Deutschlands Strommarkt befindet sich im Wandel: Erneuerbare Energien nehmen zu, Gas und Kohle ab und Atomenergie gibt es nicht mehr – zudem steigen die Stromimporte aus dem Ausland. Doch wie funktioniert der Strommarkt und der europäische Stromhandel im Detail? Ein Überblick.

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In der Politik fielen in den letzten Monaten und im Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl immer wieder Sätze wie: "Wir schalten unsere Atomkraftwerke ab und beziehen gleichzeitig Atomstrom aus Frankreich" oder "Erneuerbare Energien sind nicht geeignet, um eine solide Grundlast zu gewährleisten". Aber was ist dran an diesen Aussagen? Ein Blick auf den europäischen Strommarkt.

Bis Mitte der 1990er-Jahre waren die Strommärkte in Europa stark national geprägt – man könnte sagen, jeder kochte sein eigenes Strom-Süppchen. Dann erließ die EU zwischen 1996 und 1998 das erste Energiepaket, damit einher ging eine "Liberalisierung der nationalen Energiemärkte".

Aber erst 2003, mit dem zweiten Energiepaket, bekam der deutsche Stromkunde - egal ob privat oder geschäftlich - die Möglichkeit, seinen Stromlieferanten frei unter einer großen Auswahl an Anbietern wählen zu dürfen. Es folgten noch drei weitere Pakete, die aus dem europäischen Strommarkt das machten, was er heute ist: ein Binnenmarkt für Energie in Europa.

Im Zuge der Energiepakete wurde der Strommarkt auch aufgegliedert. Die Stromerzeugung wurde vom Transport und vom Vertrieb getrennt. Dadurch sollte der Wettbewerb gefördert werden, es herrscht jetzt das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage. Zuletzt erließ im Juli dieses Jahres die EU das vorerst letzte Energiepaket im Zuge des "Green Deals". Mit "Fit für 55" sollen die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden. Ursprünglich waren 40 Prozent vorgesehen, für eine Klimaneutralität bis 2050 sind aber 55 Prozent notwendig.

Wie wird der Strom in Europa gehandelt?

Häufig wird der Strom direkt vom Erzeuger - also in der Regel der Betreiber eines Kraftwerks - an ein Industrieunternehmen oder einen Großabnehmer wie örtliche Energieversorger verkauft.

Die Erzeuger müssen ihren Strom aber nicht nur direkt an die Kunden verkaufen, sondern können ihn auch über eine Börse handeln. Die deutsche Strombörse, die European Energy Exchange AG (EEX), hat ihren Sitz in Leipzig und gilt als führende Börse auf dem europäischen Strommarkt. An der Strombörse dürfen nur Unternehmen handeln und keine Privatpersonen.

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Obwohl Europa einen gemeinsamen Strommarkt hat, verfolgen die einzelnen, nationalen Märkte unterschiedliche Konzepte. Dabei sind besonders zwei Systeme hervorzuheben – der in Deutschland bevorzugte EOM ("Energy-Only-Markt") und der in Frankreich seit einigen Jahren und schon früher in Großbritannien favorisierte "Kapazitätsmarkt".

Beim EOM-Prinzip wird an den Börsen nur die Strommenge gehandelt, die auch tatsächlich erzeugt wird. Nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip heißt das: steigt die Nachfrage, steigt auch der Preis. Deshalb gilt hier das Merit-Order-Prinzip – also Anlagen, die den günstigsten Strom erzeugen, werden bevorzugt und als erstes zugeschaltet. Das sind in der Regel die Erneuerbaren Energien, wie Wind, Solar oder Biomasse. Erst wenn mehr nachgefragt wird als zur Verfügung steht, werden Kohle- und Gaskraftwerke angeworfen. Der Betrieb dieser Kraftwerke kostet allerdings mehr und damit steigt auch der Preis.

Der Kapazitätsmarkt funktioniert hingegen in Frankreich mit Produktionsgarantien und in Großbritannien mit verfügbaren Kapazitäten. Das Ergebnis bleibt gleich. Großhändler kaufen Zertifikate von den Erzeugern, die ihnen damit zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegte Mengen an Strom zusichern. Dabei ist es gleich, ob der Abnehmer sie vollends abruft oder nicht. Das gibt Kraftwerksbetreibern eine große Sicherheit – auch finanziell. Sie bekommen ihr Geld, selbst wenn der Strom nicht gebraucht werden sollte. Dieses Prinzip kann allerdings zu Überkapazitäten führen.

Europa ist ein Binnenmarkt

"Die Schaffung eines Energiebinnenmarktes ist eines der zentralen Elemente der Energieunion. Die Energieunion strebt danach, den europäischen Binnenmarkt für Strom und Gas in Europa weiterzuentwickeln und klimafreundliche Energieversorgung langfristig sicher, emissionsarm und kostengünstig zu machen", erklärt die Bundesnetzagentur. Das heißt, der europäische Strommarkt ist darauf ausgelegt, dass Strom unter den einzelnen Ländern gehandelt wird. Dabei verfahren die Länder nach dem marktüblichen Prinzip: Dort, wo der Strom am günstigsten ist, wird er auch eingekauft.

Deutschland bezog 2023 über 70 Prozent seiner Stromimporte aus fünf Ländern: Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und der Schweiz. Österreich und Tschechien sind ebenfalls oben mit dabei. Es zeigt sich auch, dass Deutschland bei den Nettoimporten (mehr Strom importiert, als exportiert) besonders gerne in Skandinavien shoppen geht. "Hier entfielen 2023 rund 83 Prozent auf die skandinavischen Länder Dänemark, Schweden und Norwegen", heißt es in einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Der Anteil der Erneuerbaren Energien beim Nettoimport lag 2023 bei 73 Prozent.

Generell kann man aber sagen, dass der Stromimport nur einen geringen Teil am deutschen Strommix ausmacht. Abzüglich der Exporte hat Deutschland 2023 11,7 Terawattstunden Strom importiert. Das entspricht 2,3 Prozent des deutschen Strombedarfs. Ohne die Exporte lagen die Bruttoimporte bei 12,3 Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil der Kernenergie der letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke am Strommix im Jahr 2022 betrug etwa sechs Prozent.

Atomkraftwerke und die Mär von der Grundlast

Immer wieder sprechen Politikerinnen und Politiker davon, dass man nur mit Erneuerbaren Energien die Grundlast in Deutschland nicht decken kann. Deshalb wird häufig dafür plädiert, erneut Kernkraftwerke zu bauen oder die Abgeschalteten weiter zu betreiben – als ökologische Alternative zu Kohle- und zum Teil Gaskraftwerken. Dies wird auf europäischer Ebene durch die EU-Taxonomie unterstützt. Sie ist ein Regelwerk zur Nachhaltigkeit und soll zum Ziel der EU-Klimaneutralität bis 2050 beitragen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 2022 von der EU-Kommission beschlossen, auch Kern- und Gaskraftwerke unter bestimmten Bedingungen als "grün" einzustufen.

Ein weiterer Vorwurf, der immer wieder laut wird: Deutschland schaltet seine Atomkraftwerke ab, aber importiert Atomstrom aus Frankreich. Tatsächlich ist Frankreich der größte Atomstromerzeuger in der Europäischen Union. Das Land produziert fast die Hälfte des Atomstroms in der EU. Dennoch kam nur ein Viertel des importierten Stroms aus Kernkraftwerken. Doch selbst dieser geringe Anteil an Atomkraft aus dem Ausland wäre nicht notwendig, denn Deutschland kann 100 Prozent des benötigten Stroms, sogar ohne Erneuerbare und Kernkraft, selbst erzeugen. 75 bis 80 Gigawatt sei der maximale Bedarf in Deutschland. Würde man alle Kohle-, Gas- und Wasserkraftwerke laufen lassen, käme man laut "SZ" auf rund 100 Gigawatt.

Aber was ist jetzt mit der Grundlast? Heute ist der Begriff der Grundlast eigentlich veraltet. Die Grundlast bezeichnet die Belastung eines Stromnetzes, die am Tag nicht unterschritten wird. Da der Anteil der Erneuerbaren Energien am Strommix in den letzten Jahren immer weiter zugelegt hat, spricht man heute eher von Residuallast. Aus der Restlast, die noch benötigt wird, rechnet man den Ökostrom raus. An manchen Tagen beträgt diese sogar null oder ist negativ. Das heißt, der gesamte nachgefragt Strom wird durch Erneuerbare Energien erzeugt.

Sollte mal nicht genug Wind wehen oder Sonne scheinen, braucht es Kraftwerke oder Speicher, die schnell zugeschaltet werden können, um die Residuallast zu erzeugen. Hierfür sind besonders Gaskraftwerke geeignet, da sie relativ schnell ans Netz gehen und in Zukunft auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Atomkraftwerke sind eher ungeeignet, da sie eine relativ lange Zeit zum Hochfahren benötigen. Im Idealfall kann allerdings der Strom, der in Ököstrom-Hochphasen produziert und nicht abgenommen wird, gespeichert und zu einem anderen Zeitpunkt genutzt werden.

Beim Ausbau der Speicherstruktur in Deutschland ist allerdings noch Luft nach oben. Das Fraunhoferinstitut geht davon aus, dass bis 2030 104 Gigawattstunden an Speicherkapazität benötigt wird. 2023 gab es Speicher mit einer Kapazität von zwölf Gigawatt. Laut NDR ist die Kapazität innerhalb eines Jahres auf heute 16,9 Gigawatt angestiegen und der Ausbau soll weiter massiv vorangetrieben werden. Im Vergleich: 2020 gab es lediglich eine Speicherkapazität von 2,3 Gigawattstunden.

Auch der günstige Zukauf von Strom aus dem Ausland zur Deckung der Restlast wird ebenfalls immer wahrscheinlicher. "Der europäische Stromhandel ermöglicht es uns nicht nur, von der günstigen Stromerzeugung in Nachbarländern zu profitieren, sondern hilft so auch dabei, die regional unterschiedlichen Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen", heißt es beim IW. Der Zukauf von Strom aus dem Ausland wird also zukünftig wohl eher noch zunehmen und dient damit zusätzlich dem Klimaschutz – das bedeutet aber nicht, dass Deutschland seinen Energiebedarf nicht selbst decken könnte.

Verwendete Quellen

Offenlegung: Auch WEB.DE und GMX bieten Strom an.
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