Was kann man am besten gebrauchen? ProSieben lässt bei seiner neuen Erfinder-Show "Das Ding des Jahres" das Publikum über die Nützlichkeit von Erfindungen abstimmen. Nach zwei Folgen ist klar: Das ist keine gute Idee.

Christian Vock
Eine Kritik
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Ein Multifunktionsbecher also. So hat das Saalpublikum entschieden und den Shaker fürs Fitnessstudio zum nützlichsten Produkt der zweiten Folge von "Das Ding des Jahres" gewählt. Die Jury um Joko Winterscheidt und Co. traf die gleiche Wahl und schickte den Becher mit der Handyhalterung ins Finale zum Ding des Jahres.

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Dort wird der Becher unter anderem auf ein App-gesteuertes Modellauto und einen 10-Sekunden-Zahnputzapparillo treffen. Diese beiden Erfindungen wurden nämlich in der Auftaktfolge am Freitagabend ebenfalls ins Finale gewählt.

Damit ist eigentlich auch schon erzählt, worauf die neue Erfinder-Show von ProSieben baut: Wettbewerb und Abstimmung. Und das funktioniert so: 40 Erfinder stellen in fünf Shows immer in Zweier-Duellen ihre Erfindungen vor.

Das Publikum bestimmt, wer es zur Finalabstimmung schafft. Dort gibt es dann einen Show-Sieger, wenn das Votum von Jury und Saalpublikum übereinstimmt, ansonsten zwei Sieger.

In der Finalshow kämpfen dann alle Finalisten um den Titel "Das Ding des Jahres" und um Fernsehwerbezeit im Wert von 2,5 Millionen Euro. Einziges Kriterium für die Abstimmung ist die Frage, wie sehr Jury beziehungsweise Publikum die Erfindung gebrauchen können.

Keine zweite "Höhle der Löwen"

Damit grenzt sich "Das Ding des Jahres" ganz klar vom Formatvorreiter "Die Höhle der Löwen" ab. Dort zählt nämlich nicht die Nützlichkeit eines Produktes, sondern die Antwort auf die Frage, wie gut sich die Erfindung vermarkten lässt. Da ist es nur logisch, dass bei der "Höhle der Löwen" nicht ein Publikum die Daumen hebt oder senkt, sondern ein Expertenteam aus erfolgreichen Unternehmern.

Dass "Das Ding des Jahres" nicht einfach das Konzept der Konkurrenz übernehmen kann, ist klar. Wenn man so eine Show machen möchte, dann muss man eben etwas anders machen. Nur ist das, was man gemacht hat, auch gut? Zumindest tauchen hier Fragen auf:

Warum beispielsweise gibt es diese Duelle zwischen den Kandidaten? Warum ist, wie in Folge zwei geschehen, eine Abtropfhilfe nützlicher eine Crêpe-Maschine? Jemand, der gerade Crêpes machen möchte, aber gerade nur eine Abtropfhilfe hat, dürfte zu einer anderen Einschätzung kommen.

Warum also soll eine Idee besser sein als die andere? Nur, weil es das Saalpublikum so einschätzt oder eine Jury aus zumindest teilweise fragwürdigen Experten? Bei allem Respekt, aber warum soll eine Lena Gercke die Nützlichkeit eines Produkts einschätzen können? Weil, wie Moderatorin Janin Ullmann es begründet, sie für viele Produkte Werbung gemacht hat?

"Das Ding des Jahres": weder Fisch noch Fleisch

Warum sitzt Gercke trotzdem in dieser Show? Weil es wurscht ist. Weil ProSieben sich entschieden hat, lieber auf Unterhaltung zu setzen als auf Sinn. Aber auch das macht der Sender nur halbherzig und steckt mit Hans-Jürgen Moog noch einen Alibi-Experten in die Jury.

Aber, Hand aufs Herz: Wer würde denn bei einer Feier zum Stimmung machen den Geschäftsführer von Rewe einladen?

Natürlich hat ProSieben jeden Grund, so eine Show anders zu machen als die Konkurrenz, aber so wie man die Show gemacht hat, ist das weder Fisch noch Fleisch. Weder echte Fernsehunterhaltung noch richtiges Erfinderflair. Was also hätte ProSieben anders machen können?

Wenn man dem Ganzen schon eine Jugend-forscht-Atmosphäre verpasst, warum dann nicht richtig? Warum hat ProSieben nicht den Mut gehabt, einmal wirklich sinnvollen Ideen eine Plattform zu bieten? Dingen, die die Welt wirklich braucht?

Stattdessen nimmt die Show als einziges Kriterium die Frage: "Was können Sie besser gebrauchen?" In einer Welt, die überquillt von unnützem Zeug, ist das so brutal banal.

ProSieben könnte auch anders

Werfen wir doch mal einen Blick darauf, was das Publikum so alles für nützlich hielt: einen Bierkasten-Eisblock, eine Abtropfhilfe, ein Modellauto, einen Multifunktionsbecher, Klopapier in Taschenform, eine 10-Sekunden-Zahnbürste und eine Cocktailmischmaschine.

Angesichts dieser Erfindungen erstaunt dann nicht mehr, wie Janin Ullmann Nützlichkeit für die Zuschauer definiert: "Es gibt Erfindungen, die finden alle toll. Wasserrutschen zum Beispiel. Dann gibt es Erfindungen, die finden manche gut, andere eher schlecht. Grobe Blutwurst würde mir da einfallen."

Sieht man sich die wirklichen Herausforderungen der Menschheit einmal an, vom Klimawandel bis zur Vermüllung der Meere, merkt man schnell: Grobe Blutwurst taucht da als Problem ebenso wenig auf wie Wasserrutschen als Lösung. Warum also in so einer Show nicht einmal fragen: Was könnte die Menschheit gebrauchen?

Wo könnte man so ernste Themen besser, informativer und unterhaltsamer unterbringen, als in so einer Show? Dass so etwas funktioniert und der Sender dafür auch aufgeschlossen ist, zeigt ProSieben ja bereits seit langem mit seiner Green Seven Week, bei der der Sender in vielen Formaten auf Zukunftsprobleme aufmerksam macht. Warum dann nicht einmal in einer solchen Show?

Lieber Unterhaltung als Sinn

Nur ein einziges Mal blitzte dieser Ansatz bisher bei "Das Ding des Jahres" auf. Als nämlich gestern Abend ein Berliner Tüftler einen E-Roller vorstellte. "Ich will, dass die Welt überlebt. Und zwar möglichst so, wie sie jetzt ist", erklärt der Erfinder seine Beweggründe. Ins Finale schaffte es der Roller natürlich nicht.

Stattdessen feierten Publikum und Jury lieber den Becher fürs Fitnessstudio: "Die Leute drehen gerade durch, als hättest du das Rad erfunden", erklärt Joko Winterscheidt dazu und man muss erkennen: Nein, hier wurde nicht das Rad erfunden, noch nicht einmal das Stützrad. Hier wurde etwas erfunden, wofür man früher einfach einen Turnbeutel genommen hat.

Und so gilt für die Show das gleiche, was für die Produkte gilt, die dort vorgestellt wurden: Wirklich brauchen, tut sie niemand.


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