Kaum eine Woche alt, das neue Jahr, und schon "ballert" es amtlich im Wochenrückblick. Ballern – das sagt man so in der Berliner Deutschrap-Szene. Und ich möchte mich da als Neu-Charlottenburgerin natürlich direkt ein bisschen ranschleimen. Aber mal konkret. Im Trommelfeuer der guten Laune geht die erste Komplettwoche anno 2023 in der Endabrechnung vermutlich knapp an die CDU. Im Fotofinish gegen die FDP.
Hier die chronologische Renn-Zusammenfassung: Zunächst präsentiert Sebastian Czaja, der freidemokratische Geheimfavorit für die Wiederholungswahl in Berlin, voller Stolz die Kampagnenmotive für seinen Wahlkampf. Zurecht, denn das Kernplakat ist ein Gesamtkunstwerk, das selbst die "Titanic" nicht besser hinbekommen hätte: Optisch in bester Tradition einer 80er-Jahre Maggi-Flasche (eine subtile Botschaft zum Grad der Zukunftsorientiertheit der FDP?), fehlt bei der Frage "Warum bei Neuwahlen alte Probleme wählen" das Fragezeichen.
Vermutlich ein rebellischer Akt, denn wer so viel Hochachtung vor der deutschen Sprache hat, dass er bereits vom Gendern Todesängste bekommt, verhunzt doch nicht versehentlich die Interpunktion. Der als Quintessenz geplante Schlusssatz "Wählen wir neu" legt dann in diesem Kontext nah, die FDP würde vorschlagen, alte Probleme gegen neue zu tauschen. Interessante Strategie, denn unstrittig ist: Wenn Berlin eins ganz dringend braucht, dann neue Probleme.
Ich persönlich kannte Sebastian Czaja bislang nicht, ich bin aber auch erst seit einer Woche offiziell Berlinerin. Seither hoffe ich inständig, sein Nachname wird "Tschakka" ausgesprochen, damit nach seinem erdrutschartigen Sieg bei der Berlin-Wahl, in der Sebastian Tschakka überraschend zum regierenden Bürgermeister gewählt wird und anschließend das Rote Rathaus in Maggi-Farben umlackieren lässt, alle Zeitungen "Tschakka-Tschakka" titeln dürfen. Außer die "Bild", die in alter Tradition aufgrund des wenig arisch klingenden Nachnamens zunächst über die "tatsächliche Herkunft" Tschakka-Tschakkas rätseln muss.
Was hat dich Ploss so ruiniert?
Stichwort deutsche Sprache. Der
Nach jenem öffentlichen Diskurs-Fiasko hat sich Ploss vorsorglich darauf beschränkt, seine Thesen fortan weitestgehend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter an seine, naja, "konservative" Klientel zu adressieren. Vermutlich, weil
Ploss jedenfalls gab diese Woche auf Twitter bekannt, welches Thema ihm im Angesicht unserer aktuellen Herausforderungen von Corona über Ukraine-Krieg und Energiepreis-Explosion bis zum Klimawandel am meisten den Schlaf raubt. Natürlich: Das Gendern. Wörtlich teilt er mit: "Die Zeit ist reif für eine Volkinitiative zur Verbannung der grammatisch falschen Gendersprache aus Schulen und Behörden."
Ja, Sie lesen richtig. Genau der Mann, der offenbar jeden Morgen - unruhig wie einst Gregor Samsa - in Sorge um die deutsche Sprache schweißgebadet aufwacht, kann "Volksinitiative" nicht richtig schreiben. Aber Schwamm drüber, dafür kennt er wenigstens den Unterschied zwischen grammatikalisch und grammatisch. Also, fast.
Kunstschnee-Attachée Hubert Aiwanger
Am anderen Ende von Deutschland, im schönen Bayern, sorgt vor allem Klima-Koryphäe
Nachdem durch die milden Temperaturen die Skigebiete in Bayern dieses Jahr wie sommerliche Wanderparadiese aussehen, statt wie die üblichen schneebedeckten Winterlandschaften, reagierte das tourismusverliebte Innovationsbundesland professionell, und lässt (unter anderem mit Hubschraubern) einfach Schnee auf die Pisten importieren. Auch hinsichtlich der C02-Bilanz ein nobelpreisverdächtiger Schachzug.
Dort, wo sonst meterhoch weißer Pulverschnee glitzert, ziehen sich in dieser Ski-Saison einzelne knapp 1,5 Meter breite Kunstschnee-Loipen durch den bayrischen Neo-Frühling. Das sieht ein bisschen so aus, als hätte jemand mit einer Tube Zahnpasta eine Linie über einen IKEA-Parkplatz gezogen und würde das jetzt als Ski-Traum deutscher Langlauf-Liebhaber abfeiern.
Oder wie Aiwanger, der Beauftragte für ganzheitliche Realitätsverweigerung in der Bayrischen Landesregierung, es formuliert: "Heimischer Wintersport heuer dank Beschneiung vielerorts immer noch möglich!" Da fragt man sich reflexartig: Wer hat da wen beschneit – und vor allem: mit welchen Substanzen?
Phänotyp-Lehre mit Christoph de Vries
Wenigstens wäre Aiwanger mit seinem urdeutschen Top-Vornamen Hubert beim Integrations-Experten der Union, Christoph de Vries, unverdächtig. Der sprach diese Woche im Zusammenhang mit den Tätern aus der Silvesternacht von "phänotypisch westasiatisch, dunklerer Hauttyp". Und erntete, was er gesät hatte: Flächendeckende Rassismusvorwürfe, auch aus seiner eigenen Partei.
Jetzt kann man natürlich sagen: Rassismus in der CDU, wo ist da die Neuigkeit, Sherlock? Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass der vermutlich demnächst zum Menschenrechts-Beauftragten der CDU ausgerufene Starpolitiker trotz seines Phänotyps und seines aus den Niederlanden stammenden Namens bei der Union politisches Asyl (oder zumindest Duldungsrecht) erhalten hat.
Ach ja, und natürlich, weil er vor einiger Zeit schon mal rassistisch verhaltensauffällig wurde. Da hat er der Nation erklärt, es gäbe beim Thema Einwanderung einen gravierenden Unterschied zwischen Deutschland und den USA. Nämlich - und jetzt halten Sie bitte ein paar intellektuelle Kotztüten bereit - diesen: Deutschland ist kein Einwanderungs- sondern nur ein Zuwanderungsland, denn es gibt ja ein genuin deutsches Volk. Die USA und Australien dagegen sind Einwanderungsländer, denn dort hätte es ja vorher kein eigenes Volk gegeben. Ja, da dreht sich sogar Winnetou im Grabe um.
Ob de Vries inzwischen mal "indigene Völker" gegoogelt hat, bleibt unklar, ist aber unwahrscheinlich. Zwei Dinge muss man dem Namensvetter von Christoph Ploss dennoch zugutehalten: Er bleibt seiner Linie treu, Armin Laschet unbedingt zeitnah als Fettnäpfchen-Magnet der Union abzulösen. Da macht er auch vor Parteifreunden nicht halt.
Auf die Kritik seines CDU-Kollegen Baha Jamous, der die Formulierung "Phänotyp" hinterfragt, erwidert de Vries in einem PR-Geniestreich: "Du bist natürlich nicht gemeint". Da wird Jamous sicherlich beruhigt gewesen sein. Im Prinzip kann er aber auch froh sein, dass de Vries ihn nicht vom Verfassungsschutz beobachten lassen möchte. Das hatte de Vries, um den Grand Slam der Fremdscham-Olympiade voll zu machen, nämlich für Fridays For Future gefordert. Nicht für die AfD, nicht für Reichsbürger, nicht für Rechtsextreme – nein, für Klimaaktivisten. Wir leben also tatsächlich in der dümmstmöglichen Realität.
Hieß Murat etwa doch Jürgen?
Da wird es kaum überraschen, dass es bei CDU, CSU, AfD und dem Leitmedium der neuen Rechten, der "Welt", keinerlei Korrektur ihrer Vorverurteilung zu besagten "Phänotypen" in der Silvesternacht gab. Von den 145 Festnahmen in Berlin bezogen sich (das geht aus inzwischen konkretisierten Daten der Polizei hervor) genau 38 auf Angriffe auf Polizei und Feuerwehr. Die Täter waren zu zwei Dritteln deutsche Staatsbürger.
Das Märchen, eine überwältigende Mehrheit der hoch kriminellen Angriffe auf Rettungs- und Einsatzkräfte würden durch Asylbewerber verübt, die eigentlich gar nicht hier sein dürften, hat sich in Luft aufgelöst. Die Berichterstattung darüber allerdings auch. Es passt halt weniger in den schönen Narrativ der von linksgrünen Gutmenschen komplett vermasselten Integrationspolitik, wenn die Täter, die offenbar null Respekt vor Polizei und Feuerwehr zeigen, doch nicht Murat und Hassan heißen, sondern Jörg und Uwe.
Ich bin gespannt, wann sich die einschlägigen Politiker, ihre freiheitsdeformierende Begleitpresse und ihre Entourage aus der Rechtsbubble diese rassistische Vorverurteilung eingestehen und entsprechende Konsequenzen ziehen. Ja, ich weiß. Das wird nicht passieren. Aber ich wollte diesen Wochenrückblick eben einfach gerne mit einem guten Gag beenden. Bis nächste Woche!
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