- Der Rapper und Musikproduzent Kanye West stellte sich zuletzt mit antisemitischen und rassistischen Aussagen ins Abseits.
- Unter anderem der Sportartikelhersteller Adidas und das Modelabel Balenciaga beendeten daraufhin die Zusammenarbeit mit Ye, wie sich der Musiker seit einigen Jahren nennt.
- Der Psychologe Marcel Moses ordnet im Gespräch mit unserer Redaktion ein, was die Radikalisierung von Kanye West mit dessen bipolarer Störung zu tun haben könnte.
Den vorläufigen Tiefpunkt erreichte
"Ich sehe auch gute Dinge bei Hitler. Er hat die Autobahnen erfunden und das Mikrofon, das ich als Musiker benutze", sagte der Rapper und Musikproduzent in einem Interview mit dem amerikanischen Verschwörungsideologen Alex Jones.
"Ich mag Hitler", führte West, der eine Sturmhaube trug und eine Bibel vor sich auf dem Tisch platziert hatte, weiter aus: "Es gibt viele Dinge, die ich an Hitler liebe."
Kanye West postete ein Hakenkreuz auf Twitter
Etwa zeitgleich wurde Ye, wie sich der 45-Jährige seit einigen Jahren nennt, auf Twitter gesperrt, weil er ein Hakenkreuz postete und Menschen jüdischen Glaubens drohte. Bei der Pariser Fashion Week einige Wochen zuvor trug der auch als Modedesigner arbeitende West ein "White Lives Matter"-Shirt und zeigte sich im Partnerlook mit Candace Owens, einer rechtskonservativen Aktivistin.
Wegen seiner antisemitischen Tiraden und Hassreden beendete der Sportartikelhersteller Adidas im Oktober die äußert lukrative Zusammenarbeit mit West, das Modelabel Balenciaga distanzierte sich ebenfalls von künftigen Projekten.
Selbst die Künstleragentur, die den einst größten und einflussreichsten Star des Hip-Hops vertrat, wendete sich von West ab.
Welche Rolle spielt Wests bipolare Erkrankung bei der Radikalisierung?
Bei der Frage, wie es so weit kommen konnte, werden immer wieder die psychischen Probleme des Rappers zur Erklärung herangezogen. Im Jahr 2019 machte seine damalige Ehefrau
Für den Berliner Psychologen Marcel Moses ist die Erkrankung aber nicht der einzige Grund für Wests inakzeptables Verhalten. "Unabhängig von der bipolaren Erkrankung kann man bei ihm von einer Radikalisierung sprechen. Er verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien, er hat vor allem in der letzten Zeit mehrfach den Holocaust verharmlost und gesagt, dass er Hitler liebt", erzählt Moses im Gespräch mit unserer Redaktion.
"So etwas könnte im Rahmen einer manischen Episode bei einer bipolaren Erkrankung auftreten. Dabei kommt es oft zu wahnhaften Symptomen, wo man den Bezug zur Realität und sich selbst verlieren kann und dann solchen Verschwörungserzählungen nachhängt. Im speziellen Fall von Kanye West würde ich das aber nicht ausschließlich auf seine Erkrankung zurückführen. Weil er schon vor 20 Jahren antisemitische Aussagen getätigt hat", führt Moses weiter aus.
West verbreitete 2005 Verschwörungstheorien über die Entstehung von Aids
Tatsächlich reichen die zweifelhaften Aussagen von West weit zurück. Aids sei eine von Menschen gemachte Krankheit, behauptete er im Jahr 2005 und verbreitet damit eine immer wieder aufgegriffene Verschwörungstheorie.
Bei einem Konzert im englischen Hertfordshire im Jahr 2011 sagte er, die Leute würden ihn anstarren, als wäre er Hitler. Im selben Jahr verglich er im Song "Who Gon Stop Me" die Unterdrückung afroamerikanischer Menschen in den USA mit dem Holocaust. Wenig später trug er eine Bomberjacke, auf die die Südstaatenfahne genäht war. Die Fahne ist ein Symbol für Sklaverei und in rechten Kreisen sehr beliebt.
Seine seltsame Besessenheit für Adolf Hitler soll sogar so weit gegangen sein, dass er sein Album "Ye" 2018 zunächst nach dem Nazi-Diktator benennen wollte. In der Liste seiner Fehltritte ließen sich problemlos ein Dutzend weitere Eklats aufführen.
Bipolare Störung: "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt"
"Wenn das alles nur mit seiner Bipolarität zusammenhängen würde, müsste er diese antisemitischen und radikalen Aussagen außerhalb seiner manischen Phasen zurücknehmen. Aber das macht er nicht. Deshalb sieht es schon so aus, dass diese Aussagen auf seinen Charakter und nicht nur auf die Krankheit zurückzuführen sind", sagt Moses.
Bei einer bipolaren Erkrankung spiele der Hirnstoffwechsel eine große Rolle, erzählt Moses. Bei bipolaren Menschen komme es zu ausgeprägten Schwankungen der Stimmung, des Antriebs und der eigenen Energie. "Diese Schwankungen treten in zwei Phasen auf. Es gibt einmal die manischen Phasen und die depressiven Episoden, die sich abwechseln. Wegen dieses Wechsels zwischen den beiden Extremen wurde die bipolare Erkrankung früher manisch-depressive Störung genannt", sagt der Psychologe.
Das Goethe-Zitat "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt" wird immer wieder benutzt, um die Erkrankung zu beschreiben. Auch Kanye West neigt zu größenwahnsinnigen Höhenflügen, wie beispielsweise bei seiner Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2020, gleichzeitig erlebte er mehrfach Zusammenbrüche.
Seine jüngsten antisemitischen und rassistischen Entgleisungen mit seiner psychischen Erkrankung zu entschuldigen, würde aber auch anderen Menschen nicht gerecht, die an einer bipolaren Erkrankung leiden. "Wenn man seine Aussagen immer direkt in Verbindung mit seiner Bipolarität bringt, kann das zu einem Stigma in der Gesellschaft führen", sagt Moses.
Lesen Sie auch:
Der geplatzte Adidas-Deal wird Kanye West viel Geld kosten
Während in den vergangenen Jahren immer noch spekuliert wurde, ob das exzentrische Verhalten von Kanye West ein Stück weit auch PR-Kalkül sein könnte, dürfte die Karriere des Rappers außerhalb rechter Kreise nun irreparabel Schaden genommen haben. Zwar ist Ye immer noch Multimillionär, aber alleine der geplatzte Deal mit Adidas, die Wests "Yeezy"-Schuhe produzierten und vertrieben, dürfte ihn viele Millionen Dollar kosten.
Auch Marcel Moses glaubt, dass sich Kanye West mit seinen jüngsten Entgleisungen dauerhaft ins Abseits gestellt hat. "Antisemitismus ist grenzüberschreitend, er ist für viele Menschen verletzend und retraumatisierend. Selbst wenn es Kalkül wäre, wäre es nicht in Ordnung. Aus meiner Perspektive zerstört er seine Karriere nachhaltig. Wer will mit einer Person zusammenarbeiten, die Hitler feiert?", sagt der Psychologe.
Verwendete Quellen:
- nzz.ch: Kanye West reiht die Skandale immer enger aneinander
- spiegel.de: Nazi-Vergleich von Kanye West: "Angestarrt wie Hitler"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.