"Die Zeit", Oliver Pocher mit Frau Amira, Herzogin Meghan und selbst die Bundesregierung – sie alle haben einen: Podcasts werden immer beliebter. Umfragen des Branchenverbandes Bitkom aus den letzten Jahren ergeben, dass die Zahl der Podcast-Hörer und -Hörerinnen in Deutschland kontinuierlich steigt.
Während 2016 lediglich 14 Prozent der Deutschen einen Podcast anschaltete, sind es im Jahr 2022 bereits 43 Prozent. Woran liegt das? Der Podcast-Experte Markus Tirok erklärt, warum das Format immer beliebter geworden ist und wie man selbst einen erfolgreichen Podcast startet – ohne
Herr Tirok, die Zahl der Podcast-Hörer und -Hörerinnen in Deutschland ist kontinuierlich gestiegen. Wie erklären Sie sich diesen Zuwachs?
Markus Tirok: In den letzten Jahren ist viel passiert. Mehrere Faktoren kommen hier zusammen.
Der erste Punkt ist das kommunikative Grundbedürfnis von uns Menschen: Wir lieben es einfach anderen Leuten beim Reden zuzuhören. Schon als Kleinkinder lieben wir die Stimme der Eltern zum Einschlafen, als Jugendliche lieben wir eher die Hörspiele und später als Erwachsene sind es dann zum Beispiel Hörbücher oder Podcasts.
Der zweite Faktor: Das Medium "Podcast" gibt uns die Möglichkeit einer zeitlichen Zweitverwertung. Das heißt: Wir können Podcast hören und dabei putzen, im Stau stehen oder im Bus sitzen. Wir brauchen nicht mehr allein mit unseren Gedanken sein, was für viele eine unangenehme Vorstellung ist. Mit Podcasts ist das kein Problem mehr, denn jetzt quatscht uns irgendjemand voll und unterhält, informiert oder motiviert uns. Kurz: Es ist dieses "Nicht-aushalten-können-dass-nichts-stattfindet"-Phänomen. Das geht in Richtung der These des US-amerikanischen Medienwissenschaftlers Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Wir sind nicht mehr in der Lage, nichts zu machen. Wir müssen immer irgendeine Unterhaltung oder Beschallung haben.
Nächster Punkt: Podcast ist ein Solo-Medium, wir hören das in der Regel allein. Das entspricht, wie der Punkt der Zweitverwertung, unserem modernen Lifestyle.
Hinzu kam Corona: Wir waren allein, weil wir nicht mehr rauskonnten. Das heißt, wir hatten auf einmal viel mehr Zeit, die wir irgendwie füllen mussten. Außerdem hatten wir in der Zeit ein gesteigertes Informationsbedürfnis. Das Coronavirus-Update – damals von "NDR-Info" – hat hier einen ganz großen Booster gegeben, die Leute überhaupt an dieses Medium beziehungsweise technische Format heranzuführen.
Und dann ist es explodiert: Nicht nur die Anzahl der Hörer und Hörerinnen haben sich mindestens verdoppelt, sondern auch die der Produzenten und Produzentinnen sind steil in die Höhe gegangen.
Herrscht damit nicht ein Überangebot an Podcasts?
Das ist eine subjektive Wahrnehmung und wird durch Algorithmen, vor allem auf Social Media, bestärkt. Mit Netflix, Kino oder Büchern ist es doch eigentlich nicht anders. Wie viele Bücher oder Serien kommen im Jahr auf den Markt? Das bekommt man vielleicht gar nicht mit, weil man nicht Leserinnen und Leser beziehungsweise Streaming-Nutzer und -Nutzerin ist.
Aber ich kenne diese Kritik, die kommt häufiger. Auch höre ich öfter Selbstzweifel: Viele Podcast-Macher und -Macherinnen fragen mich: "Braucht es meinen Podcast noch in dieser Welt?" Da antworte ich immer: "Auf jeden Fall." Es braucht jeden Podcast, den wir produzieren können, weil es immer Hörer und Hörerinnen finden wird. Und dann ist doch alles gut. Es müssen nicht immer viele sein.
Start in die Podcast-Welt: "Technisch braucht es zunächst fast gar nichts"
Wie startet man als Otto-Normal-Verbraucher einen Podcast?
Kurz zu dem Begriff "Otto-Normal-Verbraucher" (lacht). Der ist so schön, weil er die Demokratisierung der Medien zeigt. Ich meine: Was ist das für eine tolle Welt oder Zeit, in der jeder einfach sagen kann "Ich werde zum Medienproduzenten oder -produzentin"? Das wäre früher undenkbar gewesen. Vergleichsweise wäre das so, als hätte man gesagt, dass man eine Stadtteil-Zeitung macht.
Aber zurück zur eigentlichen Frage. Technisch braucht es zunächst fast gar nichts: Eine vernünftige Aufnahmesituation mit einem einigermaßen ordentlichen Mikrofon und einen Rechner, mit dem man schneiden und das Ganze veröffentlichen kann. Dann braucht es Onlineplattformen, sogenannte Hoster, wo man die Produktion online hinlegt. Zum Teil sind die sogar kostenlos.
Wie funktioniert das genau mit den Hostern?
Man kann seinen Podcast nicht direkt auf Plattformen wie Spotify oder Apple Podcast hochladen. In der Regel macht man das über einen Hoster. Einer der größten und bekanntesten im DACH-Raum (d.h.: Deutschland, Österreich und Schweiz, Anm. d. Red.) ist Podigee aus Berlin. Hier setzt man Häkchen, wo man ausgespielt werden möchte: Apple Podcast, Google Podcast, Spotify etc. Wahrscheinlich könnte man auch selbst auf dem eigenen Server hosten, aber das ist etwas für die Profis.
Das war jetzt die Ausstattung. Wie sieht es inhaltlich beziehungweise strukturell aus? Einfach drauflosreden?
Nein, das funktioniert nicht. Man kann es zwar machen, aber dann wird es wahrscheinlich nicht besonders erfolgreich. Obwohl es da auch Ausnahmen gibt: Ein Laber-Podcast kann und der schlauste Historien-Podcast muss nicht funktionieren.
Wir brauchen also einen Aufbau und eine Idee, die am besten auch mehr als fünf Episoden überstehen sollte. Bei locker 40 Prozent der Podcasts kann man feststellen: Es gibt drei oder vier Folgen und danach "still ruht der See". Es gibt sogar Podcasts nur mit einer Folge. Da denke ich mir immer: Das ist doch nicht euer Ernst. Das muss man doch wieder runternehmen und löschen. Was macht das für einen Eindruck?
Und dann muss man die Fähigkeiten mitbringen, gut erzählen zu können und Storytelling zu beherrschen. Wenn es inhaltlich überwiegend um Informationen geht, gehört noch gute Recherche dazu. Wenn man Comedy machen will, sollte man das Talent haben, besonders witzig zu sein. Das heißt: Man braucht seinen Experten-Raum, aus dem man schöpft, die Inhalte rauszieht und einen Podcast machen kann.
Braucht es neben der Technik und dem Konzeptionellen noch etwas?
Die dritte Sache ist das Thema Content Marketing. Man muss auf irgendeine Art und Weise der Menschheit erzählen: "Hallo, ich habe ein Podcast und der ist gut. Hört da doch mal rein." Aber da bieten uns die sozialen Medien unfassbar viele Möglichkeiten. Für das Erste reicht zum Beispiel der eigene Instagram-Account. Für einen erfolgreichen Podcast ist es gar nicht immer notwendig, diese krasse Zielgruppe zu erreichen. Man muss sich immer die Frage stellen: "Warum mache ich denn Podcast?"
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Experte: True-Crime ist "die Urzelle des jüngsten Erfolges von Podcasts"
Schaut man sich die zehn beliebtesten Podcasts auf Spotify und Apple Podcast in Deutschland an, fällt auf: Die meisten befinden sich thematisch bei Comedy, Crime und ein wenig News. Warum funktionieren diese Themen so gut?
Fangen wir mit True-Crime an, weil das die Urzelle des jüngsten Erfolges von Podcasts ist. Angefangen hat es 2014 in Amerika mit dem Podcast-Format "Serial". Dort ist eine Reporterin losgezogen, hat einen Kriminalfall neu aufgerollt und die Recherche genau dokumentiert. Die Leute haben das gefeiert, das war ein Gassenhauer, der damit endete, dass ein unschuldig Verurteilter freigesprochen wurde. Es hat nicht lange gedauert, dass man dieses Prinzip auch in Deutschland verstanden hat. So ist dann Sabine Rückert aus der "Zeit"-Chefredaktion losgezogen und hat ihr "Zeit Verbrechen"-Podcast gemacht. Und nun gibt es mittlerweile aus jedem Landkreis einen True-Crime-Podcast.
Bei Nachrichten ist es relativ klar: Wir Menschen haben ein starkes Informationsbedürfnis. Und wie cool ist es bitte, dass man sich quasi die Tageszeitung vorlesen lassen kann?
Comedy funktioniert, weil es ein reiner Unterhaltungsfaktor ist. Viele finden es unterhaltend, sich von irgendjemanden lustige Dinge erzählen zu lassen.
Was sind Faktoren für einen guten Podcast?
Es muss spannend, unterhaltsam, informativ oder mehrwertig sein. Dann finden wir es gut. Manchmal sind es auch Dinge wie die Stimme. Letztendlich ist diese Entscheidung aber sehr subjektiv. Relevanter ist aber die Professionalität. Wir sind es gewohnt, eine gute Audioqualität zu bekommen. Wir erwarten das. Das heißt: Podcast-Produzenten und -produzentinnen müssen einfach eine gute Audioqualität abliefern, damit sie von uns zugelassen werden. Sobald es nur irgendwie quietscht und rauscht, sind wir raus.
Welche drei No-Gos sollte man bei einem Podcast auf jeden Fall vermeiden?
Das Erste, was mir sofort einfällt: Er sollte nicht zu lang sein. Das ist insgesamt aber eine sehr emotionale Diskussion: Wenn man Podcaster und Podcasterinnen sagt, dass sie zu lang sind, sagen die sofort: "Nein, mein Gespräch muss 50 Minuten lang sein. Das geht nicht anders, weil das so tiefgeht." Ich glaube das nicht. Es gibt Statistiken über die beste Länge. Mittlerweile liegt die ungefähr bei 30 Minuten. Hintergrund ist, dass diese Zeitspanne ganz gut für den Alltag ist – zum Beispiel für den Arbeitsweg. Da kommen wir mit einer Folge ganz gut hin. Aber einige Podcasts, vor allem Gesprächspodcasts, liegen gerne mal bei 50 bis 90 Minuten. Das führt allerdings oft dazu, dass viele sich das gar nicht erst anhören, weil sie denken, dass sie das nicht schaffen.
Ein weiteres No-Go ist dieses Konzeptionslose. Es muss mal auf den Punkt kommen. Es muss mir als Hörer etwas bringen. Ich erwarte von demjenigen, dem ich mein Ohr für diese Zeit leihe, dass er sich auch Mühe gibt.
Der dritte Punkt ist: zu schlechte Technik nehmen.
Video-Podcast: Das steckt hinter dem neuen Trend
Was hat es mit dem neuen Trend "Video-Podcast", bei dem man sich beim reinen Podcasten visuell aufnimmt, auf sich?
Diese ganze Geschichte ist ziemlich interessant, denn eigentlich ist es überhaupt nicht neu. Video-Podcast gibt es schon seit vielen Jahren, auch bei "Apple Podcast". Apple hatte es dann aber erst wieder abgeschafft. Ich erinnere mich daran, dass sogar die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, einen Video-Podcast hatte. Den konnte man sich damals auf Apple iTunes angucken.
Durch den Trend der Social-Media-Kanäle, wie Instagram und TikTok, ist das Video-Format aber wieder so präsent geworden, dass man sich in der Podcast-Szene gesagt hat: Da müssen wir wieder andocken.
Aber wozu? Es gibt doch bereits YouTube.
Ich habe immer noch meine Vorbehalte, aber meine Theorie ist: In mehreren Quellen habe ich gelesen, dass in Amerika YouTube die Plattform Nummer eins für Podcasts ist. Ich denke, dass Spotify befürchten muss, dass YouTube ihnen den Rang abläuft. Die bei Spotify werden sich gedacht haben: "Das olle Bild dazunehmen, das können wir auch. Dann geben wir unseren Creatoren die Möglichkeit, Podcast auch mit Video zu machen."
Ich finde es spannend und erstaunlich, dass es ausreicht, dass man sich nur beim Podcasten aufnimmt. Ich habe viele Jahre Fernsehen gemacht und immer gedacht: Man muss, wenn man Bild macht, auch Dinge zeigen, damit es auch Sinn ergibt, warum man Bild hat. Das scheint sich allerdings zu verändern.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Nein, denn es entspricht auch nicht der Idee der zeitlichen Zweitverwertung: Man muss sich dann erst wieder hinsetzen und das auf einem Smartphone, Rechner oder Fernseher angucken. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Leute in dieser video- und bildgetriebenen Zeit das Bedürfnis haben, genau zu sehen: Wie sieht er oder sie aus? Wo ist er oder sie gerade? Wie spricht er oder sie?
Verwendete Quellen:
- Bitkom: "Jeder Fünfte hört Podcasts" (03.07.2018)
- Bitkom: "Podcast-Boom hält an" (05.08.2020)
- Bitkom: "Boom hält weiter an: 4 von 10 Menschen in Deutschland hören Podcasts" (17.09.2021)
- Bitkom: "Lieblingsformat Podcast: Zwei von fünf hören Podcasts" (04.08.2022)
- amplifi media: "A surprisingly small number of podcasts are still in production" (21.08.2022)
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