Wie "schlimm" sind Eltern im Kinder- und Jugendfußball? Ist alles ein großes Missverständnis? Und warum ist es manchmal so kompliziert? Wir haben mit Susanne Amar, Expertin für Kommunikation im Kinder- und Jugendfußball, darüber gesprochen.
Frau Amar, vor ein paar Wochen ist
Susanne Amar: Nicht wirklich, wenn ich ehrlich bin. Das passiert Trainer*innen, die weniger prominent sind, tagtäglich. Wenn du etwas mit Leidenschaft machst, aber dabei merkst, dass es immer wieder kleine Stolpersteine gibt und Herausforderungen, mit denen du dich tagtäglich auseinandersetzen musst – und das vielleicht sogar ehrenamtlich oder nur für einen kleinen Obolus –, dann kommst du irgendwann an den Punkt, an dem du dich fragst: 'Warum tue ich mir das an?' Das geht vielen Trainer*innen im Ehrenamt so. Die Frage ist doch, wie können wir das ändern? Klar ist, dass immer zwei Seiten dazugehören. Es geht darum, wie Eltern in das Team eingebunden werden. Eltern werden oft noch viel zu wenig als Teil des Teams gesehen. Gerade im Kinderfußball ist es so, dass ohne die Eltern vieles gar nicht funktionieren würde.
Wie "schlimm" sind die Eltern im Kinder- und Jugendfußball wirklich?
Schlimm finde ich unpassend und ich möchte auch nicht alle Eltern über einen Kamm scheren. Eltern werden oft in den Fokus gerückt, gerade wenn es um unschönes Verhalten am Spielfeldrand geht. Aber ich glaube, der Fokus sollte weniger auf der Kritik liegen, sondern vielmehr darauf, die Ursachen zu verstehen. Warum handeln Eltern so? Warum kommt es zu Spannungen zwischen ihnen und dem Verein oder den Trainern?
Was, glauben Sie, sind denn die Gründe?
Viele Eltern haben schlichtweg wenig Ahnung von den Abläufen im Vereinsleben oder den Anforderungen des Sports, den ihre Kinder betreiben. Sie wissen oft nicht, wie der Verein funktioniert, welche Erwartungen an sie gestellt werden oder dass viele Trainer und Vereinsmitarbeiter ehrenamtlich arbeiten. Und da stoßen oft unterschiedliche Erwartungshaltungen aufeinander, über die nicht gesprochen wird. Das führt dann ganz schnell zu Enttäuschungen, Frust und Ärger und dann auch zu Konflikten.
Und umgekehrt? Wie ist das Verständnis der Vereine?
Auf Vereinsseite gibt es häufig wenig Verständnis dafür, was es für Eltern bedeutet, das Hobby ihrer Kinder mit beruflichen und familiären Verpflichtungen zu vereinbaren. Oder Vereine gehen oft davon aus, dass Eltern Informationen von selbst haben – was in der Realität aber selten der Fall ist. Auch hier spielt das Thema Unwissenheit eine große Rolle.
Es liegt aber nicht nur an fehlenden Informationen, manche Eltern sind auch so aggressiv und verhalten sich falsch. Wie kommt es dazu?
Das hat oft tiefere Ursachen. Häufig spielen persönliche Erfahrungen eine Rolle. Manche Eltern projizieren ihre eigenen sportlichen Erfahrungen oder Träume auf ihre Kinder und übersehen dabei manchmal die Belastung, die sie damit erzeugen. Ein weiterer Aspekt ist das grundlegende Bedürfnis, dass es ihrem Kind gut geht. Eltern handeln selten aus böser Absicht, sondern oft aus Unwissenheit oder aus dem Wunsch heraus, das Beste für ihr Kind zu tun.
Wie groß ist der Anteil dieser pöbelnden Eltern?
Es sind nicht 'die Eltern' als Ganzes, die Schwierigkeiten machen. Oft betrifft es nur eine kleine Gruppe. In einer Mannschaft gibt es in der Regel maximal eine Handvoll Eltern, die etwas komplizierter sind. Der Großteil der Eltern verhält sich unterstützend, neutral oder hält sich bewusst zurück und überlässt den Sport dem Kind. Diese Mehrheit gerät jedoch selten in den Fokus, weil man sich in der Diskussion häufig auf die wenigen auffälligen Fälle konzentriert. Das verzerrt das Bild und lässt es so erscheinen, als seien 'die Eltern' das Problem.
Welcher Elterntyp ist im Kinder- und Jugendfußball der komplizierteste, und wie beeinflusst das den Umgang miteinander?
Das ist schwierig, da dies weniger vom Typ selbst als von der individuellen Gesprächsbereitschaft abhängt. Das Problem dabei ist, dass viele Eltern ihr Verhalten gar nicht bewusst wahrnehmen. Ein weiteres Missverständnis entsteht oft durch die Diskrepanz zwischen dem Verhalten, das im Profifußball gefeiert wird, und dem, was im Kinder- und Jugendfußball angemessen ist. Im Stadion gehört Anfeuern, Brüllen und sogar das Beschimpfen des Gegners zur Normalität. Im Jugendfußball hingegen ist dieses Verhalten nicht zu tolerieren und kann Kinder überfordern. Das Ganze ist dann mehr Stress als Spaß.
Ist das Problem zwischen Eltern und Vereinen vor allem ein großes Missverständnis?
Nein, so möchte ich das nicht bezeichnen. Es geht eher um unausgesprochene Erwartungen und fehlende Kommunikation. Eltern und Vereine haben oft Annahmen, die nicht klar formuliert oder abgeklärt werden. Zum Beispiel denken manche Eltern: 'Ich habe den Jahresbeitrag gezahlt, jetzt erwarte ich Top-Training für mein Kind.' Gleichzeitig wissen viele Eltern nicht, dass 90 Prozent der Menschen in Vereinen ehrenamtlich arbeiten. Solche Unstimmigkeiten entstehen, weil oft nicht klar genug kommuniziert wird und Eltern nicht nachfragen.
Welche Probleme gibt es noch?
Zum Beispiel das der Wahrnehmung: Eltern sehen Trainer oft nur beim Training oder am Spielfeldrand und denken, das wären anderthalb Stunden Arbeit. Dabei bleibt oft unbemerkt, dass viele Trainer im Amateurbereich zusätzlich 15 bis 20 Stunden pro Woche für Vorbereitungen, Spielanalysen, organisatorische Aufgaben etc. aufwenden – neben ihrem Job, Studium oder ihrer Familie. Viele Eltern sind sich dieser Dimension nicht bewusst.
Das hört sich an, als könnten 90 Prozent der Probleme durch Kommunikation gelöst werden…
Vielleicht nicht sofort 90 Prozent, aber Kommunikation kann tatsächlich sehr, sehr viel helfen. Damit können die ersten Stellschrauben gelöst werden. Wie zum Beispiel eine Elternseite auf der Vereins-Homepage, die aber nur wenige Vereine haben. Es gibt auch Vereine, die Handouts verteilen. Die Vereine haben gute Erfahrungen gemacht. So wissen Eltern, was auf sie zukommt, und sie haben das Gefühl, dazuzugehören. Es braucht einen Austausch auf Augenhöhe. Denn eines ist klar: Ohne Eltern wie auch ohne die zahlreichen ambitionierten Trainer*innen und Funktionäre würde der Kinder- und Jugendfußball nicht funktionieren.
Sie sind durch Ihren Sohn seit 2005 im Kinder- und Jugendfußball dabei. Hat sich der Umgang verbessert?
Es hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Als ich damit angefangen habe, war das Thema Elternarbeit im Fußball eine Nische und es brauchte viel Überzeugungsarbeit. Viele Vereine haben inzwischen erkannt, dass sie das nicht alleine stemmen können. Es gibt eine spürbare Bereitschaft, Eltern stärker einzubinden und sie als Partner zu betrachten, statt sie nur als Zuschauer oder Kritiker wahrzunehmen. Vereine brauchen Unterstützung – und Eltern sind dafür ein großes Potenzial, quasi ein "Rohdiamant", der noch geschliffen werden muss.
Wie hilfreich ist in dem Zusammenhang der Perspektivwechsel, um problematische Eltern im Kinder- und Jugendfußball zu sensibilisieren? Wird er häufig genutzt, oder ist das noch selten?
Ein Perspektivwechsel hilft, die andere Seite besser zu verstehen. Indem man Eltern direkt erleben lässt, wie es sich anfühlt, wenn man auf dem Fußballplatz steht, eine Aufgabe hat, als Team arbeitet, aber von außen immer unter Druck gesetzt wird. Einige Vereine setzen diesen Ansatz bereits ein und Eltern merken so, wie unangenehm das sein kann.
Welche Auswirkungen hat das?
Bei vielen Eltern macht es "Klick", wenn sie selbst spüren, was das für ein Gefühl ist. Und wenn die eigenen Kinder sagen, wie sie sich fühlen, wenn ihr Elternteil sich so verhält, kann das zu einer Verhaltensänderung führen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach das ideale Zusammenspiel zwischen Verein, Eltern, Trainern, Betreuern und Spielern aus?
Mehr Kommunikation und gegenseitiges Verständnis. Eine gute Basis für die Zusammenarbeit entsteht, wenn Eltern von Anfang an eingebunden werden. Wenn Eltern frühzeitig darüber informiert werden, was der Fußball für Anforderungen mit sich bringt, wo ihre Unterstützung nötig ist, können sie besser entscheiden, ob der Sport und die Aufgaben für ihre Familie machbar sind. Genauso sollten Vereine offen mit Eltern über ihre Erwartungen sprechen. So erfahren auch Eltern, was Verein und Trainer*innen leisten und beide kommen in ein Miteinander. Dabei hilft z.B. ein gut vorbereiteter Elternabend, für mich ein absolutes Muss.
War der Rücktritt von Matthäus also möglicherweise sogar gut, um weitere Verbesserungen zu erreichen?
Ich weiß nicht, ob sein Rücktritt direkt zu Verbesserungen führt, er hat zumindest zu Diskussionen geführt, weil es Matthäus war. Was mir in seinem Fall sofort einfiel: Warum bindet man die Eltern nicht ein und gibt ihnen eine Aufgabe? Denn es war das typische Bild: Die Eltern verhalten sich nicht wie gewünscht und dann "nerven" sie. Dabei hätte man mit entsprechender Information und Kommunikation der Situation womöglich anders begegnen können.
Über die Gesprächspartnerin
- Susanne Amar ist Expertin für Kommunikation im Kinder- und Jugendfußball. Als systemischer Coach unterstützt sie Trainer und Jugendleiter dabei, mit den Spielereltern in eine persönliche Kommunikation zu kommen. Dazu hält sie Vorträge, gibt Workshops für Trainer und Eltern in Amateurvereinen, Nachwuchsleistungszentren, Verbänden, DFB und DFL.
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