Die deutsche Handball-Nationalmannschaft kommt bei der Europameisterschaft nur knapp in die nächste Runde. Ausgerechnet die Torhüter und die Abwehr, die eigentlich der Trumpf bei diesem Turnier sein sollten, entpuppen sich als Schwäche.

Eine Analyse

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Das Minimalziel ist erfüllt, die Hauptrunde bei der Europameisterschaft erreicht. Allzu viel Glanz hat die deutsche Handball-Nationalmannschaft dabei allerdings nicht versprüht. Gestern schenkte die DHB-Auswahl gegen den EM-Debütanten Lettland fast eine Sieben-Tore-Führung her und gewann am Ende knapp mit 28:27.

Nur zwei Tage zuvor hatte sich das 26:33-Debakel gegen den amtierenden Europameister Spanien ereignet. Selbst der 34:23-Auftaktsieg gegen die Niederlande, ebenfalls ein EM-Debütant, gestaltete sich längst nicht so souverän, wie das Ergebnis vermuten lässt.

Prokop: Defizite wurden uns aufgezeigt

Bundestrainer Christian Prokop fasste nach der Vorrunde ein erstes Fazit: "Es gibt die Erkenntnis, dass wir einige Dinge gut gemacht haben, uns aber auch Defizite aufgezeigt wurden - vor allem gegen Teams, die um die Medaillen spielen. Davon sind wir im Moment noch ein bisschen entfernt. Das heißt aber nicht, dass wir uns da nicht heranrobben werden."

Probleme im Spiel der deutschen Nationalmannschaft waren vorauszusehen. Die vielen Verletzungsausfälle lassen sich nicht kompensieren. Alleine im Rückraum mussten sich vor dem Turnier sieben Spieler abmelden. Speziell die Position des Spielmachers ist davon betroffen.

Überraschend ist allerdings, dass Deutschland gerade auf den Positionen Probleme hat, die eigentlich als die Stärke der DHB-Auswahl galten. Das wäre zunächst einmal Kapitän Uwe Gensheimer – einer der besten Linksaußen der Welt. Erst sah er im Auftaktspiel gegen die Niederlande die rote Karte, dann blieb er in den folgenden beiden Spielen unter seinen Möglichkeiten und ließ die Treffsicherheit vermissen.

Handball-EM: Defizit auf der Torhüterposition

Aber auch die Torhüter, die ähnlich wie im Fußball in Deutschland traditionell stark sind, spielen bislang ein sehr durchwachsenes Turnier. 83 Gegentore in drei Spielen sind ein schwacher Wert. Nach der Niederlage gegen Spanien sprach Bundestrainer Prokop dies öffentlich an: "Wir hatten ein Defizit auf der Torhüterposition gegenüber den Spaniern."

Andreas Wolff gilt eigentlich als einer der besten Torhüter der Welt und war der große Held bei dem EM-Triumph von 2016. Bislang allerdings läuft das Turnier an ihm vorbei.

"Das ist sehr deprimierend, weil man möchte natürlich für sein Team und seine Nation da sein", sagte der Torwart. "Gerade wenn man in der Lage ist, Weltklasse-Leistungen zu zeigen, möchte man das in solchen Spielen auf die Platte bringen. Wenn das nicht klappt, ist das sehr, sehr frustrierend. Wenn man keine Hand an den Ball bekommt und überhaupt nicht ins Spiel findet, tut das einfach weh."

Bundestrainer Prokop zog die Konsequenz, indem er Routinier Johannes Bitter gegen Lettland zunächst in das Tor stellte und Andreas Wolff erst später in die Partie brachte. Zu mehr Stabilität hat auch dies nicht geführt. Bitter hatte acht Paraden zu verzeichnen – ein mittelmäßiger Wert. Noch schlechter lief es bei Wolff: Er parierte keinen einzigen Ball.

Der nicht im EM-Kader stehende Nationalspieler Bastian Roscheck kennt Wolff und kann daher erahnen, was nun in dem Nationaltorwart vorgeht. "Ich denke, dass er angefressen ist", sagte er bei Sky Sport News HD. "Er ist ein unfassbar ehrgeiziger Spieler. Der wird morgen mit Sicherheit der Erste sein, der wieder an sich arbeitet. Das ist sein Anspruch. Er kann für Deutschland Spiele gewinnen."

Stark besetzte Abwehr findet nicht zu ihrem Spiel

Ohnehin wäre es zu einfach, die bislang durchwachsene EM lediglich an den Torhütern festzumachen. Ihre Leistung hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Abwehr funktioniert. Und bislang tut sie das nicht.

Eigentlich hat Deutschland mit Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler vom THW Kiel zwei der besten Abwehrspieler der Welt in ihren Reihen. Doch auch hier bleibt die Nationalmannschaft unter ihren Möglichkeiten.

Ob Deutschland nun in einer 6:0-Formation oder einer 3:2:1-Formation verteidigt – Stabilität strahlt die Mannschaft nicht aus. Pekeler gibt sich im ZDF selbstkritisch: "Lettland fand immer den freien Mann und hat viel über den Kreis gespielt. Uns hat das Fingerspitzengefühl gefehlt. Wir müssen darüber reden, warum wir es im ganzen Turnier noch nicht geschafft haben, zu unserer Abwehr zu finden, die eigentlich unser Prunkstück sein sollte."

Das Problem ist: Funktioniert die Abwehr nicht, können die Gegenspieler direkt zum Tor ziehen und haben eine freie Wurfbahn. Torhüter stehen dann vor fast unlösbaren Problemen. Bitter erklärt: "Wenn man viele freie Würfe bekommt, ist es schwer, aus so einer Phase ins Spiel hineinzufinden."

Es gibt also genügend Baustellen, die die deutsche Nationalmannschaft vor dem ersten Hauptrundenspiel am Donnerstag gegen Weißrussland beseitigen muss.

Verwendete Quellen:

  • zdf.de: Kühn: "Immerhin den kühlen Kopf bewahrt"
  • focus.de: Bundestrainer kritisiert Wolff und Bitter: "Hatten ein Defizit auf der Torhüterposition"
  • Sky Sport News Sendung vom 13. Januar 2020
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