Nur noch neun Sekunden: Tadej Pogacar kommt Spitzenreiter Jonas Vingegaard bei der Tour de France immer näher. Für das Gelbe Trikot kommt die Attacke am Grand Colombier zu spät. Den Sieg am Nationalfeiertag aber sichert sich - zum Leidwesen der französischen Fans - ein Pole.
Tadej Pogacar rollte bei seinem nächsten Nadelstich im Sekunden-Poker fast mit einem Lächeln über den Zielstrich, der völlig entkräftete Jonas Vingegaard musste knapp dahinter von einem Helfer von der Straße geschoben werden.
Der Thriller namens 110. Tour de France wurde am Grand Colombier noch einmal spannender, nur noch neun Sekunden trennen Verfolger Pogacar von Spitzenreiter Vingegaard. Dem explosiven Antritt des Slowenen auf dem letzten Kilometer konnte der schmächtige Däne einmal mehr nicht folgen.
"Es war ein kleiner Sieg für uns mit den Sekunden. Das ist ein guter Anfang", sagte Pogacar am französischen Nationalfeiertag mit Blick auf die bis zum 19. Juli folgenden Alpenetappen. Den Etappensieg holte sich Ex-Weltmeister Michal Kwiatkowski als Solist vor dem Belgier Maxim van Gils. Pogacar wurde Dritter und sicherte sich so vier weitere Bonussekunden.
Team Emirates gibt das Tempo vor
Pogacar lobte seinen Widersacher Vingegaard er in den höchsten Tönen: "Er ist ein super Fahrer, einer der besten Kletterer der Welt. Es ist echt schwer, ihn abzuhängen. Ich habe es mit einem langen Sprint versucht, am Ende war ich richtig am Limit. Aber die Sekunden waren es wert." Vingegaard meinte gelassen: "Das Ziel war es, mein Gelbes Trikot zu verteidigen. Das ist mir gelungen. Die Tour wurde erst einmal durch wenige Sekunden entschieden."
Oben am Berg befand sich auch Pogacars Freundin Urska Zigart als Fan an der Strecke. "Er ist noch nicht im Gelben Trikot, es sind noch neun Sekunden. Aber ich bin überzeugt, er wird weiterhin sein Bestes geben", sagte Zigart der ARD. Die 26-Jährige ist ebenfalls Radprofi, war vor etwa einer Woche beim Giro Donne gestürzt.
Pogacars Team war mit hohem Tempo in den Schlussanstieg im französischen Teil des Juras gefahren. Vingegaard, der zum 18. Mal in seiner Karriere das Gelbe Trikot trug, wich nicht vom Hinterrad des Slowenen, nahm ihn praktisch in Manndeckung. Pogacar kam mit besten Erinnerungen zurück an den Grand Colombier. 2020 hatte er die Tour-Etappe auf den 1501 Meter hohen Gipfel bereits gewonnen.
Erst auf dem letzten Kilometer griff sich Pogacar ein Herz, setzte eine seiner gefürchteten explosiven Attacken. Vingegaard ließ nach etwa 200 Metern abreißen, hielt den Schaden aber noch in Grenzen und rollte knapp hinter Pogacar über die Ziellinie. Georg Zimmermann hielt sich lange in der Fluchtgruppe des Tages auf, hatte aber keine Chance auf den Sieg. "Es ist ein bisschen schade, dass ich da nicht mehr hingekommen bin. Heute habe ich keinen Fehler gemacht. Es ist ein bisschen unglücklich, dass am Ende die Gesamtwertungsfahrer noch an mir vorbeifliegen", sagte der 25-Jährige.
Ausreißer Kwiatkowski rettet sich zum Etappensieg
Der Nationalfeiertag hatte bei der Tour in der Vergangenheit immer wieder für Geschichten gesorgt, die man sich heute noch erzählt. Vor sieben Jahren joggte Chris Froome im Gelben Trikot wie von Sinnen den Mont Ventoux hoch, weil sein Rad defekt war. Vor 20 Jahren stürzte der Spanier Joseba Beloki auf dem Weg nach Gap in einer Abfahrt, der hinter ihm fahrende Lance Armstrong wich aus und rumpelte quer über einen Acker. Vor 25 Jahren brach der mit diversen Dopingmitteln festgenommene Pfleger Willy Voet in der Untersuchungshaft sein Schweigen und der Festina-Skandal eskalierte.
Am 14. Juli blieben geschichtsträchtige Vorfälle zunächst aus. Nach gut 30 Kilometern stand eine Gruppe mit 19 Fahrern, unter ihnen auch Zimmermann. Der bergfeste Augsburger war bereits am Dienstag Zweiter geworden und hoffte auf eine erneute Chance auf einen Etappensieg. Doch Pogacar hatte Lust auf den Sieg und dementsprechend etwas dagegen. Der zweimalige Tour-Sieger schickte sein Team im Feld nach vorn, der Vorsprung der Gruppe wurde über weite Strecken bei etwa zwei Minuten gehalten.
Entsprechend schnell war es. Allein in der ersten Rennstunde wurden über 50 Kilometer zurückgelegt, nach zwei Stunden war der Schnitt kaum geringer. Dennoch war die Flucht von Anfang an für viele Ausreißer zum Scheitern verurteilt. Am Ende kamen nur Kwiatkowski und van Gils durch.
Die Tour kommt in die Alpen
Am 15. Juli steht mit dem 151,8 Kilometer langen Weg nach Morzine die erste richtig schwere Alpenetappe an. Drei Berge der ersten Kategorie müssen erklommen werden, ehe es auf dem der höchsten Kategorie zugeordneten Col de Joux Plane sogar noch Bonussekunden gibt. In der zwölf Kilometer langen Abfahrt zum Ziel kann kaum noch Zeit aufgeholt werden. (dpa/hau)
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