Eine Woche der Harmonie liegt hinter uns. Endlich mal wieder klima-unrelevante Krawall-Dürre auf den großen Bühnen unseres Landes. Beinahe bekommt man das Gefühl, die Ampel-Koalition deaktiviert endlich den Jeder-Gegen-Jeden Modus der vergangenen Monate und kehrt zurück in den ARD-Vorabendserien-Modus der Koalitionsverhandlungsphase, als man jederzeit damit rechnen musste, Lindner, Habeck, Baerbock und Scholz feiern ihren neuen Best-Buddy-Freundschaftsstatus auf Facebook mit einigen emotional aufgeladenen Gastauftritten bei "Rote Rosen" und "Sturm der Liebe", wo sie in wild durcheinandergewürfelten Konstellationen unvorhergesehene Liebespaare spielen. Annalena Baerbock und Olaf Scholz als Bonnie und Clyde der heilen ÖRR-Welt.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Christian Lindner und Robert Habeck als regenbogenerprobtes Woke-Wahrzeichen in den Rollen der politischen Siegfried & Roy. Friedrich Merz dann womöglich als Montecore. Für alle, die popkulturell zu jung für insgesamt 22 Jahre "Wetten, Dass" mit Thomas Gottschalk sind: Montecore war der weiße Lieblingstiger von Siegfried & Roy, der später die legendäre Las-Vegas-Show der beiden Ausnahme-Magier auf tragische Weise beendete.

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Für die jüngeren Leser und Leserinnen: Facebook, das war mal ein Social-Media-Umfeld, auf dem man sich mit der Welt ausgetauscht und sein Leben dokumentiert hat. Inzwischen dient es eigentlich nur noch investigativen Crime-Journalisten als Archiv für "Als junger Mann sah er so nett und freundlich aus"-Bilder, wenn es mal wieder einen außergewöhnlichen Mordfall gab. Und für mich als Erinnerungsmodul, wann meine Eltern Geburtstag haben.

Alle gegen den FC Bayern des Journalismus: Paul Ronzheimer

Diese Woche liegt man sich also endlich wieder in den Armen. Bayern München hat die letzten Spiele nicht gewinnen können und ist also folgerichtig nicht Tabellenführer, weswegen sich die 17 anderen Fanlager der Bundesliga in einer spontanen Differenzen-Amnesie jubelnd in den Armen liegen. Die Haute­vo­lee der Journalismus-Elite ist sich einig, Paul Ronzheimer hätte beim Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Information" mindestens nominiert werden müssen.

Eine annähernd sensationelle Übereinstimmung, wenn man bedenkt, dass Ronzheimer aus unerfindlichen Gründen weiterhin für den Propaganda-Nischensender "Bild TV" moderiert. Ein, naja, TV-Sender, bei dem er Seite an Seite mit Investigativ-Koryphäen wie Nena Schink im Studio steht, die ihre Sendezeit in der konsequent um 23:15 Uhr ausgestrahlten Vorzeige-Sendung "Viertel nach Acht" in erster Linie damit verplempert, mit Pandemie-Experten wie Heino oder Harald Glööckler darüber zu philosophieren, wie schlimm das Tragen von Masken ist und wann Karl Lauterbach endlich zurücktritt.

Vielleicht ein letzter Abschiedsdienst für Julian Reichelt, dem die Verbannung des Gesundheitsministers eine persönliche Herzensangelegenheit zu sein scheint. Reichelt, Kenner von authentischen Scheidungsurkunden erinnern sich womöglich, war mal der Chef bei "Bild", musste dann aber ausscheiden. Er hatte zwar unmissverständlich dafür gesorgt, dass man ihn nicht mit Propaganda-Assistenten des neuen DDR-Obrigkeitsstaats verwechseln konnte, gleichzeitig aber auch dafür, dass junge Volontärinnen per WhatsApp-Casting-Call auf diverse bereitstehende Hotelzimmer im Einzugsgebiet des Axel-Springer-Hochhauses verteilt wurden, in denen dann die eine oder andere Dienstbesprechung in, sagen wir mal freundlich, ungewöhnlicher Atmosphäre stattgefunden haben soll. Seinem väterlichen Förderer Mathias Döpfner über diesen eher aus der Zeit gefallenen Führungsstil nicht immer die vollständige Wahrheit gesagt zu haben, kostete ihn dann seinen hoch dotierten Job und Nena Schink ihr Idol.

Aber ich schweife ab. Ronzheimer jedenfalls (das schrieb ich an genau dieser Stelle bereits am 14. März dieses Jahres) "sollte bei einigen der kommenden Journalistenpreise nicht unbeachtet bleiben. Es werden ja immer noch individuelle Leistungen bewertet und nicht die Agenda eines Verlagshauses". Viele wunderten sich, noch viele mehr jubelten. Dass die mehr als berechtigte Kritik am Axel-Springer-Verlag nicht dazu führen sollte, die herausragenden Leistungen einzelner zu ignorieren, passt nicht in das Weltbild der meisten hypersensiblen Kämpfer gegen alles, was nicht zu 100 Prozent der von ihnen bevorzugten Gesamtagenda entspricht.

Im Grunde ist das eigentlich nichts anderes, als zu behaupten "alle Türken sind Dönerverkäufer und alle Asylbewerber aus Syrien sind Vergewaltiger". Das hat, bevor jetzt hier wieder derangierte Jubelchöre aus der "Ich bin kein Rassist, aber"-Ecke kommen, übrigens nichts mit Hufeisentheorien zu tun. Wer Pauschalurteile als einzige Möglichkeit eines Kategorisierungsdiskurses sieht, hat in meiner Welt kein Stimmrecht. Das gilt für alle politischen Richtungen. Man erlebt dieses Phänomen allerdings, auch das muss klar adressiert werden, keineswegs in gleichem Ausmaß bei eher sehr links denkenden wie bei eher sehr rechts denkenden Menschen. Auf dem Feld der Generalverurteilung ist das AfD-nahe Telegram-Kanonenfutter dann doch deutlich in der Überzahl.

Eine Boie im Ozean der Ungerechtigkeit

Auch Ronzheimers neuer Chef, Johannes Boie, der den Reichelt-Sumpf trockenlegen und eine neue Boie-Band-Atmosphäre schaffen wollte, echauffierte sich fleißig über die fehlende Anerkennung seines besten Reporterpferdes im Stall. Obwohl Boie gerade genug damit zu kämpfen hat, dass der von ihm initialisierte radikale Linksrutsch in der Chefredaktion dazu führt, dass wackere Anti-Woke-Winnetous wie Ralf Schuler oder Judith Sevinç Basad empört die Redaktion verlassen (nicht ohne medienwirksame offene Briefe versteht sich, in denen man nochmal abschließend die gesamte Klaviatur seiner Homophobie und Transfeindlichkeit runtertonleitert), findet er dafür noch Zeit.

Gut, um einen Fernsehpreis zu erhalten, müsste man vorab bei der Jury einen Beitrag einreichen. Die "Bild", Johannes Boie oder der Axel-Springer-Verlag haben keinen einzigen eingereicht. Aus dieser Perspektive sieht es dann schon wieder etwas weniger nach Cancel Culture aus, dass Ronzheimer dieses Jahr leer ausgehen wird. Es riecht eher ein wenig nach amateurhafter Unwissenheit.

Dass es bei der "Bild" mit seriöser Recherche nicht immer so weit her ist, gilt jetzt nicht gerade als extrem hart gehütetes Geheimnis. Die Teilnahmebedingungen des Fernsehpreises jedoch hätten bei der "Bild" ja bei Gelegenheit schon mal entdeckt werden können. Insbesondere jetzt, wo man doch ein Fernsehsender sein möchte.

Gewinner dieses shakespearesken "Preis oder nicht Preis, das ist hier die Frage"-Dramas könnte Paul Ronzheimer auf gewisse Weise dennoch werden. Ich beispielsweise stand in der neunten Klasse mal auf der Shortlist zur Klassensprecherwahl, erhielt dann allerdings null von 18 Stimmen. Ich tat recht cool, war aber tatsächlich durchaus etwas angepisst, wie man damals noch sagte.

Dann jedoch sagte Jasper, von den elf Mädchen der Klasse einstimmig zum Hot Boy der Jahrgangsstufe hochangehimmelt, dass das ja immerhin zeigen würde, dass ich mich wenigstens nicht selbst gewählt hätte. Und zack: Ich galt als selbstlose Fairplay-Preis-Anwärterin. Auch Ronzheimer hätte wohl auch die Möglichkeit gehabt, sich selbst für den Fernsehpreis zu nominieren oder wenigstens jemanden aus seiner Redaktion damit zu beauftragen. Vermutlich wären seine Chancen auf den Gewinn größer gewesen als meine damals in der Neunten.

Vielleicht hatte er aber auch einfach Wichtigeres zu tun. Aus dem Epizentrum des völkerrechtswidrigen Krieges von Wladimir Putin gegen die Ukraine zu berichten zum Beispiel. Damit wir nicht unter dem hemmungslos durch alle Talkshows geschleusten "Nordstream 2 öffnen!"-Geschwafel diplomatischer Ausnahmegenies wie Wolfgang Kubicki (Deutscher Duschweltmeister 2022) oder Sahra Wagenknecht vergessen, dass dort weiterhin täglich Menschen sterben und russische Kriegsverbrechen begangen werden. Und das ist auch wichtiger.

Darüber hinaus bin ich mir sicher: Paul Ronzheimer wird zukünftig, nach einem hoffentlich sehr bald ad acta gelegten Krieg in der Ukraine, noch ausreichend an der Trophäenwand nachbessern können. Verdient hätte er es zumindest. Oder was sagen Sie? Schreiben Sie mir gerne an ronzheimerpreis@marievdb.de. Bis nächsten Montag!

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