Schiedsrichter meist negativ erwähnt. Jetzt setzt man den Fokus bewusst auf eine gute Spielleitung.
Wir haben viel über Kritik gesprochen, doch was ist für Sie das Schöne an dem Job? Was können Sie anderen weitergeben, wie Ihnen die Rolle der Unparteiischen im Leben geholfen hat?
Wir Schiedsrichter werden oft als Einzelkämpfer wahrgenommen, was wir aber nicht sind. Einerseits sind wir oft im Gespann unterwegs, leiten ein Spiel also zu dritt. Andererseits gibt es mit der Schiedsrichtergruppe, der man angehört, eine tolle Gemeinschaft, aus der auch viele Freundschaften hervorgehen. Das ist ähnlich wie bei einer Fußballmannschaft. Es ist schön, gemeinsam tolle Erfahrungen zu sammeln und sich Wochenende für Wochenende der Herausforderung zu stellen, das Spiel in geregelten Bahnen zu halten. Und nebenbei lernt man einiges fürs Leben und kann sich in seiner Persönlichkeit weiterentwickeln. Dieses Gesamtpaket macht für mich den Reiz am Schiedsrichterwesen aus.
Über die Gesprächspartnerin
- Davina Lutz, Jahrgang 1994, pfeift seit 2016 auf DFB-Ebene als Schiedsrichterin. Lutz stieg 2017 in die 2. Bundesliga und 2023 in die Bundesliga auf. Die gelernte Betriebswirtin gehört dem TSV Poppenhausen im Landkreis Schweinfurt an, pfeift insofern für den Bayerischen Fußballverband.
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