Oliver Pocher hat den nächsten "Skandal" produziert. Nach einem Auftritt des Komikers brach eine Zuschauerin in Tränen aus. Alles ganz anders, sagt der Comedian in seinem Podcast und hat den Schuldigen bereits gefunden: "die Medien".

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Oliver Pocher hat es wieder geschafft. Sein Name steht überall, und diesmal nicht nur bei den üblichen Verdächtigen wie "Bild" und "Bunte". Der "Spiegel" titelte: "Wenn auf Häme Scheinheiligkeit folgt". Die "Süddeutsche Zeitung": "Pocher, der Schmutz und die ARD". Die "Taz" forderte: "Keine Bühne mehr für Pocher". Also, was ist passiert, dass sich alle so echauffieren? Das Problem, wie bei allen medialen Erregungskurven, neudeutsch "Shitstorm", ist: Ganz genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren.

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Konsens ist: Pocher trat beim Sommerfestival des SWR auf und spielte Auszüge aus seinem Programm "Der Liebeskasper". Er sprach, wie immer bei seinen Auftritten, Menschen aus dem Publikum an. Auf die Frage, wer Single sei, meldeten sich zwei Frauen in der ersten Reihe. Eine von ihnen gestand, dass sie noch nie eine Beziehung hatte. Pocher kommentiert das mit: "Aber geb… hast du schon?", was die Frau verneinte. Im Laufe des Programms machte Pocher immer wieder Anspielungen. Zum Schluss der Vorstellung landete der Comedian erneut bei ihr, live übertragen auf Instagram.

Das Thema Jungfräulichkeit kam noch einmal zur Sprache, und die Frau nannte ihren Arbeitsort. Bereits in diesem Video ist zu sehen: Der Zuschauerin ist das unangenehm. Nach der Show brach sie in Tränen aus und blieb sitzen, suchte Kontakt zum SWR, während der Vorstellung filmten immer wieder Kameras. Sie wollte nicht, dass Ausschnitte mit ihr übertragen werden. Das berichtete zumindest die "Stuttgarter Zeitung", deren Artikel von anderen Medien aufgegriffen wurde. Der Tenor war eindeutig: Pocher ist zu weit gegangen. Mal wieder.

"Alle haben gelacht, keiner hat ein Problem gehabt"

Der Fall scheint klar. Auf der einen Seite eine überforderte Zuschauerin, die bloßgestellt wurde, auf der anderen Seite der Komiker, der solcher Aktionen wegen in der Vergangenheit einige Male vor Gericht landete. Nur, ist dieser "Eklat", wie ihn die "Stuttgarter Zeitung" nennt, wirklich so vorgefallen, wie er berichtet wurde?

In seinem Podcast "Die Pochers - Frisch recycelt" zeichnet der Comedian ein anderes Bild. Die Zuschauerin sei zwar "ein wenig aufgelöst gewesen", aber eigentlich ein Fan. "Sie hat nicht geheult", sagt er, "so ist es null Komma null gewesen. "Alle haben gelacht, keiner hat ein Problem gehabt." Gegen die Ausstrahlung des Instagram-Videos habe die Zuschauerin nichts gehabt, sie habe nur Angst vor den Fernsehkameras gehabt und dass dadurch ihr Arbeitgeber Details aus ihrem Privatleben erfahren würde. Die Kameras seien aber nur vor Ort gewesen, um die Veranstaltung auf die Videoleinwand zu übertragen.

Dann zeichnet Pocher das Bild einer Medien-Maschinerie, die so reagierte, wie er es bereits direkt nach der Veranstaltung erwartet habe. "Pocher, Mobbing, öffentlich-rechtliche Medien", das sei einfach "eine herrliche Kombination". Der Mitarbeiter der "Stuttgarter Zeitung" sei vor Ort gewesen und habe eine Geschichte gewittert, und seinem Artikel sei anzumerken, dass "der dich scheiße findet. Das hörst du von vorne bis hinten."

"Die Medien" sind an allem schuld

Das ist nicht ganz unberechtigt. Der Autor der "Stuttgarter Zeitung" nennt ihn einen "Berufspöbler", der Artikel ist geprägt von dem Zwischenfall, der wiederum, falls so vorgefallen, die Abneigung des Autors erklärt. Medien wie "Süddeutsche Zeitung" und "Taz" waren aber nicht vor Ort und übernehmen ungeprüft diesen ersten Eindruck.

Aus keinem geht hervor, dass mit der Frau, Oliver Pocher oder Zuschauern im Publikum gesprochen wurde, um sich ein umfassenderes Bild zu verschaffen. Basis bleibt die Darstellung im Artikel der "Stuttgarter Zeitung", die seitdem immer wieder nachlegte, darunter gleich zwei Kommentare. Pocher schlussfolgert daraus in seinem Podcast, eigentlich seien "die Medien" an allem schuld, weil durch ihre Berichterstattung "die Geschichte immer größer wurde". Das stimmt, ist aber nur ein Teil dieses "Shitstorms".

Zur Wahrheit gehört auch: Oliver Pocher sorgt dafür, dass der Vorfall in den Medien bleibt, mit der für ihn üblichen Kombination aus Trotz und Berechnung. Statt das Video, das die Zuschauerin zeigt, zu löschen, lässt er es online, mit dem YouTube-Titel: "Die Skandal-Nacht in Stuttgart Liebeskasper Open Air in Stuttgart".

Die Clips zu den Auftritten in den folgenden Tagen nach dem SWR Sommerfestival heißen: "Heute mach’ ich zwei richtig fertig! Pocher legt nach der Skandal-Nacht noch einen drauf in Graz" und "Liebeskasper in Linz! Der nächste Skandal?" Der Vorfall wird sogar Teil seines Programms. In Klagenfurt sagt er: "Das ist auch eine Comedy-Veranstaltung. Und wenn man es nicht abkann, sich in der ersten Reihe auch mal einen Spruch zu fangen, dann muss man sich verpissen." Ähnlich argumentiert er diese Woche in seinem Podcast, der fast vollkommen von diesem Thema dominiert wird.

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Wo endet der Spaß?

Nun ließe sich natürlich wieder die große Frage stellen, was Comedy darf und was nicht. Ist es in Ordnung, sich über andere lustig zu machen, wenn das Publikum lacht? Oder endet der Spaß der anderen beim Gefühlsleben einzelner? Oliver Pocher hat diese Frage in der Vergangenheit immer gleich beantwortet: Der Maßstab ist er selbst. Wenn er viel abkann, müssen es auch die anderen.

Über seine Ehefrau Amira machte er nach der Trennung über Monate hinweg täglich Witze, er unterstellte ihr eine Affäre, parodierte den angeblichen Liebhaber, schrieb ein Comedy-Programm darüber. Immer mit der Erklärung: So sei er eben, er verarbeite sein Gefühlsleben in Comedy, da müssten die anderen mit klarkommen. Vor allem, wenn es sich gut verkauft.

Das gibt er auch in dieser Woche im Podcast zu: "Bring it on", "gerne noch dreimal", "am Ende verkaufe ich damit Tickets", sagt er in "Die Pochers - Frisch recycelt". Wenn "die Medien" ihn schon anvisieren, will er wenigstens davon profitieren. Die Leidtragende ist, wie bei Pocher immer, jemand anderes. In diesem Fall sein Fan, die Zuschauerin, die von der Situation beim SWR Sommerfestival überfordert war, und die jetzt durch Pocher und darüber berichtende Medien genau das befürchten muss, was sie nicht wollte: dass ihr Arbeitgeber von all dem erfährt.

Nur sind die Zuschauer von Oliver Pocher eben nicht "Teil des Geschäfts", sie sind die Basis des Erfolgs des Comedians. Ohne sie findet er nicht statt. Und es gibt sehr wohl einen Punkt, an dem es nicht mehr lustig ist. Wenn eine Frau, die nicht in der Öffentlichkeit steht und möchte, dass das so bleibt, sagt: Ich will nicht, dass diese Informationen veröffentlicht werden. Ein Fakt, den "Stuttgarter Zeitung" und Oliver Pocher übereinstimmend berichten. Das hat ein Künstler zu respektieren. Selbst Oliver Pocher.

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