Kosmische Strahlen, Positronen und Neutronensterne waren seine Welt – die Welt des Physikers Robert Oppenheimer. Die Atombomben "Little Boy" und "Fat Man" veränderten nicht nur sein eigenes Leben, sondern die ganze Menschheit. Nun wurde die Geschichte des "Vaters der Atombombe" verfilmt. Wer er war und was ein Experte für das Spannende an seiner Biografie hält.

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16. Juli 1945, noch vor Sonnenaufgang in der Wüste von New Mexico: Eine Gruppe von Wissenschaftlern trägt geschwärzte Gläser vor ihren Augen und blickt gespannt in die Ferne. Ein Countdown ertönt, dann ereignet sich eine überwältigende Explosion. Ein lichtförmiger Pilz steigt langsam in die Höhe und erleuchtet die ganze Wüste. Die Forschenden sind Zeugen der Explosion der ersten Atombombe der Weltgeschichte geworden.

"Dieser Anblick hat mich völlig verändert", wird Physiker Robert Oppenheimer später sagen, der das wissenschaftlich-technische Großprojekt, bei dem an einer Atomwaffe geforscht wurde, leitete. Als er die Explosion sah, seien ihm die Zeilen der Bhagavad Gita, einer heiligen Schrift des Hinduismus in den Kopf gekommen: "Jetzt bin ich der Tod geworden. Der Zerstörer der Welten." Er sollte Recht behalten: Nur wenige Wochen später richten die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben verheerende Verwüstungen an.

Die Geschichte des "Vaters der Atombombe", wie Oppenheimer allgemein genannt wird, läuft derzeit in den deutschen Kinos. Star-Regisseur Christopher Nolan hat sie in einem dreistündigen Film auf die Leinwand gebracht.

Eine Biografie, die aus Sicht des Historikers Takuma Melber noch immer große Relevanz hat. Er hat sich mit der Geschichte der Atombombe befasst und sagt: "In den Diskussionen über den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine ist immer wieder von einem möglichen Atombombeneinsatz die Rede. Eigentlich dachte man, das Kalte-Krieg-Denken sei ein gestriges und wir hätten es hinter uns gelassen – Wladimir Putins Krieg macht uns die nukleare Bedrohung nun wieder bewusster."

Sohn jüdischer Einwanderer

Um das Hier und Jetzt besser verstehen zu können, lohnt es sich, sich mit Oppenheimer als Vater der Kernwaffe auseinanderzusetzen. Wer also war der Mann, der die bis dahin tödlichste Bombe der Geschichte entwickelte?

Julius Robert Oppenheimer wird am 22. April 1904 in New York geboren. Er ist das zweite Kind wohlhabender jüdischer Einwanderer. Sein Vater Julius S. Oppenheimer, der ursprünglich aus Hanau in Hessen stammte, arbeitete in der Textilbranche. Seine Mutter Ella Friedmann besaß ein Atelier in New York und war als Kunstlehrerin tätig.

Robert und sein Bruder Frank wachsen behütet auf und erhalten neben der Schule zusätzlichen Privatunterricht. Oppenheimer durchläuft seinen schulischen Werdegang als Überflieger. Er ist einer der Klassenbesten der privaten New Yorker Sekundarschule "Ethical Cultural School" und beginnt im Jahr 1922 das Studium an der renommierten Harvard Universität, zunächst im Hauptfach Chemie. Nach drei Jahren schließt er das Studium mit der Auszeichnung "summa cum laude" ab.

Schon während dieser Zeit interessiert sich Oppenheimer auch für Literatur, Kunst, Architektur, Altgriechisch und Physik. Bei einem anschließenden Aufenthalt an der Universität Cambridge spezialisiert sich der Wissenschaftler schließlich auf die theoretische Physik. 1926 veröffentlicht Oppenheimer Arbeiten, die in Deutschland Beachtung finden. Er behandelt darin Fragen der Quantenmechanik und der Atomstruktur und macht damit Max Born auf sich aufmerksam.

Der spätere Nobelpreisträger bietet ihm einen Platz als Doktorand in Göttingen an – Oppenheimer willigt ein. Bereits im Jahr darauf, 1927, promoviert der junge Wissenschaftler. Oppenheimer, der sich in Kreisen mit führenden Atomwissenschaftlern wie Niels Bohr und Werner Heisenberg bewegt, lehrt im Anschluss unter anderem an der Universität von Berkeley und am California Institute of Technology. Der Ruf, den er innerhalb der Fachwelt genießt, ist exzellent.

Wettlauf gegen Nazi-Deutschland

1939 bricht in Europa der Zweite Weltkrieg aus. Nazi-Deutschland besetzt im Laufe der Jahre den halben Kontinent und erschreckt die Weltgemeinschaft mit grausamen Verbrechen. Die Amerikaner und andere Nationen fürchten: Deutschland könnte eine Atombombe bauen. Man traute dem wissenschaftlichen und technischen Potenzial zu, eine solche zu entwickeln.

Nur ein Jahr vor Kriegsbeginn ist den deutschen Wissenschaftlern Otto Hahn und Fritz Straßmann eine bahnbrechende Entdeckung gelungen: die Kernspaltung. Mit großer Sorge blicken die USA deshalb auf das "Uranprojekt", in dem deutsche Forscher daran tüfteln, die Kernspaltung als Waffe zu nutzen.

Was beginnt, ist ein Wettlauf gegen NS-Deutschland. Im Jahr 1942 wird Oppenheimer schließlich eine Position angeboten, die ihm später den Namen "Vater der Atombombe" einbringt. Er soll das "Manhattan-Projekt" leiten – ein Regierungsprojekt mit dem Ziel, die erste US-amerikanische Atombombe zu bauen. Der Physiker nimmt die Stelle an, seine Motivation: Diktator Hitler und sein totalitäres Regime bekämpfen.

Mitten in der Wüste von New Mexico, am Los Alamos National Laboratory, arbeitet Oppenheimer mit seinem Team unter Hochdruck. Die Entwicklung dessen, was die Menschheit in ein "davor" und ein "danach" einteilen wird, gelingt: Oppenheimer verantwortet die Entwicklung der Atombomben "Little Boy" und "Fat Man", die im August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen werden.

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Moralische Zweifel an seiner Arbeit

Auch wenn er dafür mit der "Medal for Merit", einer der renommiertesten Auszeichnungen der Vereinigten Staaten geehrt wird, kommen in Oppenheimer schnell Zweifel auf. Er zeigt sich schockiert von den Folgen seiner wissenschaftlichen Arbeit und entwickelt sich zu einem der schärfsten Kritiker der amerikanischen Rüstungspolitik. "Er hat im Zuge der Entwicklung der Atombombe Zweifel bekommen und wurde in der Nachkriegszeit zu einem Pazifisten", sagt Melber und fügt hinzu: "Die Strahlkraft von Atombomben wurde ihm erst mit dem Abwurf bewusst."

Für Oppenheimer bleibt das nicht folgenlos: Als er sich weigert, an der Entwicklung einer Wasserstoffbombe mitzuwirken und diese zu verhindern versucht, wird er beschuldigt, als russischer Spion zu arbeiten. "Ihm war klar, dass die Auswirkungen einer Wasserstoffbombe noch höher und massiver wären", sagt Melber. Oppenheimer wird schließlich von allen geheimen US-Regierungsprojekten ausgeschlossen. "Seine wissenschaftliche Karriere wurde dadurch massiv beeinträchtigt", erklärt Experte Melber.

Spionage-Vorwürfe und Diskriminierung

Unter US-Präsident Eisenhower erfährt der zweifache Vater Diskriminierung und muss sich etlichen Verhören stellen. Dabei werden ihm frühere Verbindungen zu politisch linksgerichteten Kreisen zum Verhängnis und er wird aus allen Ämtern entlassen.

Rehabilitierung erfährt Oppenheimer erst spät – unter Präsident John F. Kennedy, der ihn mit dem Enrico-Fermi-Preis der Atomenergiebehörde auszeichnet. Bis zur formalen Rehabilitation dauerte es aber noch deutlich länger – nämlich bis ins Jahr 2022. Erst dann erklärte US-Energieministerin Jennifer Granholm es für fehlerhaft, Oppenheimer der Spionage bezichtigt und ihm die Unbedenklichkeitserklärung entzogen zu haben.

"Die offizielle Rehabilitierung, in der klargemacht wurde, dass ihm Unrecht getan wurde und man ihn aus politisch-ideologischen Gründen abserviert hat, fand vergleichsweise spät statt", sagt Melber. Zu dem Zeitpunkt war Oppenheimer schon tot.

Oppenheimer sei nicht der einzige gewesen, der federführend an der Entwicklung einer Atomwaffe beteiligt gewesen sei und sich danach pazifistisch verhalten habe. "Auch Otto Hahn hat seine wissenschaftliche Entdeckung verflucht und sich gefragt, was er der Menschheit damit angetan hat", erinnert Melber.

In seinem letzten Lebensabschnitt widmet sich der Physiker Oppenheimer der Beziehung zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. 1967, mit 62 Jahren, stirbt Oppenheimer an Kehlkopfkrebs.

Bombe gegen eigene Vorfahren

Die Biografie von Oppenheimer hält Melber neben dem Wandel zum Pazifisten auch wegen der deutschen Wurzeln des Wissenschaftlers für spannend. "Als Oppenheimer sich mit der Kernenergie als militärisches Gut befasst hat, hatte er die Intention, dass die Atombombe im Krieg gegen Deutschland, gegen seine eigenen Vorfahren, eingesetzt würde", sagt Melber.

Als Deutsche müssten wir dankbar sein, dass die Atombomben nicht auf Deutschland gefallen sind, meint Melber. "Das hätte auch anders kommen können", sagt er. So weit gehen, zu sagen, ohne Oppenheimer hätte es die Atombombe nicht gegeben, würde Melber nicht. "Es gab Vorstudien, über kurz oder lang wäre sie entwickelt worden – auch ohne Oppenheimer. Ich bin mir aber sicher, dass die Amerikaner sie als erstes entwickelt hätten", sagt er.

Zur Person: Dr. Takuma Melber ist Historiker und lehrt am Heidelberg Centre for Transcultural Studies der Universität Heidelberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Militärgeschichte, Kolonialismus und Imperialismus in Asien sowie das Zeitalter der Weltkriege im asiatisch-pazifischen Raum.
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