• Klimaaktivistin Greta Thunberg hat Deutschland in einer Talkshow als einen der größten Klimasünder der Welt bezeichnet.
  • CO2-Emissionen, Kohleverstromung und Lobbyismus für die deutsche Autoindustrie geben ihr recht.
  • Doch bei Erneuerbaren Energien und internationaler Kooperation war die Politik erfolgreich.
Ein Faktencheck

Deutschland sei historisch gesehen einen der größten Umweltverschmutzer weltweit. Das hat unlängst die Klimaaktivistin Greta Thunberg im Gespräch mit Talkshowmoderatorin Anne Will behauptet.

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Aber hatten wir nicht 16 Jahre lang die "Klimakanzlerin" Angela Merkel? Hat nicht ihr Nachfolger Olaf Scholz sich im Wahlkampf ebenfalls als "Klimakanzler" angepriesen? Und hat nicht schon die rot-grüne Bundesregierung vor mehr als 20 Jahren die Energiewende eingeleitet?

Zunächst hilft ein Blick auf die Zahlen: Nimmt man alle CO2-Emissionen aus fossilen Quellen und Landnutzungsänderungen zwischen 1850 und 2021 zusammen, ist Deutschland laut Carbon Brief für 89 Milliarden Tonnen des Treibhausgases verantwortlich – Platz sechs hinter den USA, China, Russland, Brasilien und Indonesien. Pro Kopf landet Deutschland – gemessen an der Bevölkerung im Jahr 2021 – auf Platz neun.

Deutschland lag 2018 auf Rang 9 der höchsten CO2-Emissionen

Alles Geschichte? "In Deutschland wurden im Jahr 2022 nach vorläufigen Schätzungen 756 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen", berichtet Dr. Sascha Samadi vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Das sind zwar 39 Prozent weniger als 1990, doch Deutschlands Ziel sah 40 Prozent weniger bis 2020 vor. "Deutschland liegt nach den letzten vorliegenden globalen Zahlen aus dem Jahr 2018 gegenwärtig bei den Treibhausgasemissionen auf Rang neun", ordnet Samadi ein.

Die Pro-Kopf-Emissionen sind zwischen 2018 und 2022 zwar von zehn auf neun Tonnen CO2-Äquivalente gesunken, doch der globale Durchschnitt lag 2018 bei 6,7 Tonnen. Nähme man noch die Treibhausgasbilanz der Importe und Exporte hinzu, also wie viele Treibhausgase unter dem Strich für den inländischen Konsum im Ausland verursacht werden, käme auf die deutschen Emissionen noch ein Fünftel drauf.

Problem: Deutschland verstromt zu viel Kohle

Dass Deutschland bei den CO2-Emissionen schlechter abschneidet als manches Industrienachbarland, lag und liegt auch an der Kohleverstromung. "Nach vorläufigen Zahlen lag deren Anteil im Jahr 2022 bei 22 Prozent und war damit höher als beispielsweise die gesamten Treibhausgasemissionen des Verkehrs", sagt Samadi. "Kohlekraftwerke erzeugten 2022 knapp ein Drittel des Stroms in Deutschland, waren aber für drei Viertel der Emissionen des Sektors verantwortlich."

Der Anteil der Kohle ist in Deutschland noch immer viel zu hoch, der Ausbau erneuerbarer Energien geht viel zu langsam", betont auch Dr. Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Zudem fehle eine Verkehrswende, die mit einer Verlagerung des Verkehrs von Straße auf Schiene, der Ausweitung der Elektromobilität auf Straße und Schiene und Förderung des Bahn-, Fahrrad- und Fußverkehrs einhergehe. "Die Emissionen im Verkehrssektor müssten viel schneller sinken – aufgrund fehlender politischer Maßnahmen werden die Klimaziele im Verkehrssektor deutlich verfehlt." Auch im Gebäudesektor müsse schneller und mehr energetisch saniert werden.

Bundesregierungen lobbyierten in Brüssel gegen das Klima

Besonders als Klimasünder hat sich Deutschland im Automobilsektor erwiesen. "Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben sich die Bundesregierungen unter Angela Merkel mehrmals auf europäischer Ebene für weniger starke beziehungsweise langsamere Verschärfungen der CO2-Emissionsgrenzwerte für neue Fahrzeuge eingesetzt", berichtet Samadi. Ein weiteres klimaschädliches Verhalten ergänzt Kemfert: "Fossiles Erdgas wurde auch auf Initiative Deutschlands im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig eingestuft."

Klimaschützerinnen und -schützer kritisieren, selbst die auf Druck des Bundesverfassungsgerichts nachgeschärften Klimaschutzziele seien nicht ausreichend. Samadi bestätigt diese Einschätzung: "Erfolgt – zum Beispiel mit Verweis auf das Vorsorgeprinzip – eine Orientierung an der 1,5-Grad-Grenze, so lässt sich zeigen, dass bei einer weltweit gleichen Pro-Kopf-Aufteilung der dafür noch möglichen CO2-Emissionen ein deutlich schnellerer Rückgang der deutschen Treibhausgasemissionen notwendig wäre, als es die aktuellen Ziele der Bundesregierung vorsehen."

Im günstigsten Falle könne Deutschland so seinen Beitrag leisten, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Es lasse sich "durchaus schlussfolgern, dass Deutschland derzeit nicht auf Paris-Kurs liegt."

Lichtblicke bei der nationalen und internationalen Energiewende

Ein paar Lichtblicke gibt es dennoch. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein Exportschlager, der in mindestens 71 Ländern der Welt die Energiewende beschleunigt hat. "Zudem fördert die Bundesregierung die Energiewende in anderen Ländern über unterschiedliche Instrumente, wie unter anderem über die sogenannten 'Energiepartnerschaften' und 'Energiedialoge'", berichtet Samadi.

Auch im eigenen Land müsse man die Erfolge beim Ausbau der Erneuerbaren Energien anerkennen, findet der Wirtschaftsforscher. Sein Fazit lautet dennoch: "Diese Bemühungen reichen aber angesichts des rapide voranschreitenden Klimawandels nicht aus und müssen in den nächsten Jahren deutlich beschleunigt werden."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Sascha Samadi, Wuppertal Institut
  • Gespräch mit Prof. Dr. Claudia Kemfert, DIW
  • carbonbrief.org: Analysis: Which countries are historically responsible for climate change?
  • Agora Energiewende: Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2022
  • Umweltbundesamt: Entwicklung der spezifischen Treibhausgas-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 - 2021
  • Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Energiepartnerschaften und Energiedialoge
  • ourworldindata.org: How do CO2 emissions compare when we adjust for trade?
  • European Commission: GHG emissions of all world countries
  • euractiv.com: Germany selects lower gear, supports 30% CO2 car cuts
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