Offene Kommunikation über eigene Fehler und psychische Probleme: Martina Voss-Tecklenburg kehrt zu ihrer alten Stärke zurück und zeigt erneut, warum sie ein Vorbild ist. Das Ende dieser Ära tut weh, ist aber nun verständlicher.

Tamara Keller
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Tamara Keller (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In diesem Text geht es um mentale Gesundheit, Depressionen und Suizid. Wenn diese Themen etwas in Ihnen auslösen können, lesen Sie ihn bitte nicht alleine. Hilfe bekommen Sie auch bei der Telefonseelsorge 0800 1110111.

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Offen und selbstreflektiert - so war die Öffentlichkeit die Kommunikation von Martina Voss-Tecklenburg gewohnt, als sie noch in ihrem Amt als Bundestrainerin tätig war. "Kommunikationsdesaster" wird im ersten Interview nach ihrer Entlassung das genannt, was zwischen Voss-Tecklenburg und dem DFB passiert sein soll. Im Gespräch mit dem ZDF-Sportstudio findet Voss-Tecklenburg aber auch zurück zu ihrer alten Stärke: der transparenten Kommunikation. Davon kann der gesamte Leistungssport lernen.

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Die Sichtbarkeit von mentaler Gesundheit und Krankheit

Offen spricht sie über Panikattacken und anhaltende Schlaflosigkeit seit zweieinhalb Jahren und wie sie nach der WM im Sommer - aber auch schon davor - ausgebrannt war: "Der wichtigste Punkt ist, das erstmal zu akzeptieren, dass du gerade nicht funktionierst." Sie sei Gefahr gelaufen, in Depressionen zu rutschen.

Im Nachhinein so offen über die eigene Psyche zu sprechen ist ein Zeichen von großer Stärke. Der deutsche Leistungssport sollte so etwas viel öfter thematisieren. Natürlich steht dabei auch im Fokus, wie sehr sich die oder der Betroffene dazu bereit fühlt. Aber Sichtbarkeit für diese Themen schafft auch mehr Akzeptanz.

Immer wieder ploppen die Themen Psyche, Leistungsdruck, Burnout und Depressionen zwar auch im Leistungssport auf, aber noch nicht genug. Erst vor kurzem jährte sich der Todestag von Robert Enke zum 14. Mal. Nach seinem Suizid war die Öffentlichkeit sich einig: Jetzt muss sich etwas im deutschen Fußball ändern. Ob sich wirklich so viel verändert hat, was mentale Gesundheitsvorsorge betrifft, stellt der Fall Voss-Tecklenburg hiermit infrage.

Selbstreflektiert Fehler eingestehen

Voss-Tecklenburg setzt sich hin und sagt: "Wie dumm - Fehler". Mehrfach gesteht sie, falsch gehandelt zu haben. So viel Selbstreflexion muss man jetzt auch von Bernd Neuendorf oder dem DFB erwarten: Denn als Arbeitgeber muss dieser sich wirklich fragen, warum es kein Sicherheitsnetz gab, dass Voss-Tecklenburg vorher aufgefangen hat.

Und zugleich scheint die Art und Weise, wie die Ex-Bundestrainerin mit dem Thema umgeht, bezeichnend: Zu selten gibt es das noch, dass sich nach einem Scheitern jemand hinsetzt und sich selbst und sein Handeln hinterfragt. Man stelle sich vor, Uli Hoeneß hätte mal so in schwierigen Zeiten Krisenkommunikation betrieben. Fest steht: Das kann nicht jeder, aber es ist ein Zeichen von wahrer Größe. Mehr davon im deutschen Fußball und Leistungssport, bitte!

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Wie sollten Medien und Öffentlichkeit damit umgehen?

Auch zeigt dieser Fall sehr gut, dass vorschnell zu urteilen nie etwas bringt. Kaum war Voss-Tecklenburg krank geschrieben und zog sich zurück, tauchten schon die ersten Titel auf: "Entlässt der DFB nun Voss-Tecklenburg?" Ihr plötzlicher Rückzug aus der Öffentlichkeit, die Ankündigung des DFB, sie falle wegen anhaltender Krankheit aus, die Art und Weise, wie nichts Konkretes formuliert wurde, legte nahe, dass es sich hier entweder um eine sehr schlimme physische oder psychische Krankheit handeln musste.

Natürlich wäre es auch nicht richtig, stattdessen darüber zu spekulieren. Aber es wirft zeitgleich die Frage nach dem Umgang damit auf: Heute werden so schnell auf Instagram Zitatkacheln zu mentaler Gesundheit und Achtsamkeit gepostet, warum ist es trotzdem so schwer mit Personen des öffentlichen Lebens auch achtsamer umzugehen?

Da müssen auch wir als Öffentlichkeit noch dazu lernen. Denn es ist klar, dass nur der oder die Betroffene selbst entscheiden kann, wann die eigenen psychischen Belange kommuniziert werden. Es muss auch die Möglichkeit geben, solche Dinge später anzusprechen, wenn es einem besser geht - ohne, dass direkt ohne Hintergrundwissen die gesamte Rolle einer Person hinterfragt wird.

Was schieflief

Es gibt trotzdem ein paar Dinge, die nach wie vor einen Beigeschmack haben: Die Einmischung ihres Mannes, der die öffentliche Kommunikation übernahm, bei der Voss-Tecklenburg einräumt, dass es nicht in ihrem Sinne geschah.

Bei der Art und Weise, wie zwischen dem DFB und der Familie Voss-Tecklenburg in der Öffentlichkeit kommuniziert wurde, hätte man am liebsten allen Beteiligten einmal laut zugerufen: "Setzt euch doch alle mal an einen Tisch und regelt das!" - aber dabei ist ja auch das Problem, dass sich Voss-Tecklenburg, wie sie jetzt sagt, dazu gar nicht in der Lage sah.

Auch ihr Auftritt beim Zahnärztetag scheint unter den Umständen falsch gewählt - wie sie selbst auch einräumt. Und es ist klar, warum Voss-Tecklenburg sich ausgerechnet jetzt so in dieser Form äußert: Es ist eine Aufpolierung des eigenen Images. Bestimmt hätten sich mehrere Beteiligte früher so eine offene Kommunikation gewünscht, das wird auch aus dem Gespräch deutlich.

Aber manche Dinge sind im Nachhinein betrachtet einfach anders. Zudem bleibt auch die Frage offen, warum es nicht zu der gemeinsamen Presseerklärung zwischen dem DFB und seiner Ex-Bundestrainerin kam. "Aus unterschiedlichen Gründen", führt Voss-Tecklenburg an, geht aber nicht weiter darauf ein. Nun liegt der Ball beim DFB, denn nach diesem ganzen Kommunikationswirrwarr, könnte man das auch auf die Stellung, die der Fußball der Frauen innerhalb des Verbands inne hat, umdeuten.

Trotzdem ist es schade, dass diese Ära so enden musste, den mit Martina Voss-Tecklenburg hat sich dieses Nationalteam stets weiterentwickelt und ein regelrechter Hype ist entstanden. Die Reise hätte noch länger weitergehen können, aber es sollte wohl nicht so sein.

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