Die Weltmeisterin und ehemalige Welttorhüterin Nadine Angerer kennt Olympia gut. Dreimal nahm sie mit den Fußball-Frauen teil, dreimal gewann sie Bronze. Im Interview spricht unsere Olympia-Expertin über ihre persönlichen Eindrücke zu den vergangenen Spielen.
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Nadine Angerer: Die Frauen spielen schon seit Jahren zusammen, sie kennen sich in- und auswendig. Zudem ist die Mannschaft für ihr junges Alter schon sehr erfahren, wurden vor drei Jahren Europameister. Das hat uns geholfen. Außerdem besitzt das Team einen überragenden Spirit. So war eigentlich klar, dass wir mit fortschreitendem Turnierverlauf als Mannschaft immer besser funktionieren werden. Zusätzlich hatten wir mit Silvia Neid eine sehr gute Trainerin, aber natürlich auch Einzelspieler, die jederzeit den Unterschied machen können. Wie zum Beispiel Dzsenifer Marozsan im Finale.
Bei den Männern war es etwas schwieriger. Die Jungs kannten sich nicht richtig, hatten nur fünf Trainingseinheiten vor dem Turnier. Die Mannschaft hat so noch nie zusammengespielt und wird das vermutlich auch nicht mehr. Die Schwierigkeiten, die fehlende Abstimmung sah man in den ersten beiden Spielen der Gruppenphase. Aber sie wuchsen im Laufe des Turniers immer besser zusammen. Der Teamgeist war letztlich auch hier zu sehen. Zudem hatten sie einen richtigen Trainerfuchs an der Seite.
Sie haben Ihre Karriere erst vor kurzem beendet. Sind sie traurig, beim Goldtriumph der Frauen nicht als Spielerin dabei gewesen zu sein?
Klar hätte ich in meiner Karriere auch gerne olympisches Gold gewonnen. Aber ich war in keiner Sekunde wehmütig. Ich hab mit den Mädels bei jedem Spiel als großer Fan mitgefiebert. Ich weiß aber auch, was es heißt, so ein Ziel zu erreichen. Die intensive Vorbereitung, die vielen Trainingsstunden, dem trauere ich kein bisschen nach. Aber die Siegerparty hätte ich auch gerne mitgemacht (lacht).
Auch bei allen anderen Mannschaftssportarten, bei denen Deutschland vertreten war, gab es eine Medaille. Sind wir nicht nur im Fußball eine Turniermannschaft? Woran liegt das?
Ich glaube, generell auf alle Turniere bezogen, haben deutsche Teams immer sehr viele Titel geholt. Wir sind einfach eine Ballnation – egal ob Handball, Fußball, Volleyball oder Hockey. Ob jetzt die anderen Mannschaften auch Turniermannschaften sind, kann ich so nicht beurteilen, da fehlen mir die genauen Einblicke. Aber ich gehe davon aus, dass wir Deutschen insgesamt eine Mentalität haben, die auf solche Situationen zugeschnitten ist.
Die Spiele sind vorbei. Deutschland hat 42 Medaillen geholt. 44 waren das Minimalziel. Sollten wir jetzt enttäuscht sein?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke 42 Medaillen hören sich erst einmal nicht schlecht an. Ich denke aber auch, dass mehr drin gewesen wäre. Das ist aber ein Problem der Förderung. Die Unterstützung ist vor allem bei Randsportarten nicht genug. Man muss bedenken, dass viele ihren Sport für kleines Geld ausüben. Da muss man sich natürlich früher oder später die Frage stellen, ob das für den Lebensunterhalt reicht und wie viel man in den Sport investieren kann. Ich glaube, es wäre viel mehr möglich. Deutschland ist ein sportbegeistertes und talentiertes Land, ausgestattet mit einer sehr guten Winner-Mentalität. Die Randsportarten brauchen aber sehr viel bessere und strukturiertere Unterstützung. Durch mein Leben in den USA sehe ich die Unterschiede in der Förderung. Es ist traurig, wenn ein junger, talentierter Sportler mit Mitte 20 den Leistungssport aufgeben muss, weil er seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann. Ich würde mir wünschen, dass die Sporthilfe und die Verbände noch mehr für ihre Sportler machen. Deutschland hat eine Vielzahl an guten, jungen Talenten, die Menschen sind begeisterungsfähig. Da ist garantiert noch eine Menge Luft nach oben.
Was waren Ihre Highlights der Spiele?
Mein persönliches Highlight war natürlich die Goldmedaille der Frauen im Fußball. Aber auch die Silbermedaille der Männer zähle ich zu meinen Höhepunkten. Mich hat aber jede einzelne Medaille für das Team Germany total gefreut. Insgesamt haben mich die Emotionen bei den Spielen begeistert. Unerwartete Gewinner, die sich über ihren Erfolg freuen oder Sportler, die alle vier Jahre einmal eine riesen Plattform haben und dann weinend mit ihrer Medaille auf dem Podest stehen. Vor allem in den Randsportarten, die sonst weniger Beachtung finden und bei Olympia plötzlich ins Rampenlicht rücken. Das sind Bilder, die man nicht täglich sieht. Solche Eindrücke gehören immer zu meinen Highlights.
Gibt es auch Enttäuschungen?
Wenn man von Enttäuschung spricht, sollte man immer erstmal bedenken, dass es bereits eine große Leistung ist, sich für Olympia zu qualifizieren. Klar hat man Erwartungen, an sich selbst und auch von außen. Aber bei so einem Großereignis dabei zu sein, sollte bereits als Erfolg gesehen werden. Enttäuscht bin ich somit eigentlich von keinem. Wenn ich etwas oder jemanden nennen müsste, so wären es vielleicht die Schwimmer. Dort haben wir keine Medaille geholt. Aber generell freut es mich für jeden Athleten, wenn er sich für Olympia qualifizieren konnte.
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