Ein kleiner Bericht übers Stadtfest, ein paar Anzeigen und eine kleine Rätselseite. Die Anzeigenblätter, die man da jeden Sonntag aus seinem Briefkasten fischt, sehen eigentlich ganz harmlos aus. Sind sie aber nicht. Zumindest manche. Denn in einigen Regionen Deutschlands sind sie zum Sprachrohr der neuen Rechten geworden, wie Jan Böhmermann in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" zeigt.

Christian Vock
Eine Kritik
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Es gab mal eine Zeit, vielleicht gibt es sie noch, da wurde angehenden Journalistinnen und Journalisten gesagt, sie müssten unbedingt im Lokaljournalismus anfangen. Nur da, so hieß es, würde man das Handwerk von der berühmten Pike auf lernen. Richtig ist, dass man das journalistische Handwerk natürlich auch in anderen Medien oder Ressorts lernen kann, aber Lokaljournalismus kann tatsächlich ein guter Karrierestart sein, ist man doch jeden Tag hautnah an den Menschen vor Ort dran.

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Richtig ist aber auch, dass nicht nur die Menschen vor Ort gut für den Lokaljournalisten sind, sondern dass Lokaljournalismus auch gut für die Menschen vor Ort ist und genau darum geht es in der aktuellen Ausgabe des "ZDF Magazin Royale". Unter dem Hashtag #ZDFMagazinLokal widmet sich Jan Böhmermann dem Lokaljournalismus. Oder zumindest dem, was vom Lokaljournalismus noch übrig geblieben ist.

Fehlt Lokaljournalismus, steigt die Korruption

Denn der Lokaljournalismus ist schon seit vielen Jahren unter Druck. Oder wie es Jan Böhmermann formuliert: "Lokalzeitungen passiert gerade dasselbe wie Videotheken, Sex-Kinos und Eisbären: Sie sterben aus. Besonders im Osten." Dazu liefert der Satiriker Schlagzeilen über Stellenabbau, Zusammenlegungen von Redaktionen und Auslieferungseinstellungen in manchen Regionen. Damit einher gehen neben Verlust von Arbeitsplätzen der Verlust von Meinungsvielfalt und natürlich ein kleiner werdendes Informationsangebot.

Was das für Folgen hat, dazu zitiert Böhmermann Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Demzufolge gebe es einige Studien, die belegen: "Wenn Lokaljournalismus wegfällt, dass dann in diesen Gebieten die demokratische Gesellschaft schlechter funktioniert. Die Wahlbeteiligung ist dort geringer, die Leute wählen polarisierter, also extremer und es ist so, dass die gewählten VolksvertreterInnen sich weniger intensiv um ihre Bezirke kümmern und ganz allgemein die Korruption sowohl in Politik als auch in Wirtschaft steigt."

Lokaljournalismus übernimmt also nicht nur eine Informationsaufgabe, sondern ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Oder, um es weniger abgedroschen zu formulieren: Wenn wir in Frieden und Freiheit zusammenleben wollen, dann brauchen wir Journalismus, der vor Ort den Mächtigen auf die Finger schaut, der einen Meinungsaustausch und eine Meinungsvielfalt fördert und so erst ermöglicht, sich eine Meinung zu bilden. Damit ist auch klar: Wenn Lokaljournalimus schwindet, steht all das auf dem Spiel und damit kommt Böhmermann zum Kern des Abends.

Anzeigenblätter erfüllen inzwischen auch einen anderen Zweck

Denn der Lokaljournalimus ist besonders im Osten Deutschlands in Gefahr, aus mehreren Gründen, die auch im Prozess der Wiedervereinigung liegen, aber auch an dörflichen Strukturen. Entscheidend an diesem Befund sind für Böhmermann aber weniger die Ursachen, sondern der Ist-Zustand: "Im Osten Deutschlands gibt es ein Informationsvakuum. Eine Versorgungslücke mit Lokaljournalismus. Wo es eine Lücke gibt, gibt es immer auch Leute, die diese Lücke füllen", beginnt Böhmermann seine Analyse und sagt: "Wo Lokalzeitungen sterben, schlägt die große Stunde der publizistischen Lückenfüller – kostenlose Anzeigenblätter."

Nun sind Anzeigenblätter nicht die Keimzelle des investigativen Journalismus' oder überhaupt des Journalismus', sondern vor allem eines: eben Blätter für Anzeigen. Aber inzwischen erfüllen sie auch einen anderen Zweck – und keinen guten, wie Böhmermann anhand einiger Beispiele ostdeutscher Anzeigenblätter zeigt. So ist etwa in der "Bürgerzeit", einem Anzeigenblatt aus Greiz, so etwas zu lesen: "Was 'Hass, Hetze und Gewalt' sind, bestimmen ausschließlich die Regierung und ihr Geheimdienst – und immer mehr auch die Medien." Oder auch das hier: "Migranten-Morde? Schuld sind die Deutschen!".

Ein anderes Beispiel ist "Neues Gera", ein Anzeigenblatt aus Gera. Das biete nicht nur Meinungen und Behauptungen der AfD breiten Raum und sei gepflastert mit AfD-Anzeigen, sondern habe auch einen gewissen Harald Frank als Geschäftsführer und Redaktionsleiter, der zufällig auch Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion im Stadtrat von Gera ist. "Das steht nicht dabei", ergänzt Böhmermann über die Intransparenz. Von journalistischer Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit also keine Spur. Ausgerechnet bei der AfD, die sich sonst gerne als Opfer der Medien inszeniert.

Anzeigenblätter für "Hass und Hetzparolen"

Aber das sind keine Einzelfälle, wie Böhmermann anhand weiterer Anzeigenblätter zeigt: der "Kurier" aus Altenburg, die "Westsächsische Zeitung" aus Zwickau, die "Fürstenwalder Zeitung" oder die "Beeskower Zeitung". All diese Anzeigenblätter, die in den jeweiligen Regionen Tausende Menschen erreichen, seien bestens vernetzt, "aber wer dahinter steckt, das wissen die meisten Leserinnen und Leser nicht", erklärt Böhmermann und zitiert hierzu aus der "Zeit": "Stephan Kramer, Verfassungsschutz-Präsident in Thüringen spricht von einer ausgeklügelten Medienstrategie der AfD und anderer Rechtsextremer. Man nutze die Akzeptanz der Anzeigenblätter vor Ort, um 'bedarfsorientiert Hass und Hetzparolen in die sozialen Räume zu streuen'."

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Böhmermann selbst fasst die Lage so zusammen: "Diese ganzen kostenlosen Anzeigenblätter, die tun so, als wären sie unabhängige Medien, die gegen den ideologischen und parteiischen Mainstream sind. Aber sind in Wirklichkeit ideologische und parteiische Medien für die Mainstream-Partei AfD. Und sie werden zum Teil auch noch mit öffentlichen Geldern gefördert. Das ist als Journalismus getarnte Partei-Propaganda. In Orten, wo seriöse Lokalredaktionen immer weniger relevant werden: ostdeutsche, rechtsextreme Regionalanzeiger."

Böhmermanns Recherchen sind umso erschreckender, da die Propaganda in Anzeigenblättern nicht die einzige Strategie der Rechten ist. Kern all dieser Strategien ist es, die Institutionen, die seit Jahrzehnten die Basis für ein friedliches Zusammenleben, für die Kontrolle des Staates, für Fortschritt, Kultur, Mitbestimmung und auch für Recht waren, in ihrer jetzigen Form aus dem Weg zu schaffen. Weil sie der natürliche Feind menschenverachtender Ideologien sind. Dazu gehört, dass die Wissenschaft verächtlich gemacht und in Zweifel gezogen wird, denn damit ist jeder sachlichen Diskussion die Grundlage entzogen. Wenn es keine Wissensbasis gibt, auf die man sich als Gesellschaft einigt, kann man alles behaupten und sei es noch so absurd.

Was, wenn niemand mehr da ist, der dagegen hält?

Zur rechten Strategie gehört auch, "die Medien" zu diffamieren. Denn wenn man erst einmal den Vorwurf der "Lügenpresse" etabliert und Zweifel gesät hat, hat man auch diejenigen mundtot gemacht, die den absurden Mist kontrollieren, den man da so verzapft. Dann kann man sich ohne große Gegenwehr am politischen Gegner abarbeiten, ihn beleidigen, für unfähig erklären und die großartigsten Versprechungen machen – es ist ja niemand mehr da, der dagegen hält.

Weitere Opfer rechter Diffamierungsstrategien sind die Kulturinstitutionen oder auch die Verfassungsgerichte, also diejenigen, die unsere Verfassung und damit uns vor Verfassungsfeinden schützen sollen. Und wer nun meint, so schlimm werde es schon nicht kommen: Es ist schon längst im Gange. Das macht Böhmermanns Befund nur um so schlimmer, nämlich dass die Rechten nun mit ihrer Anzeigenblätter-Strategie einen weiteren Weg gefunden haben, um ihre menschenverachtende Saat zu säen.

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