Die Zahl der Atomwaffen geht zwar seit den 1980er-Jahren kontinuierlich zurück. Aber das heißt nicht, dass die Gefahr eines Atombombenabwurfs gebannt wäre. Die Staaten investieren viel Geld in die Modernisierung ihrer Systeme und manche von ihnen agieren unberechenbar - so wie Nordkorea.
Wie gefährlich sind die Atomtests, die Nordkorea derzeit durchführt? Wollten die Staaten nicht eigentlich abrüsten und wie viele Atombomben sind gerade einsatzbereit?
Diese und weitere Fragen beantwortet der Greenpeace-Experte Heinz Smital im Interview mit unserer Redaktion.
Herr Smital, es gibt zwar laut Sipri weniger Atomwaffen als im Vorjahr, aber offenbar rüsten die Atommächte inzwischen langsamer ab - oder ist das ein falscher Eindruck?
Heinz Smital: Die 15.000 Atomwaffen sind zwar das Ergebnis einer leichten Reduktion, aber es zeichnet sich ganz klar ab, dass alle Atomwaffenstaaten weiter auf ein starkes Arsenal von Atomwaffen setzen werden.
Die tatsächliche Abrüstung ist zum Erliegen gekommen, die Anzahl der sofort einsatzbereiten Atomwaffen ist inzwischen sogar wieder leicht gestiegen. (An. d. R.: 2016 waren es 4120 und 2017 sind es 4150).
Geht der Trend eher zur Abrüstung oder zur Modernisierung der Waffen?
Tatsächlich steht bei allen Atomwaffenstaaten die Modernisierung der Atomwaffen im Vordergrund und nicht die Abrüstung.
Es werden gigantisch hohe Summen investiert, um sie zu modernisieren. Für die USA werden 400 Milliarden Dollar im Zeitraum von 2017 bis 2026 dafür veranschlagt, eine Billion Dollar in den nächsten 30 Jahren.
England will etwa 40 Milliarden Pfund in die Entwicklung von U-Booten als Trägersysteme von Atomwaffen investieren.
China ist nun auch dabei, U-Boote als Basis für Atomwaffen zu entwickeln. Diese Investitionen treiben eine atomare Rüstungsspirale an.
Ein Problem ist auch, dass beispielsweise in den USA die Befehlsstrukturen zum Einsatz von Atomwaffen auf eine schnelle Reaktion hin optimiert sind.
Ein vorschneller und unüberlegter Einsatzbefehl kann nicht mehr leicht gestoppt werden.
Wie oft fanden bereits Atomwaffentests statt?
Der letzte Atomtest vom 3. September in Nordkorea hatte etwa eine Stärke von 100 bis 150 Kilotonnen TNT-Äquivalent und war damit etwa zehnmal so stark wie die Atombombe von Hiroshima.
Insgesamt wurden etwa 2.000 Atomtests durchgeführt, davon zirka 1.000 von den USA.
Wie gefährlich sind diese für die Umwelt?
Für die Umwelt besonders belastend waren die oberirdischen Atomtests, die eine direkte Ausbreitung der Radioaktivität zur Folge hatten. Diese Tests sind seit 1996 eingestellt.
Bei unterirdischen Tests entstehen aber auch radioaktive Spaltprodukte und verdampftes radioaktives Uran oder Plutonium. Diese werden zum Beispiel von Nordkorea weiterhin durchgeführt.
Durch die Explosion entstehen unterirdische Hohlräume und Spalten im Gestein, durch die sich mit der Zeit radioaktive Stoffe ausbreiten können.
Die Anforderungen, die man zum Beispiel bei einem radioaktiven Endlager an ein Wirtsgestein stellt, finden hier ihr genaues Gegenteil.
Die Atomtests können heute auch durch Rechenmodelle ersetzt werden, sodass die Weiterentwicklung von Kernwaffen sich nicht mehr an der Durchführung von echten Atomtests ableiten lässt.
Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohungslage durch Atomwaffen weltweit?
Ich denke, dass die Bedrohungslage insgesamt zunimmt.
Wir haben eine gefährliche Spirale von Investitionen, Aufrüstungen und Weiterentwicklungen. Jeder Akteur kann sich als Opfer darstellen und nur auf die Provokationen anderer Staaten reagieren.
Neben dem Konflikt um Nordkorea ist ein Wettrüsten in Asien durch China, Indien und Pakistan bedrohlich.
Das wurde auch durch die fehlende Abrüstung und Investitionen in Kernwaffensysteme der westlichen Staaten angestoßen.
Greift der Mechanismus der gegenseitigen Abschreckung noch?
Atomwaffen haben auch heute noch eine hohe Abschreckung. Aber je mehr Akteure und je unübersichtlicher die Zusammenhänge, desto weniger kann man darauf bauen, dass wegen der Abschreckung keine Atombombe gezündet wird.
Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Atomschlag?
Die internationale Atomkriegsuhr (doomsday clock) steht seit 2017 auf 2,5 Minuten vor zwölf, also so nahe an der Katastrophe wie kaum zuvor.
Die Uhr wird von der Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" gestellt. Sie soll der Öffentlichkeit verdeutlichen, wie groß das derzeitige Risiko einer globalen Katastrophe ist, insbesondere eines Atomkriegs.
Ich persönlich halte derzeit einen Atomschlag für unwahrscheinlich, weil jeder einzelne Akteur sich der Wirkung und Brisanz bewusst sein wird. Dennoch halte ich es für möglich.
Auslöser für einen Atomschlag können zum Beispiel sein: Datenfehler und Fehlinterpretationen in einer politisch sehr aufgeheizten Stimmung.
Oder bisher nicht entdeckte Entwicklungen von Atomwaffen im Schatten von ziviler Atomenergie-Nutzung und Atomforschungsanlagen. Oder ein terroristischer Einsatz von einfachen Atomwaffen.
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