Die deutschen Handballer sind im WM-Viertelfinale ausgeschieden. Bundestrainer Alfred Gislason sah in dem 30:31 nach Verlängerung gegen Portugal keinen Rückschlag. Der Anspruch war aber ein anderer. Und die Probleme des DHB-Teams bekam er im Turnier nicht entscheidend gelöst.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Alfred Gislason wählte den sportlich-nüchternen Ansatz. Vielleicht war es ein wenig Selbstschutz, dass der Bundestrainer mit einem scheinbaren Ruhepuls von 100 das dramatische Viertelfinal-Aus der deutschen Handballer kurz nach dem 30:31 nach Verlängerung gegen Portugal analysierte. Seine Mannschaft steckte da wenige Meter entfernt noch im emotionalen Ausnahmezustand zwischen Verzweiflung, Enttäuschung und Frust.

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"Nach einem sehr schlechten Start hat die Mannschaft großartig gekämpft, auch beweglich gespielt", sagte Gislason am ARD-Mikrofon. "Wir machen im Angriff zu viele Fehlwürfe und leisten uns zu viele technische Fehler. Das ist sehr bitter für die Jungs nach diesem Kampf und diesem Einsatz, dass sie in letzter Sekunde nicht weiterkommen."

Deutsche Mannschaft in Schockstarre

Diese niedergeschlagene Stimmung war deutlich zu sehen und zu spüren. Teile der Mannschaft befanden sich in einer Art Schockstarre. Torhüter Andi Wolff konnte sich nach einer erneuten Weltklasse-Leistung hingegen kaum beruhigen, tobte regelrecht. Renars Uscins versteckte sich und seine Tränen nach einem schwachen Auftritt unter einem Handtuch.

Juri Knorr wiederum starrte ins Nichts. Ihn konnte es nicht im Ansatz trösten, dass er mit dafür sorgte, dass es überhaupt in die Verlängerung ging. Er hatte in der Crunchtime Verantwortung übernommen, wichtige Tore erzielt - gereicht hat es trotzdem nicht. Und Lukas Zerbe wird sich über seine neun Tore wahrscheinlich erst in ein paar Tagen freuen können. Wenn überhaupt.

Medaillenchance leichtfertig verspielt

Denn das DHB-Team hat unter dem Strich eine gute Gelegenheit leichtfertig verspielt. Zwar hatte man sich in der ersten Halbzeit von den frechen und vor Selbstbewusstsein strotzenden Portugiesen phasenweise vorführen lassen. Die Deutschen kamen einmal mehr nicht in die Partie rein, zeigten keine Körpersprache, vor allem nicht in der Abwehr. Dort ging es nicht physisch genug zu, und so kam man auch nicht mit genug Schwung und Mut aus der Abwehr heraus in den Angriff.

Während die Portugiesen, die erstmals überhaupt in einem WM-Viertelfinale standen, ihren während des Turniers erspielten Flow nutzten, spielte Deutschland gehemmt, fast wie gelähmt, mit angezogener Handbremse in den eigenen Aktionen, ohne Durchschlagskraft und Ideen. Dabei schaffte es die Offensive nicht, die gegnerische Defensive durch ein gebundenes Spiel in Bewegung zu bekommen. Wolff war es mit insgesamt 21 teilweise sensationellen Paraden, der das deutsche Team immer wieder im Spiel hielt.

Das Bittere: Wie schon das ganze Turnier über fehlten Leichtigkeit und Selbstvertrauen, doch über Kampf und Willen fand die deutsche Mannschaft zurück ins Spiel und hatte den Halbfinal-Einzug in der Schlussphase sogar in der eigenen Hand.

Doch wieder waren es Unkonzentriertheiten, überhastete Aktionen und Fehler, die den Portugiesen zunächst die Verlängerung ermöglichten und dort den ebenso sensationellen wie historischen Einzug in das Halbfinale. Das deutsche Team war im entscheidenden Moment nicht clever und abgezockt genug.

Golla: "Wir kommen sicher wieder"

"Es tut weh, so auszuscheiden", sagte Wolff, als er sich wieder beruhigt hatte. "Wir hatten den Fuß schon halb in der Tür", haderte Kapitän Johannes Golla, der beim entscheidenden Treffer vier Sekunden vor Schluss Martim Costa nicht stoppen konnte: "Am Ende sind es Kleinigkeiten. In dem einen Moment sind wir nicht kompakt genug, schaffen es nicht, den Kontakt aufzubauen und stehen jetzt als Verlierer da", sagte Golla. Und schob hinterher: "Wir kommen sicher wieder."

Nach Platz fünf bei der WM 2023, Rang vier bei der EM und Silber bei Olympia 2024 ist das Viertelfinal-Aus in diesem Jahr nicht nur auf dem Papier ein Rückschlag. Dem eigenen Anspruch, das Halbfinale erreichen und um die erste WM-Medaille seit 18 Jahren spielen zu wollen, wurde das deutsche Team während der WM zu selten gerecht.

Stattdessen zogen sich Probleme wie verschlafene Anfangsphasen, eine fehlende Lockerheit oder eine mangelnde Chancenverwertung durch das Turnier. Der Mannschaft fehlte die Konstanz, Stabilität, aber auch Esprit und Effizienz. Kein Weltuntergang, aber eben nicht das, was man sich vorgenommen hatte.

Gislason sieht keinen Rückschlag

Durch den selbst gesetzten Anspruch entstehe "eine gewisse Verkrampftheit", sagte ARD-Experte Dominik Klein. "Wir haben das erarbeitet, wir haben es aber nicht erspielt." Er würde sich als Lehre gerne wünschen, "dass wir lockerer und mehr aus dem Selbstbewusstsein heraus performen wollen. Und was dazu führt, so etwas wiederzubekommen, ist die Abschlussstärke", so der Ex-Weltmeister.

Und wer dafür sorgt, ist der Bundestrainer, der die Probleme in den vergangenen Wochen nicht abstellen konnte. Trotz allem stellt Gislason klar: "Es ist kein Rückschlag. Denn die Mannschaften sind alle eng beieinander." Er verwies darauf, dass man "einen Haufen" starker Nationen wie Schweden, Spanien und Norwegen hinter sich gelassen habe. Und er versprach: "Wir lernen daraus." Wahrscheinlich mit einem sportlich-nüchternen Ansatz.

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