Die ehemalige deutsche Top-Turnerin Tabea Alt erhebt deutliche und vor allem öffentliche Vorwürfe, die nun nicht ungehört bleiben sollen. Der Verband bestätigt konkrete Hinweise.
Die ehemalige Spitzenturnerin Tabea Alt hat dem Deutschen Turner-Bund (DTB) und dem Schwäbischen Turnerbund (STB) "systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch" vorgeworfen. Die Gesundheit junger Turnerinnen werde "gezielt und bewusst aufs Spiel gesetzt", sowie "ärztliche Vorgaben missachtet", schrieb die 24-Jährige bei Instagram. Man habe sie selbst mit mehreren Frakturen in Wettkämpfe geschickt. Sie sei kein Einzelfall.
Alt hatte ihre Stellungnahme mit dem Satz begonnen: "Du bist nicht das, was Dir angetan wurde!" Lange Zeit habe sie gezögert, sich öffentlich über die Missstände in Stuttgart, aber auch im deutschen Frauen-Turnen generell zu äußern. "Der Gedanke, solche Themen besser intern anzusprechen, schien mir sicherer, da die Öffentlichkeit oft zu wenig Hintergrundwissen hat, um fair zu urteilen oder richtige Schlüsse zu ziehen."
Vor drei Jahren habe sie sich in einem "ausführlichen Brief" an ihre Trainer, die damalige Bundestrainerin Ulla Koch, den DTB-Präsidenten Alfons Hölzl, den Teamarzt und an weitere Verantwortliche gewendet und auf Missstände hingewiesen, schrieb Alt. Sie habe Lösungsvorschläge unterbreitet und ihre eigene Unterstützung angeboten. "Es wurde ignoriert oder einfach nicht ernst genommen", so Alt.
In diesem Zusammenhang "liegen DTB und STB konkrete Informationen zu möglichem Fehlverhalten von Seiten verantwortlicher Trainer am Bundesstützpunkt in Stuttgart vor", teilten der DTB und STB in einem gemeinsamen Statement auf SID-Anfrage mit: "Beide Verbände werden gemeinsam eine Untersuchung initiieren, in der das Geschehen aufgearbeitet wird. Für diese Untersuchung wird auch externe Unterstützung hinzugezogen werden."
Und weiter: "Bis zur Klärung der Sachlage und zum Schutze aller werden kurzfristige, das Training betreffende Maßnahmen am Stuttgarter Kunstturnforum initiiert."
Laut Alt gehe es um die Gesundheit junger, minderjähriger Menschen, "dass deren Karrieren nicht aufhören, bevor sie überhaupt angefangen haben". Essstörungen, Straftraining, Schmerzmittel, Drohungen und Demütigungen seien an der Tagesordnung gewesen. "Wir wurden von klein auf manipuliert, um somit kontrollierbar zu sein."
Auch die mehrfache deutsche Meisterin Kim Bui hatte bereits im vergangenen Jahr von Essstörungen berichtet. Sie war mit 15 Jahren an Bulimie erkrankt.
Alt beendete Karriere verletzungsbedingt mit 21 Jahren
Es werde "endlich Zeit, dieses fehlerhafte und gnadenlose System zu verändern. Ein System, das junge Talente verheizt und die mentale und körperliche Gesundheit junger Athletinnen gefährdet. Es geht darum, dass die Verantwortlichen in diesem System endlich Verantwortung übernehmen", forderte Alt. Es gehe um "das Wertvollste, was wir haben: die mentale und körperliche Gesundheit junger Menschen - sie darf niemals der Preis für sportlichen Erfolg sein."
Alt turnte, wie Bui, unter anderem für den MTV Stuttgart. 2016 nahm sie an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teil und stand mit dem Team im Finale, 2017 holte sie mit der Mannschaft WM-Bronze in Kanada. 2021 beendete sie ihre Karriere verletzungsbedingt im Alter von 21 Jahren. (sid/dpa/bearbeitet von mbo)
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