Sexismus gegen Schiedsrichterinnen: Für viele Aktive ist das Alltag. Jede Schiedsrichterin geht anders damit um, doch was die meisten gemeinsam haben, ist die fehlende Unterstützung. Wie geht man damit um? Schon jetzt gibt es zu wenig Schiedsrichterinnen. Wie groß ist die Gefahr, dass die wenigen auch noch weglaufen? Wir haben mit der Kriminologin Thaya Vester und Fußball-Profi Robin Afamefuna über das Thema gesprochen.

Ein Interview

Frau Vester, Herr Afamefuna, wie viel Spaß macht den Schiedsrichterinnen ihr Job eigentlich?

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Thaya Vester: Ich bin fast schon gewillt zu sagen, dass sie grundsätzlich Spaß haben, aber noch viel mehr Spaß hätten, wenn keine Zuschauer da wären. Aber die Schiedsrichterinnen leben das aus den unterschiedlichsten Gründen. Es ist bei allen eine ganz, ganz große Fußballbegeisterung da, eine Liebe zum Spiel. Aber sie müssen sich erstmal beweisen, wenn sie auf den Platz kommen. Das muss ein Mann nicht. Erstaunlich war, wie oft gesagt wurde, dass es schon die erste Hürde ist, sich als Schiedsrichterin Gehör zu verschaffen. Es ist keine Normalität. Ich finde es auch spannend, was Robin erzählt hat: dass er letztes Jahr in einem Spiel mit einer Schiedsrichterin gar nicht gewusst habe, wie er sie begrüßen sollte. Klatsche ich sie ab oder gebe ich ihr förmlich die Hand? Und sobald ich mich dazu entscheide, ihr förmlich die Hand zu geben, behandele ich die Frau automatisch anders als Männer.

Robin Afamefuna: Ich habe mir vor Spielbeginn Gedanken darüber gemacht, was es für Unterschiede oder für Vorkommnisse geben kann, weil eine Schiedsrichterin das Spiel pfeift. Und da ich Kapitän war und auch sehr viel mit der Schiedsrichterin interagiert habe, habe ich auch versucht, bei mir selbst herauszufinden, ob ich irgendwelche Dinge anders mache, ob nun unbewusst oder um vielleicht freundlicher zu sein. Was mir bei den Interviews mit den Schiedsrichterinnen aufgefallen ist: Fußball ist ein wichtiger Faktor in ihrem Leben, weshalb auch der Drang danach, akzeptiert zu werden, groß ist. Spaß haben sie trotzdem. Deshalb wollen sie die Herausforderungen, die Hürden, überwinden, um dem Fußball etwas zurückzugeben.

Vester: Das ist mit ein Grund, warum viele, obwohl sie häufig unschöne Dinge erleben, dabeibleiben: weil sie ein Verantwortungsgefühl haben. Und sie sehen, dass es zu wenige gibt, die den Job machen, auch weil es oft ein verdammt harter Job ist.

Herr Afamefuna, haben Sie der Schiedsrichterin die Hand gegeben oder einen Handshake gemacht?

Afamefuna: Jeder andere hat ihr ganz normal die Hand geschüttelt, und klar ist, dass es bei jedem Schiedsrichter einen Handshake geben würde. Was ich dann auch gemacht habe, weil ich das immer mache. Auf dem Platz bin ich ein Spieler, der viel mit Schiedsrichtern redet, aber immer so, dass ich so auch mit einer Schiedsrichterin reden könnte. Natürlich nimmt man es wahr, dass es eine Schiedsrichterin ist, aber ich selbst habe mir während des Spiels nie groß Gedanken darüber gemacht.

"Die Spieler waren ein bisschen höflicher"

Aber es geht zwischen Spielern und Schiedsrichter auch schon mal ein bisschen derbe zu. Wie haben Sie den Umgang erlebt: Ist das bei Frauen auch so oder ist man da höflicher?

Afamefuna: Ja, teilweise waren die Spieler ein bisschen höflicher. Und sie haben auch gesagt, dass sie verbal nicht so weit gehen, wie sie es bei einem männlichen Schiedsrichter machen würden. Es waren in meinem Fall auch nicht so viele Spiele, dass ich eine pauschale Aussage tätigen könnte. Aber Emotionen gehören dazu. Und man bekommt als Spieler auch Kontra von Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern. Und sie haben sowieso das letzte Wort auf dem Platz.

Glauben Sie denn, dass man als Spieler einen Einfluss haben könnte, wenn Beleidigungen von der Tribüne kommen?

Afamefuna: Ich bin davon überzeugt, dass man als aktiver Fußballer außerhalb des Platzes einen sehr großen Einfluss haben kann. Indem man zum Beispiel auch ein Vorbild im Umgang mit den Schiedsrichtern, egal ob Frau oder Mann, ist. Gerade auch in emotionalen Situationen. Damit kann man viel bewirken, weil sich die Zuschauer vom Verhalten auf dem Platz auch beeinflussen lassen, positiv wie negativ.

Frau Vester, Sie widmen sich diesem Thema nun schon länger auf wissenschaftlicher Ebene. Wie erleben Sie die Situation von Schiedsrichterinnen, was wird Ihnen berichtet?

Vester: Eine Durchschnittsschiedsrichterin gibt es nicht, sondern es sind ganz, ganz unterschiedliche Geschichten, und auch die Wahrnehmung ist ganz unterschiedlich. Es gibt Schiedsrichterinnen, die sagen, dass es ein Riesenproblem sei, was ihnen auf den Plätzen begegne, aber es gebe einen tollen Rückhalt in der Schiedsrichtergruppe. Und dann gibt es aber auch welche, die erzählen, dass es zwar Vorkommnisse gebe, dass diese ihnen aber nicht so viel ausmachten. Die haben damit zu kämpfen, dass sie im Schiedsrichterwesen selbst nicht akzeptiert werden. Dann gibt es noch welche, die sagen, dass alles super sei. Das sind wahrscheinlich die ganz Resilienten. Und es gibt viel dazwischen. Die Bandbreite ist tatsächlich recht groß.

"Das Schlimmste ist es, an der Linie zu stehen"

Wenn Sie eine Bilanz ziehen müssten: Wie schlimm steht es in Sachen Sexismus gegen Schiedsrichterinnen?

Vester: Manche Schiedsrichterinnen erleben das in jedem Spiel, manche nur in jedem zehnten. Es kommt ganz stark darauf an, in welchen Ligen sie pfeifen. Was viele sagen: Das Schlimmste ist es, an der Linie zu stehen. Weil man die Leute im Rücken hat und diese Sprüche die ganze Zeit hört. Das ist für junge Frauen an der Pfeife Alltag, es ist nicht die Ausnahme. Aber ist es Sexismus? Oder ist es einfach nur unfreundlich oder unverschämt? Das lässt sich gar nicht so leicht festmachen. Weil viele Schiedsrichterinnen viele Beleidigungen gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Das ist ein Problem: Würden sie wahrnehmen, dass sie Wochenende für Wochenende wirklich beleidigt werden, könnten sie das gar nicht mehr machen, weil man das auch vor sich selbst rechtfertigen muss.

Herr Afamefuna, waren Sie auch geschockt oder überrascht von dem Ausmaß?

Afamefuna: Die Schiedsrichterinnen haben die Zuschauer als Personengruppe genannt, von der wirklich viel an Beleidigungen kommt. Auch auf eine sehr diskriminierende Art und Weise. Vielen kommt es so vor, als dächten die Zuschauer, sie könnten sich alles erlauben, weil sie ihre zwei Euro Eintritt zahlen. Und damit müssen die Schiedsrichterinnen klarkommen. Für sie gibt es leider immer noch zu wenig Ansprechpartner, mit denen sie über die Probleme reden können. Aber ich bin nicht nur Spieler, ich habe viele Spiele als Zuschauer erlebt, auch in unteren Ligen. Und da bekommt man mit, was abgeht. Deshalb kann ich leider nicht sagen, dass ich davon überrascht bin.

In Ihren Forschungen fragen Sie Unparteiische regelmäßig danach, wie es um ihr subjektives Sicherheitsgefühl bestellt ist. Gibt es da Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Und treffen Frauen andere Vorkehrungen als Männer?

Vester: Frauen fühlen sich im Allgemeinen tendenziell unsicherer als Männer, dieser Befund zeigt sich auch im Fußball. Es gibt Schiedsrichterinnen, da kommt der Freund immer mit. Oder der Vater. Einfach, weil sie das als Backup brauchen, vor allem, wenn sie komplett alleine unterwegs sind und nicht mit Assistenten. Denn im Ernstfall stehen sie alleine da. Eine Schiedsrichterin hat im Interview erzählt, dass sie in der Halbzeit ihren Freund angerufen habe, dass er doch bitte kommen soll, weil sie ein blödes Gefühl habe. Und das ist schon krass, wenn man bedenkt, dass zwei Personen benötigt werden, damit eine pfeifen kann.

Immer mehr Bedeutung hat das Thema Social Media. Wie schlimm ist es dort für Schiedsrichterinnen?

Vester: Schiedsrichter allgemein werden über Social Media angefeindet, aber Frauen haben noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Zum Beispiel mit sehr unbeholfenen Komplimenten oder Flirtversuchen sowie sehr dreisten Annäherungsversuchen. Ich glaube, dass es im Schiedsrichterwesen selbst noch nicht angekommen ist, dass Schiedsrichterinnen teilweise vor ganz anderen Herausforderungen stehen und dass man sie darauf vorbereiten muss. Und dazu gehört dann auch eine gewisse Transparenz. Dass sie wissen, dass so etwas passieren kann und wie sie dann am besten reagieren. Denn viele Schiedsrichterinnen wissen das nicht. Eine Schiedsrichterin hat erzählt, dass sie im Grunde bunte Hunde seien und dass sie auch in der Disco erkannt würden, selbst im Halloween-Kostüm, und dann auch angesprochen würden. Das würde einem Mann nicht passieren. Das zeigt: Auch das Drumherum nimmt einen großen Stellenwert ein, es hängt viel mehr daran als die 90 Minuten.

Afamefuna: Die Berichterstattung in den Medien ist nochmal ein ganz anderes Thema. In einem Interview hat eine Schiedsrichterin erzählt, dass sie in einem Spiel eine Gelbe Karte geben wollte. Der Spieler hatte sich aufgeregt, es wurde emotional und es gab Diskussionen. Sie hatte dann ihre Hand auf seine Schulter gelegt und gemeint, er solle sich beruhigen. Und im Nachhinein wurde im Rahmen der Berichterstattung hinterfragt, ob sie das gemacht hat, weil sie möglicherweise andere Intentionen hatte. Und das, obwohl sie einfach nur versucht hat, Ausstrahlung zu zeigen, konsequent, aber auch respektvoll zu sein. Es gibt so viele Aspekte abseits des Spiels, bei denen die Schiedsrichterinnen immer wieder mit dem Thema konfrontiert werden. Sie müssen auf irgendeine Art und Weise immer handeln, weil selbst ein Nicht-Handeln oft auf eine gewisse Art und Weise negativ ausgelegt wird.

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"Du weißt ja, worauf du dich einlässt"

Wie gehen die Schiedsrichterinnen mit Beleidigungen und Diskriminierungen um?

Vester: Es gibt Schiedsrichterinnen, die haben Fähigkeiten, damit umzugehen. Das sind richtig starke Persönlichkeiten, aber sie stecken viel ein und sagen: "Das gehört dazu, das ist normal, ich brauche erst gar nicht dagegen vorgehen, denn entweder will es sowieso niemand hören oder man macht sich dadurch noch unbeliebt." Oft kommt auch der Satz zurück: "Na ja, ist ja Fußball, du weißt ja, worauf du dich einlässt." Und wenn es die einzige Möglichkeit ist, dies entweder zu akzeptieren oder es ganz zu lassen, ist das schon heftig, weil sich so auch nie etwas ändern kann. Wenn man sich die Zahlen anschaut, was die Fluktuation betrifft im Schiedsrichterwesen, zeigt sich, dass es viele gibt, die offenkundig keine Strategien gefunden haben und deshalb wieder aufhören.

Afamefuna: Es verfestigt sich der Eindruck, als sei das der Alltag. Eine Schiedsrichterin hat mir erzählt, dass die Eltern mittlerweile nicht mehr mit zu den Spielen fahren, weil sie sich das nicht mehr anhören wollten. Weil sie genau wüssten, was passiere, wie ihre Tochter beleidigt würde. Ohne die Liebe zum Fußball geht das gar nicht. Aber selbst diese Liebe zum Fußball wird bei vielen inzwischen hinterfragt.

Wie beschreibt man den Status quo am besten? Und was wären Lösungen?

Vester: Die derzeitige Situation ist nicht erfreulich, aber es gibt Tendenzen zur Verbesserung. Es muss normaler werden, dass Schiedsrichterinnen pfeifen. Im Moment beträgt der Anteil an Schiedsrichterinnen in den Landesverbänden um die vier Prozent. Das ist nach wie vor einfach zu wenig, das sind fast schon Exotinnen. Läge der bei zehn Prozent, wäre das schon gar nicht mehr so wild, weil es normaler wird für alle. Wir müssen diesen Punkt überwinden, damit es besser werden kann, doch da hängt man gerade so ein bisschen fest, weil die Strukturen sich reproduzieren und so viele Mädchen und Frauen das Schiedsrichterwesen wieder verlassen. Das ist ein Problem, weil diejenigen, die da sind, kaum Vorbilder haben. Vom DFB gibt es die Kampagne "Frauen im Fußball - FF27", da hat man es sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil deutlich zu erhöhen, und zwar in allen Bereichen.

Was wünschen sich die Schiedsrichterinnen an Verbesserungen?

Afamefuna: Wir hatten es angesprochen: Es geht über die 90 Minuten hinaus. Das fängt damit an, dass die Schiedsrichterin im Gespann unterwegs ist, es aber nur eine Kabine gibt, in der sich alle umziehen. Und wo gehen dann alle duschen? Es gab auch den Fall, dass sich eine Schiedsrichterin in einer Kabine umziehen musste, bei der jeder durch das Fenster gucken konnte, der größer als 1,30 Meter war. Problemstellen gibt es überall.

Vester: Den Schiedsrichterinnen geht es um Sichtbarkeit. Sie wollen keine Sonder-, sondern eine Gleichbehandlung. Sie wollen die gleiche Ausrüstung und nicht die abgetragenen Sachen von den Herren. Generell sind wir an dem Punkt, dass erkannt wurde, dass es wichtig ist. Aber um es klar zu sagen: Der Fußball kann sich das auch gar nicht leisten. Ich halte es für arrogant, die Hälfte der Gesellschaft als potenzielle Schiedsrichterinnen gar nicht in Erwägung zu ziehen oder sich zumindest nicht viel deutlicher darum zu bemühen. Man hört ständig, dass es einen Schiedsrichter-Mangel gibt. Warum bemüht man sich dann nicht nochmal mehr? Es gibt noch so viel Potenzial, das überhaupt nicht ausgeschöpft wird.

Afamefuna: Es wird in den Interviews immer wieder betont, dass die Quantität unglaublich wichtig ist. Die Kinder, die jeden Tag über die Sportplätze laufen, sehen zu 99 Prozent nur männliche Schiedsrichter. Und wenn sie 15, 16, 17 Jahre alt sind und das erste Mal auf eine Schiedsrichterin treffen, fragen die sich, was denn jetzt abgeht. Vor dem Hintergrund habe ich es als ein sehr starkes Statement empfunden, dass gesagt worden ist, dass man diese Herausforderungen, diese Hürden aufgrund der Liebe zum Fußball annimmt. Damit man vielleicht eine dieser Schiedsrichterinnen wird, die in der Position sind, um andere zu motivieren, den gleichen Weg einzuschlagen. Deshalb ist klar: Es müssen einfach mehr werden.

Vester: Es ist toll, dass es Bibiana Steinhaus gab oder dass jetzt bei Union Berlin eine Frau Co-Trainerin ist. Der Anfang muss gemacht werden, aber es darf eben nicht dabei bleiben und dazu führen, dass es immer heißt, man habe doch eine Frau und sowieso nichts gegen Frauen. Nach dem Motto: Eine lassen wir zu. Sondern dass es auch mal zwei, drei oder mehr sein müssen und es normaler wird. Dann wirkt es auch nicht so, als schwebe ein UFO herein, wenn eine Frau dabei ist.

"Es wird nicht mitgedacht"

Wie sieht es innerhalb der Landes- oder Regionalverbände aus? Wie werden die Schiedsrichterinnen behandelt und was machen die Verantwortlichen falsch?

Vester: Es bräuchte zum Beispiel eine Beschwerdestelle für sexistische Vorfälle. Es wird aber nicht mitgedacht, dass Frauen in diesen Positionen andere Bedürfnisse haben oder mit anderen Dingen konfrontiert werden, weil die Entscheider in der Regel männlich sind. Die haben diese Erfahrungen selbst nicht gemacht und denken daher oft gar nicht daran. Das ist zwar stellenweise ignorant, aber nicht unbedingt böse gemeint.

Denn vieles ist nach wie vor männlich zentriert, und das spiegelt sich dann eben auch in den Strukturen wider. Und deshalb braucht es Impulse, auch von außen, damit sich etwas ändert. Und klar: Es kostet Zeit und Nerven, sich damit auseinanderzusetzen. Und je genauer man hinschaut, desto öfter findet man auch Dinge, die nicht so schön sind. Und das kann schmerzhaft sein.

Es ist nachvollziehbar, dass manche dann möglicherweise sagen, dass es bisher auch geklappt hat. Oder es gibt stellenweise Unsicherheiten, wie man es denn besser machen könnte. Und da ist es wichtig, dass die Schiedsrichterinnen selbst zu Wort kommen und sagen, was sie brauchen und wollen. Es ist ein Teufelskreis, denn weil es so wenige Frauen sind, wurde das bislang nicht als relevant genug angesehen. Und genau das führt dazu, dass es so wenige Schiedsrichterinnen bleiben. Das muss man durchbrechen.

Ist die komplexe Situation rund um den Sexismus im Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft?

Vester: Es ist nicht für die gesamte Gesellschaft ein Spiegelbild, aber in dem Bereich ist der Fußball rückständiger als in anderen gesellschaftlichen Kontexten, es gibt noch eine Menge Nachholbedarf. Das, was die Frauen sagen, ist teilweise heftig. Als Kriminologin habe ich sowieso nicht mit den schönsten Themen zu tun. Aber mich hat das Erzählte sehr beschäftigt und auch wütend gemacht.

Und man muss extrem aufpassen, dass man, wenn sich etwas ändern soll, das dadurch nicht noch zusätzlich manifestiert. Man darf niemanden abschrecken, denn dann kann sich erst recht nichts ändern. Es sollte nichts beschönigt werden, aber man sollte es hinbekommen, dass deutlich wird, dass Frauen genauso Schiedsrichterinnen sein können, dürfen, sollen wie Männer. Aber das ist schwierig, weil eine Frau sich das erstmal erkämpfen muss. Und eigentlich müssten auch andere dafür kämpfen.

Afamefuna: Man muss ehrlicherweise sagen, dass viele Männer den Fußball nutzen, um ihre eigene Männlichkeit neu zu definieren. Weil der Fußball irgendwo auch eine Blase ist. Wenn zum Beispiel bei einem Jugendspiel ein Trainer mit einer Schiedsrichterin diskutiert, diese sich umdreht und der Trainer hinterherruft: 'Mehr als große Brüste kannst du eh nicht', weiß ich nicht, inwieweit das dem Trainerjob gerecht wird. Wir stecken im Moment in der Situation, wo sich Zuschauer, Spieler, Trainer oder Betreuer gegenüber einer Schiedsrichterin teilweise noch männlicher darstellen. Das bekomme ich als Spieler auch mit. Da müsste man herausfinden, warum das so ist, um das Stück für Stück abzubauen.

Wird es mit Sexismus, Beleidigungen oder Diskriminierungen schlimmer, je tiefer die Liga ist? Sinkt das Niveau mit der Spielklasse?

Vester: Ja, es macht einen Unterschied. Und da ist es egal, um welche Diskriminierungsform es geht: Je höher die Liga, desto professioneller wird auch der Umgang. Die Leute haben mehr zu verlieren, stehen mehr im Fokus, weshalb die Zurückhaltung größer ist. Was aber traurig ist: Wer denkt, das Ewiggestrige wächst raus, der irrt. Das wächst leider nach. Da hauen Zwölfjährige Sprüche raus, die äußern sich der Schiedsrichterin gegenüber in einer äußerst derben Wortwahl, da fällt einem nichts mehr ein.

Ein Drittel Schwund: "Das ist Wahnsinn"

Wie oft werden die Schiedsrichterinnen denn jetzt vergrault?

Vester: Bei den Männern sehen wir einen Schwund von einem Fünftel, was schon viel ist. Aber bei den Frauen ist es ein Drittel, und das ist Wahnsinn. Das zeigt, dass auch strukturell etwas im Argen liegen muss. Man sieht an den offiziellen Zahlen nicht, woran es tatsächlich liegt, es wären auch andere Gründe denkbar, aber es ist schon sehr, sehr naheliegend.

Das heißt, Sie schätzen die Gefahr, dass es einen weiteren Schwund gibt, als sehr groß ein?

Vester: Ich bin gespannt darauf, wie sich generell die Schiedsrichter-Zahlen entwickeln werden. Denn das Jahr des Schiedsrichters 2023 hatte einen positiven Effekt und führte zu einer Trendumkehr und zu einem Plus bei den Zahlen. Aber trotzdem muss man ganz klar sagen, dass wir noch längst nicht auf dem Vor-Corona-Niveau sind und noch viel weiter davon entfernt, dass es genügend sind, um den Spielbetrieb sicherzustellen. Und das sehe ich auch bei den Frauen so. Auf der einen Seite gibt es die Herausforderung, neue Frauen dafür zu gewinnen, auf der anderen Seite besteht das Problem, dass viele wieder aufhören, weil sie sich im Schiedsrichterwesen nicht wohlfühlen. Den Verantwortlichen sollte noch mehr daran gelegen sein, dass diejenigen, die da sind, auch bleiben wollen.

Über die Gesprächspartner:

  • Dr. Thaya Vester ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Außerdem ist sie Mitglied der DFB-Projektgruppe "Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen" sowie der DFB-Expert*innengruppe "Fair Play – gegen Gewalt und Diskriminierung".
  • Robin Afamefuna spielt seit dieser Saison bei Regionalligist Alemannia Aachen. Außerdem studiert der 27-Jährige an der Universität Bonn Kulturanthropologie. Er hat sich Sexismus gegenüber Schiedsrichterinnen als Thema für seine Masterarbeit ausgesucht und gemeinsam mit Frau Vester zu dem Thema geforscht.
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