Der Reitsport befindet sich in Deutschland in einem Umbruch, er kämpft um die gesellschaftliche Akzeptanz. Wie ist der deutsche Reitsport aufgestellt, wie zukunftsfähig ist er? Wir haben mit Jens Adolphsen, dem Vorsitzenden des DOKR-Ausschusses Vielseitigkeit, darüber gesprochen.
Einen konkreten Anlass für eine Standortbestimmung des deutschen Reitsports gibt es eigentlich gar nicht. Vielleicht ist es aber genau deshalb ein guter Zeitpunkt, sich neu auszurichten, Dinge zu verändern, proaktiv zu sein. Also zu agieren, anstatt immer nur zu reagieren. Denn so hart das klingen mag: Der nächste Skandal wartet schon.
Denn spätestens bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris wird sich der Reitsport wohl wieder mit geballter Kritik auseinandersetzen müssen. Die gibt es immer, und auch ganz generell, fundiert bis konstruktiv, bisweilen aber auch fundamental. Muss eines der Tiere dann möglicherweise sogar eingeschläfert werden, werden die Diskussionen dann auch noch emotional und damit wirklich kompliziert.
Deshalb steht auch der deutsche Reitsport vor einer zentralen Aufgabe, betont Jens Adolphsen im Gespräch mit unserer Redaktion: "Dass man sich so aufstellt, dass der Sport mit Tieren gesellschaftlich grundsätzlich akzeptiert wird", sagt der Vorsitzende des Ausschusses Vielseitigkeit des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR): "Deutschland ist ein merkwürdiges Land. Wir jubeln, wenn wir gewinnen, wenn wir Medaillen bekommen. Wenn aber etwas Schreckliches passiert, was im Reitsport vorkommen kann, will man den Sport sofort abschaffen."
Wie macht sich der Reitsport zukunftsfähig?
Deshalb gilt es, den Reitsport zukunftsfähig zu machen. Denn Tierschutz und Nachhaltigkeit sind Dinge, die in der heutigen Zeit für die Menschen immer wichtiger werden. Ein Sport mit Tieren steht in gewisser Weise unter einem Anfangsverdacht, den es, so gut es geht, auszuräumen gilt.
"Man muss immer wieder erklären, dass man in Sachen Tierwohl etwas tut, dass man immer etwas tun möchte, aber die Tiere eben auch zum Spitzensport nutzt", sagt Adolphsen, der zugibt, dass man sich ein Stück weit ausgeliefert fühle. "Ist es ein Reitsport-Thema? Oder ein gesamtgesellschaftliches Problem, das den Reitsport erreicht? Es ist heute nicht einfach, den Reitsport zu vermitteln", sagt er.
Reitsport ist ein traditioneller Sport, der Schwierigkeiten hat, das so wichtige junge Publikum zu erreichen. Reiten ist nicht cool; für viele aus der jungen Generation Z oder Alpha wirken springende und tänzelnde Pferde wie ein seltsames Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Dazu hat der Sport den Ruf, abgehoben, schick und teuer zu sein. Selbst in der Basis ist es ein Sport für besser betuchte Menschen, so die Annahme, die in vielen Punkten nicht falsch ist.
Die Verantwortlichen erkennen daher eine "verunsicherte und gespaltene Pferdeszene. Dadurch haben unsere Kritiker ein leichtes Spiel", sagte Hans-Joachim Erbel, der Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) laut "Pferd aktuell" im Rahmen einer Tagung Anfang des Monats.
Im Mittelpunkt steht die sogenannte "Social License", also die Akzeptanz des Reitsports durch die Gesellschaft. "Wir können sie positiv beeinflussen, wenn wir konsequent unsere Grundsätze leben und es auf diese Weise schaffen, der Gesellschaft glaubhaft zu vermitteln, dass Pferdesport legitim ist und insbesondere mit Blick auf das Wohl des Pferdes betrieben wird", sagte Erbel.
Maßnahmen in sechs Bereichen
Deshalb hat die FN Maßnahmen eingeleitet, in sechs Aktionsbereichen soll das Thema kurz- und mittelfristig angegangen werden. Diese sind: Sensibilisierung, nachhaltiger Zugang zum Pferdesport, Regeln und Kontrolle, Wissenschaft, Spitzensport sowie Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. "Social License bedeutet für uns alle, unsere Branche für die Notwendigkeit von Veränderungen zu sensibilisieren", sagte Erbel. "Wir müssen uns alle zusammen so positionieren, dass wir das Wohl des Pferdes vertreten, die Führungsrolle übernehmen und eine Aufbruchsstimmung erzeugen."
Für Adolphsen muss der Reitsport vor allem "mehr in die Breite gehen, damit er mehr akzeptiert wird". In den Städten zum Beispiel gibt es quasi keine Reitschulen mehr, dabei kann gerade dort auf einfachem Wege für Verständnis geworben und aufgeklärt werden. Das wird auch bei Turnieren durch spezielle Stewards getan, die Fragen zu kontroversen Themen wie dem Tierwohl beantworten. Klar ist aber: Damit erreicht man vor allem Menschen, die dem Reitsport sowieso grundsätzlich positiv gegenüberstehen.
Dabei wissen viele Menschen nicht, wie langwierig es ist, ein Pferd auszubilden, damit es eine hohe Leistung bringt, und wie viel Grundvertrauen dazugehört. "Mit Zwang, Prügelei und Druck bekommt man kein Pferd über ein großes Hindernis", sagt Adolphsen. Doch wo Tierquälerei bereits anfängt, liegt eben oft auch im Auge des Betrachters. Für Kritiker wie die Tierrechtsorganisation Peta gehört der Reitsport abgeschafft.
Nachdem beim CHIO 2022 ein Vielseitigkeits-Pferd eingeschläfert werden musste, sagte Peta-Fachreferent Peter Höffken: "Die tragischen Ereignisse beim CHIO waren keine Einzelfälle. Immer wieder werden Pferde bei Turnieren zu Tode geritten, weil die Reiter sie als bloße Sportgeräte ansehen. In der heutigen Zeit hat der Pferdesport jegliche Legitimation verloren, weil er auf dem Rücken unfreiwilliger Teilnehmer ausgetragen wird."
Offen für Kritik wegen des Tierschutzes
In Sachen Tierschutz habe sich aber enorm viel getan, erwidert Adolphsen: "Viele im Reitsport sind offen für Kritik, und man muss viele auch nicht zum Denken antreiben. Die Haltungsbedingungen sind gut geworden, es ist auf einem guten Weg. Der Reitsport ist für Veränderungen offen."
Beim Thema Nachhaltigkeit habe man hohe Anforderungen an die Wettkampfstätten. "Bei der Vielseitigkeit versuchen wir, die Kosten immens zu drücken. Und wenn wir in Sachen Gleichberechtigung auf dem jetzigen Niveau bleiben, ist das schon großartig", so Adolphsen. Denn im Reitsport treten beide Geschlechter gegeneinander an, und die Frauen sind dabei sogar erfolgreicher als die Männer.
Negativ-Schlagzeilen wegen toter Pferde
Dem Juristen ist natürlich bewusst, dass es seine Disziplin ist, die oft im Fokus steht, weil sie die toten Pferde und damit einen Großteil der Negativ-Schlagzeilen produziert. "Was sich bei uns tut, ist enorm", hält Adolphsen dagegen: "Wir haben zum Beispiel deformierbare Hindernisse, mit denen Stürze verhindert werden sollen", sagte er. Und lässt einen Satz folgen, der das Dilemma ganz gut zeigt: "Im ganzen Frühjahr sind wir bei mehreren Turnieren mit wenigen Stürzen ausgekommen."
Hier scheiden sich gesellschaftlich die Geister, das ist so etwas wie die Kernfrage, der Streit- und Knackpunkt. Ist es gut, dass es "nur" Stürze gab? Ist ein Sturz schon einer zu viel? Und ist es deshalb nicht sowieso besser, ganz auf den Sport mit Tieren zu verzichten? Fest steht, dass man die verschiedenen Ansichten nie auf einen gemeinsamen Nenner bringen wird. Für die FN ist es deshalb essenziell, proaktiv zu bleiben. Entscheidungen und Maßnahmen müssen nachvollziehbar sein, vor allem in Sachen Tierschutz, doch auch beim Thema Nachhaltigkeit muss man mit der Zeit gehen.
"Viele Reiter sind selbstkritisch und offen"
Schwarze Schafe gab es im Reitsport schon immer, und es wird sie auch weiter geben, ebenso wie tote Pferde und schlimme Bilder. Deshalb ist es umso wichtiger, im Fall der Fälle schnell und transparent zu reagieren, nichts zu vertuschen oder zu beschönigen. "Der Sport hat gemerkt, dass die Gesellschaft hohe Anforderungen an seine Rechtfertigung stellt. Wenn er das auch richtig versteht und umsetzt, habe ich keine echte Sorge, dass der Staat oder die Gesellschaft den Spitzensport reglementiert", sagt Adolphsen: "Es braucht aber eine ständige Rückkopplung."
Die Spitzenreiter kennen die Probleme und Vorwürfe, sie seien aber vor allem mit sich selbst beschäftigt, sagt Adolphsen. Das ist kein Reit-Phänomen, sondern war zum Beispiel auch bei der Fußball-WM in Katar zu beobachten, als es um die dortigen Menschenrechtsprobleme ging. Die deutsche Nationalmannschaft und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) haben sich bei politischen Fragen, so gut es ging, blamiert. "Wenn man die Reiter politisieren will, mutet man ihnen häufig zu viel zu", sagt Adolphsen: "Die meisten wissen, dass sie abhängig sind von gesellschaftlichen Entwicklungen und Strömungen. Viele sind selbstkritisch und offen."
Kampf um Olympia
Der Jurist hält den Reitsport für zukunftsfähig, auch wenn es schwieriger werde, weil er einer der wenigen Sportarten mit Tieren sei. "Wichtig ist, dass er olympisch bleibt, wofür man viel tut", betont er. Das Problem: Man ist durch die Förderungen finanziell abhängig von den Spielen, und ein Sport, der nicht olympisch ist, muss sich finanziell neu erfinden.
Doch Olympia "ist immer in Gefahr", sagt Adolphsen, "für das Internationale Olympische Komitee wäre es vielleicht stressfreier ohne Reitsport". Man müsse sich ständig rechtfertigen, aber auch ständig verbessern: "Dass wir immer gefährdet sind, damit lebt man. Das ist aber aufgrund des Dauer-Reformismus so gewollt", sagt der 56-Jährige.
Er bringt die Herausforderung des Reitsports auf den Punkt: "Dass es ein Sport mit Tieren ist, ist vielleicht der Grund, warum wir olympisch bleiben. Vielleicht ist es aber auch das Problem, das uns irgendwann den Platz kosten wird." Denn der nächste Skandal kommt bestimmt.
Verwendete Quellen:
- pferd-aktuell.de: FN-Tagungen: Social License als zentrales Thema
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