Die 9. Etappe der Tour de France erinnerte wieder einmal daran, wie gefährlich Radsport ist. Zahlreiche Stürze überschatteten das Event. Die Veranstalter machen sich über die Sicherheit der Sportler wenig Gedanken, lautet der Vorwurf. Aber trifft er auch zu?
Die Königsetappe wurde zum Höllen-Trip: Bei der 9. Etappe der Tour de France 2017 am vergangenen Sonntag ereigneten sich unzählige Stürze.
Die Reaktionen der Fahrer ließen nicht lange auf sich warten. "Es war sehr rutschig und ich denke die Veranstalter haben bekommen, was sie wollten", schimpfte der Ire Daniel Martin, der bei dem Horror-Crash des Australiers Richie Porte mitgerissen worden war, die Etappe aber ohne schwerere Blessuren beenden konnte.
Auch Tony Martin sparte im Anschluss an die Etappe nicht mit Kritik. "Wenn die Organisatoren ein bisschen an die Gesundheit der Fahrer denken würden, dann könnte man sich solche Abfahrten sparen", sagte der deutsche Zeitfahr-Weltmeister der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Richie Porte stürzt schwer
Es war eine verrückte Streckenführung, die auch den Organisatoren zu denken geben sollte: Sieben Mal ging es am Sonntag bergauf. Sieben Mal steil wieder bergab.
Die Rad-Profis rasten mit bis zu 80 km/h über nasse und teilweise schlecht befestigte Straßen. Es wäre ein Wunder gewesen, hätte es keine Unfälle gegeben.
Doch dieses Wunder blieb aus: Porte klatschte gegen eine Felswand, brach sich Schlüsselbein und Becken und musste mit einer Halskrause ins Krankenhaus gebracht werden.
"Es ist eine große Enttäuschung. Ich war in einer tollen Form", teilte Porte am Montag in einem zweiminütigen Videoclip aus dem Krankenhaus in Chambéry mit und ergänzte: "Andererseits habe ich auch den Crash gesehen und ich muss sagen, dass ich Glück hatte, mit den Verletzungen davongekommen zu sein."
Der Brite Geraint Thomas brach sich ebenfalls das Schlüsselbein. Der Pole Rafal Majka, Kapitän des deutschen Teams Bora-handgrohe, gab am Montag wegen schwerer Prellungen und großflächiger Hautabschürfungen auf.
Schwere Vorwürfe gegen die Veranstalter
Wieder einmal stellt sich die Frage: Spielen die Veranstalter der Tour de France mit der Gesundheit ihrer Fahrer?
Werden folgenschwere Stürze hingenommen, um den Zuschauern ein Spektakel zu bieten? Dieser Vorwurf ist nicht neu.
Bereits im vergangenen Jahr geriet der Veranstalter, die Amaury Sport Organisation (ASO), in die Kritik.
Die Sportler bemängelten, dass zu wenig in die Sicherheit investiert wird.
Die Kritikpunkte: Die Streckenführungen sind zu riskant, Bergprüfungen zu waghalsig, zudem bestünde durch Begleitmotorräder eine Kollisions-Gefahr.
Der deutsche Profi Marcel Kittel sagte damals in der "Bild"-Zeitung: "Tour-Organisator ASO hat im Fahrer-Meeting gesagt, dass viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden. Ich muss sagen, davon spüre ich nichts."
Sein Vorwurf: Die Veranstalter kümmern sich fast nur noch um den Kampf gegen Doping, welchen Kittel zwar begrüßt.
Dafür aber seien die Sicherheitsaspekte in Vergessenheit geraten: "Wir müssen zusammenarbeiten, um diesen Sport sicherer zu machen."
Die Organisatoren zeigten schon damals wenig Verständnis für die Kritik. Im vergangenen Jahr sagte Tour-Chef Christian Prud'homme: "Wir sind keine Ahnungslosen, viele ehemalige Rennfahrer wirken in der Organisation mit. Wir unternehmen alles, um heikle Stellen zu umgehen, um Gefahren zu minimieren."
Die diesjährige Streckenführung lässt jedoch das Gegenteil vermuten.
Radsport hat viele Tote zu beklagen
Tatsache ist: Radfahren zählt zu den gefährlichsten Sportarten der Welt. Während es in der Formel 1 in den vergangenen 23 Jahren "nur" einen Todesfall gab, waren es im Radrennsport innerhalb des gleichen Zeitraums laut Wikipedia 30 (Trainingsunfälle nicht eingerechnet).
Auch Marcel Kittel erlebt den Radsport als Gratwanderung. "Es gibt keine andere Sportart, in der die Balance zwischen Leben und Tod so gegeben ist", sagte der 29 Jahre alte Erfurter am Montag, dem ersten Ruhetag der diesjährigen Tour de France.
"Die Tour kann oft schneller vorbei sein, als man denkt. Einmal falsch gebremst und es ist aus", erklärte der dreimalige Tour-Etappensieger Kittel im Rückblick auf die Stürze am Sonntag.
Diese Erfahrungen haben bei dieser Tour bereits wieder zu viele Radprofis machen müssen.
Längst steht wie beim Motorsport, bei alpinen Ski-Abfahrten oder Extremsport-Events auch beim Radsport die verstörende Vermutung im Raum, viele Zuschauer würden Unfälle und Stürze geradezu erwarten.
Ob dem wirklich so ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Doch eines steht fest: Mit den immer riskanteren Streckenprofilen verschärft der Veranstalter die Gefahr, derer sich die Sportler aussetzen müssen.
Und wenn sich Menschen schwer verletzen, Knochenbrüche davontragen oder gar Halskrausen angelegt bekommen müssen, dann darf niemand mit gesundem Menschenverstand daran ein Interesse haben.
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