• Die Ampel-Koalition will den Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften erlauben. Bis Ende dieses Jahres sollen die Ministerien einen Gesetzentwurf vorlegen.
  • Burkhard Blienert ist Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt er, warum er für die Cannabis-Legalisierung ist - und trotzdem vor dem Konsum warnt.
  • Außerdem spricht der SPD-Politiker über die unterschätzte Volksdroge: "Alkohol ist das stärkste Zellgift."
Ein Interview

Herr Blienert, würden Sie Ihren Kindern erlauben, einen Joint zu rauchen?

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Burkhard Blienert: Nein, auf gar keinen Fall. Für Kinder und Jugendliche ist das gar nichts. Wir wissen aus Wissenschaft und Medizin, dass Cannabis-Konsum bis ins frühe Erwachsenenalter Auswirkungen auf die Entwicklung haben kann. Deshalb sage ich nach wie vor: Cannabis ist nicht zu verharmlosen und gehört ganz bestimmt nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen.

Auch die Krankenkassen warnen vor langfristigen Schäden und vor Nebenwirkungen wie Depressionen, Angstattacken, Wahnvorstellungen. Trotzdem wollen die Ampel-Koalition - und Sie in Ihrer Funktion als Bundesbeauftragter für Sucht- und Drogenfragen ganz besonders - den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Erwachsene erlauben. Warum?

Zur Klarstellung: Der Verkauf an Kinder und Jugendliche wird verboten bleiben. Aber wir müssen uns der Realität stellen. Seit Jahrzehnten wird Cannabis von vielen Menschen konsumiert. Das hat eine Größenordnung erreicht, die man nicht vernachlässigen kann. Der Besitz von Eigenverbrauchsmengen wird mittlerweile durch viele Staatsanwaltschaften nicht mehr verfolgt. Trotzdem lassen wir die Konsumenten mit ihren Fragen allein: Wie sicher ist zum Beispiel das Produkt, das ich auf dem Schwarzmarkt kaufe? Was alles ist möglicherweise beigemischt? Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir den Erwerb in lizenzierten Fachgeschäften für Erwachsene erlauben werden.

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Der Staat gibt also den Verkauf frei, vermittelt aber gleichzeitig die Botschaft: Lasst es lieber. Wie passt das zusammen?

Jeder Mensch hat eine Eigenverantwortung, die nicht zu vernachlässigen ist. Wir treten nicht als Verbotsstaat auf. Unterstützung und Hilfe sind besser als Strafe. Auf der anderen Seite hat der Staat aber auch die Verantwortung, in Prävention und Aufklärung tätig zu werden und deutlich zu machen: Leute, was ihr da macht, kann gesundheitsschädlich sein. Schaut hin, wie ihr eure Gesundheit am besten schützen könnt!

Burkhard Blienert: "Wir haben verabredet, dass ein erster Gesetzentwurf nach Möglichkeit Ende des Jahres stehen soll"

Wann wird man in Deutschland den ersten legalen Joint rauchen können?

Vereinbart ist das für diese Legislaturperiode. In dieser Woche beginnen wir den Konsultationsprozess mit Verbänden und Wissenschaft, um all die Fragen rund um die Regulierung von Cannabis zu besprechen. Das ist die Vorbereitung für das Gesetzgebungsverfahren. Das Parlament hat dann die Hoheit darüber, was genau im Gesetz steht.

Und wann ist das Parlament am Zug?

Ich denke, dass wir im Konsultationsprozess die wichtigsten Fragen auf den Tisch legen. Die Abschlussveranstaltung findet Ende Juni statt. Danach wird die Bundesregierung ein Eckpunktepapier entwerfen. Das ist die Vorstufe für einen Gesetzentwurf, der dann dem Parlament vorgelegt wird. Wir haben zwischen den beteiligten Ministerien verabredet, dass ein erster Gesetzentwurf nach Möglichkeit Ende dieses Jahres stehen soll. Danach muss das Kabinett darüber befinden, und dann liegt er in den Händen des Parlaments. Ich freue mich da auf lebhafte Debatten.

"Konsultationsprozess" klingt ziemlich technisch. Worum geht es da genau?

Verbände, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren schon viele Jahre über den richtigen Umgang mit Cannabis. Mit ihnen treten wir jetzt in eine konzentrierte Diskussion. Das ist auch ein Signal an die Öffentlichkeit: Wir gehen ganz ernsthaft mit dem Thema um, wir reden miteinander. Zum Beispiel über die Fragen: Was genau sind lizenzierte Fachgeschäfte? Wie unterstützen wir die Kommunen? Wie stellen wir den Jugendschutz sicher?

Und eine weitere offene Frage: Woher kommt der Cannabis überhaupt?

Ich freue mich da auch auf Antworten aus der Landwirtschaft. Der Kollege Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat gesagt: "Die deutschen Bauern freuen sich darauf, Cannabis anzubauen." Aber auch da müssen wir noch Antworten finden, zum Beispiel wie die Qualitätsstandards aussehen. Wir wissen auch noch gar nicht, wie viel konsumiert wird und welche Mengen nötig sind. Wir werden zudem noch einmal den völker- und europarechtlichen Rahmen zu bewerten haben, damit ein Gesetz auch sattelfest und sicher ist.

Das ist in der Tat ein Problem: Eine Legalisierung von Cannabis würde gegen UN-Abkommen und das Europarecht verstoßen. Kann das Projekt daran noch scheitern?

Der Gesundheitsschutz für die Konsumierenden muss im Mittelpunkt stehen. Und gegen Gesundheitsschutz kann niemand etwas haben. Wir haben in Europa insgesamt eine Debatte über den Umgang mit Cannabis. Deswegen setzen wir die internationale Frage auch auf die Tagesordnung des Konsultationsprozesses. Wir brauchen eine Lösung, wie das Ganze europarechtlich und völkerrechtlich organisiert werden kann.

Das ist noch keine Antwort auf die Frage. Es bestehen doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder Deutschland überzeugt den Rest der EU, die Regeln zu ändern - oder Deutschland verstößt bewusst gegen geltendes Europarecht. Beides klingt unwahrscheinlich.

Wir werden uns ganz stark daran orientieren, was das Europarecht jetzt schon zulässt. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass wir den Gesundheitsschutz in den Mittelpunkt stellen. Es geht darum, den Menschen, die Cannabis konsumieren, den Zugang zu einem sicheren Produkt zu ermöglichen.

Studie zu Cannabis-Konsum: Deutlich mehr psychatrische Behandlungen

Einer Studie zufolge ist die Zahl der Behandlungen von Patienten mit Cannabis-Konsum in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Die Wissenschaftler geben eine eindeutige Empfehlung in der Legalisierungs-Debatte ab. (Teaserbild: picture alliance/dpa/Fabian Sommer)

"Es macht mich sehr traurig, dass immer noch so viele Menschen am Drogenkonsum sterben"

Um den Blick über Cannabis hinaus zu weiten: Im vergangenen Jahr verzeichnete Ihre Statistik 1.826 Drogentote in Deutschland - der höchste Wert seit 20 Jahren. Welche Erklärung gibt es dafür?

Dafür gibt es nicht nur eine Erklärung. Es macht auch mich sehr traurig, dass immer noch so viele Menschen am Drogenkonsum und dessen Folgen sterben. Wir müssen mit den Ländern darüber sprechen, wie wir noch besser an die Betroffenen herankommen. Auf der anderen Seite haben wir neue Substanzen wie künstliche Opioide, die viel stärker wirken und bei denen die Auswirkungen noch gravierender sind als bei den bekannten Drogen. Außerdem müssen wir das Suchthilfesystem insgesamt stärken, damit Unterstützung und Hilfen niederschwellig bei den Menschen ankommen.

Die vergangenen Jahre waren von der Corona-Pandemie geprägt. Zu dieser Zeit lag auch das Nachtleben teilweise still, jetzt läuft es wieder an. Wird das wieder neue oder alte Probleme mit sich bringen? Etwa was Ecstasy und andere Partydrogen betrifft?

Welche Auswirkungen die Coronakrise auf den Drogenbereich hat, ist noch nicht klar. Wir müssen dringend mit denjenigen zusammenarbeiten, die vor Ort sind, zum Beispiel mit den Clubbetreibern. Die Bundesländer haben bereits das Drug-Checking auf ihrer Agenda. Wir wollen da die notwendigen Rechtsgrundlagen schaffen. Das ist ein Instrument, um den Menschen zu signalisieren, dass man sie nicht allein lässt. Wenn es jetzt wieder ans Feiern geht, heißt es doch, die Verantwortung für die eigene Gesundheit weiter im Blick zu behalten.

Burkhard Blienert: "Alkoholwerbung muss weniger sichtbar sein"

Die größte Volksdroge in Deutschland bleibt der Alkohol. Dessen Konsum scheint aber gesellschaftlich weitgehend akzeptiert zu sein.

Wir müssen die Debatte um Alkohol in der Gesellschaft weiterführen und noch einmal nachschärfen. Ich habe das Anfang des Jahres vor allem mit Blick auf die Jugendlichen bereits gemacht. Alkohol ist das stärkste Zellgift. Die Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft sind weiterhin groß. Den Krankenkassen entstehen pro Jahr circa 40 Milliarden Euro Kosten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum. Langfristige Folgen betreffen auch die Familien und Mitmenschen von Abhängigen. Alkohol ist ein dickes Problem in Deutschland. Wir haben deshalb verabredet, Marketing und Sponsoring einzuschränken.

Wie könnte das genau aussehen? Keine Bierwerbung mehr im Fußballstadion?

Die ständige optische Präsenz von Alkohol in der Öffentlichkeit ist in vielen anderen Ländern jedenfalls schon verboten. Bei uns ist sie noch erlaubt. Vor allem für Kinder und Jugendliche muss Alkoholwerbung weniger sichtbar sein. Wir müssen auch verstärkt über das Thema Alkohol in der Schwangerschaft reden.

Sie betonen die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. In der Pflicht ist doch aber in erster Linie die Politik: Sie macht die Regeln und Gesetze.

Deswegen war es mir direkt am Anfang meiner Amtszeit im Januar ein Anliegen, auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Wir müssen uns um besseren Gesundheitsschutz gerade im Zusammenhang mit Alkohol kümmern. Ich werde Druck auf die Kolleginnen und Kollegen in der Regierung und im Bundestag machen, dass dort etwas passiert.

Fällt Ihnen das einfacher, weil Sie selbst kein Abgeordneter sind? Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger waren im Gegensatz zu Ihnen gleichzeitig Mitglieder des Bundestags.

Mein Vorteil ist: Ich kann mich mit meiner gesamten Zeit für diese Fragen einsetzen. Das wird zum Beispiel in der Suchthilfe wahrgenommen. Dort merkt man, dass jetzt ein Ansprechpartner da ist, der sich kümmert und Zeit hat. Das führt zu einer gewissen Hoffnung, in den nächsten Jahren in der Drogenpolitik wirklich weiterzukommen, aus einem guten System ein viel, viel Besseres zu machen und auch neue, innovative Wege zu gehen. Ich bin froh, wenn ich dazu einen ganz intensiven Beitrag leisten kann.

Zur Person: Burkhard Blienert ist im ostwestfälischen Delbrück aufgewachsen, wo er heute noch wohnt. In Münster studierte er Politikwissenschaft, Neuere Geschichte und Soziologie. 2013 bis 2017 saß er für die SPD im Bundestag. Im Januar 2022 wurde er auf Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zum Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen ernannt.
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