- Christine Mboma und Beatrice Masilingi aus Namibia sind vom 400-Meter-Rennen der Frauen bei Olympia in Tokio ausgeschlossen.
- Grund sind zu hohe Testosteronwerte der beiden 18-Jährigen.
- Nun treten sie über 200 Meter an.
Ende Juni hatte Christine Mboma bei einem Leichtathletik-Meeting im polnischen Bydgoszcz mit 48,54 Sekunden eine neue Weltjahresbestleistung über 400 Meter aufgestellt. Ihre Landsfrau und Trainingspartnerin Beatrice Masilingi brauchte für die Distanz 49,53 Sekunden und zählte deshalb ebenfalls zu den Medaillenanwärterinnen bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Doch beim 400-Meter-Rennen in zwei Wochen werden die beiden 18-Jährigen nicht dabei sein. Der Grund sind zu hohe natürliche Testosteronwerte, die ihnen laut Reglement des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF einen Start auf den mittleren Distanzen von 400 bis 1.500 Meter verbieten. Mboma und Masilingi sagten nach Bekanntgabe des Startverbots, dass sie von ihrem zu hohen Testosteronspiegel nichts gewusst hätten.
Erinnerung an Fall Caster Semenya
Ihnen ergeht es nun wie der zweimaligen Olympiasiegerin Caster Semenya (Südafrika) sowie Francine Niyonsaba (Burundi) und Margaret Wambui (Kenia), die bei den Spielen 2016 die ersten drei Plätze über 800 Metern belegten, aber in Tokio nicht laufen dürfen. Mboma und Masilingi werden nun auf der 200-Meter-Strecke antreten, für die sie sich ebenfalls qualifiziert haben.
Das Sexualhormon Testosteron wird in größeren Mengen in den Hoden und in geringen Mengen in den Eierstöcken produziert. Es steigert die Anzahl der roten Blutkörperchen. Je höher die Zahl dieser roten Blutkörperchen ist, desto mehr Sauerstoff erhalten die Muskeln. Das bringt Athletinnen und Athleten vor allem Vorteile im Mittelstreckenbereich, wo eine Kombination aus Kraft und Ausdauer benötigt wird.
Medizinische Eingriffe abgelehnt
Eine Sperre könnten Mboma und Masilingi auch in Zukunft nur umgehen, indem sie ihren Testosteronwert medikamentös oder durch einen chirurgischen Eingriff senken lassen. So sieht es das Reglement vor. Aber einen Eingriff lehnt etwa Masilingi ab. "Wenn ich etwas ausprobiere, könnte es passieren, dass etwas mit meinem Körper schiefgeht", sagt die 18-Jährige.
Diesen Standpunkt vertritt seit längerem auch die südafrikanische 800-Meter-Spezialistin Semenya, die mittlerweile vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen ist. Sie nahm von 2010 bis 2015 Medikamente, um ihren Testosteronspiegel zu senken, und sagt zu ihrer Erfahrung: "Die medikamentöse Behandlung brachte viele Nebenwirkungen wie Gewichtsverlust, Fieber und ein ständiges Gefühl von Übelkeit und Bauchschmerzen mit sich."
Diskriminierung gegen afrikanische Athletinnen?
Der IAAF begann mit der verstärkten Analyse der Hormonlevel im Jahr 2009, nachdem Semenya so gute Leistungen ablieferte, dass einige Funktionäre Betrug witterten. Laut Verband wurde bei der Südafrikanerin ein "seltener medizinischer Zustand" festgestellt, der ihr einen "unfairen Vorteil" verschaffen würde.
Von anderer Seite wurde jedoch kritisiert, dass es sich um Rassismus der weißen Funktionäre gegen schwarzafrikanische Athletinnen handeln würde. Diese Debatte flammt nun mit dem Ausschluss von Mboma und Masilingi wieder auf. "Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Welt. Nicht wenige Menschen in Afrika glauben, dass diese Regel nur für Afrika gilt", sagt ihr Trainer Henk Botha.
Inwieweit es einen Zusammenhang zwischen Ethnie und dem Testosteronlevel bei Frauen gibt, ist umstritten. Studien in den USA zeigen auf, dass ältere schwarze Frauen niedrigere Level an Estradiol, einer Form des weiblichen Sexualhormons Östrogen, besitzen als ältere weiße.
Allerdings gibt es immer noch zu wenige Studien, um ein abschließendes Urteil zu fällen. Mehr Studien existieren zum Hormonhaushalt von Männern, wobei diese zumeist zeigen, dass die Testosteronspiegel von Schwarzen und Weißen ähnlich hoch sind.
Andere biologische Vorteile werden im Profisport nicht geahndet
Befürworter der 2019 eingeführten Testosteron-Begrenzung für Athletinnen sagen, dass mit dem neuen Reglement Wettbewerbsverzerrung verhindert werde, weil die Läuferinnen kein Hormon-Doping vornehmen könnten. Kritiker jedoch verweisen darauf, dass Körper unterschiedlich sind und auch im Sport die Anerkennung fluider Geschlechteridentitäten wachsen müsse.
Joanna Harper, Transgender-Athletin und Medizinphysikerin, sagt: "Wenn man einen bestimmten Vorteil herausgreift, um Frauen und Männer voneinander zu unterscheiden, dann nimmt man jenen Vorteil, den eine Gruppe hat und die andere nicht. Und man nimmt einen Biomarker, der zwischen beiden Gruppen weit voneinander abweicht."
Es gibt eine größere Zahl von Polymorphismen, also genetischen Abweichungen von der Norm, die darüber entscheiden, ob eine Athletin oder ein Athlet überhaupt auf dem höchsten Level mithalten kann. Biomechanische Vorteile wie etwa besonders lange Beine oder außerordentliche Rumpfflexibilität werden vom Reglement nicht geahndet. Aber beim Testosteronspiegel zieht das Regelbuch eine klare Grenze. Und diese Grenze wurde von Mboma und Masilingi – zu ihrem eigenen Nachteil und wohl nicht willentlich – übertreten.
Verwendete Quellen:
- Joanna Harper: "Sporting Gender: The History, Science, and Stories of Transgender and Intersex Athletes" (2020)
- Jeanne Manson, Mary Sammel, Ellen Freeman, Jean Grisso: "Racial differences in sex hormone levels in women approaching the transition to menopause" (2001)
- International Association of Athletics Federations (IAAF): Competition Rules 2020-2021
Olympische Spiele: Fragen und Antworten zum Start in Tokio
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