Der Amtsverzicht von Bundespräsident Joachim Gauck bringt Angela Merkel in eine schwierige Situation: Weil die CDU/CSU in der Bundesversammlung nicht die absolute Mehrheit hat, könnte sie am Ende überstimmt werden. Nur mit einer Koalitions-Strategie kann Merkel auf Nummer sicher gehen.

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Eine erste Absage hatte sich Sigmar Gabriel bereits Ende April eingeholt. Wie der Spiegel berichtete, schlug der SPD-Chef damals der Bundeskanzlerin vor, einen gemeinsamen Kandidaten für den Fall eines Amtsverzichts von Joachim Gauck zu ernennen: Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus der SPD.

Ein geschickter Schachzug von Gabriel war das, genießt Steinmeier doch auch in den Unions-Parteien hohes Ansehen. Und die Wahl eines SPD-Bundespräsidenten wäre ein wichtiges Signal, auch innerparteilich. Die Kanzlerin jedoch lies Gabriel schon damals kühl abblitzen. Das gehe auf keinen Fall, sagte sie laut Spiegel. Sie könne in ihrer Partei knapp anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl keinen sozialdemokratischen Kandidaten durchsetzen.

Jeder kämpft für sich alleine

Damit hat Angela Merkel bereits vor gut anderthalb Monaten die Linie vorgegeben, die auch jetzt gelten dürfte: Jeder kämpft für sich alleine. Wer am längeren Hebel sitzt, scheint dabei nur auf den ersten Blick eindeutig. In der 16. Bundesversammlung, die am 12. Februar 2017 den neuen Präsidenten wählen soll, hat die CDU/CSU derzeit eine komfortable Mehrheit: Sie dürfte mit 546 von insgesamt 1.260 Wahlleuten in das Gremium ziehen, das ausschließlich zur Wahl des Staatsoberhauptes zusammenkommt und sich aus den Bundestagsabgeordneten und den Vertretern der Länder zusammensetzt.

Auch Gauck wurde gegen Merkel gewählt

Alleine: Über eine absolute Mehrheit verfügt Merkel nicht. Theoretisch könnten SPD (389 Stimmen), Grüne (147 Stimmen) und Linke (94 Stimmen) die Kanzlerin mit einem eigenen Kandidaten überstimmen. Auch die FDP (31 Stimmen), die AfD (30 Stimmen) und die Piraten (14 Stimmen) stellen Wahlleute für die Bundesversammlung. Und: Die Vergangenheit zeigt, dass Koalitionen gegen die Mehrheitspartei durchaus möglich sind. Schon Bundespräsident Gauck wurde 2012 erst durch einen Deal zwischen Merkels damaligem Koalitionspartner FDP mit der SPD und den Grünen gewählt.

Nachdem sich der damalige FDP-Partei-Chef Phlipp Rösler ohne Rücksicht auf Merkel öffentlich festgelegt hatte, blieb der verärgerten Kanzlerin nur noch die Zustimmung. Und das, obwohl sie Gauck zuvor schon einmal erfolgreich verhindert hatte, nämlich bei der Wahl Christian Wulffs im Jahr 2010.

Sicher ist: Eine Mehrheit gegen Merkel ist ohne die SPD nicht möglich. Alles hängt davon ab, zu welchen Koalitionen die Sozialdemokraten bereit sind. Gleichzeitig könnte die Kanzlerin die SPD mit einem Kandidaten locken, der über Parteigrenzen hinweg ein ähnlich hohes Ansehen genießt wie Frank Walter Steinmeier. Als aussichtsreichster Kandidat der Unionsparteien gilt zur Zeit Norbert Lammert. Der jetzige Bundestagspräsident und damit protokollarisch zweiter Mann im Staat genießt parteiübergreifend viel Respekt.

Mit einer Nominierung des sprachgewandten Intellektuellen würde Merkel einen Kandidaten präsentieren, den die Sozialdemokraten nicht pauschal ablehnen könnten. Gleichzeitig ist im Falle Lammert auch bei der notorisch quertreibenden CSU mit Zustimmung zu rechnen. Merkel liebt es, Risiken zu minimieren, der Konsens-Kandidat Lammert wäre mit Sicherheit ein gangbarer Weg dafür.

SPD könnte Kanzlerin blamieren

Anders sieht das aus bei der ebenfalls als Kandidatin gehandelten Gerda Hasselfeldt. Die CSU-Landesgruppenchefin hätte zwar mit Sicherheit die Zustimmung der Wahlleute ihrer Partei. Und: Die Wahl eines CSU-Staatsoberhauptes könnte als ein Friedensangebot der Kanzlerin in Richtung Horst Seehofer verstanden werden. Allerdings ist mit einer Zustimmung der SPD für die CSU-Frau auf keinen Fall zu rechnen. Merkel müsste auf eine einfache Mehrheit für ihre Kandidatin in einem dritten Wahlgang setzen. Das große Risiko bei einem solchen Vorgehen wäre, dass es der SPD gelingen könnte, mit einem eigenen Kandidaten eine absolute Mehrheit zu erzielen - und so die Kanzlerin zu blamieren. Auch bei Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen, die ebenfalls als Kandidaten gehandelt werden, wäre der Wahlverlauf nur schwer vorherzusagen.

Ob es spannend wird in der Bundesversammlung, hängt vor allem von der SPD ab. Das Problem von Sigmar Gabriel ist dabei, dass Merkel seinen erfolgversprechendsten Kandidaten bereits demontiert hat. Denn es gilt als sicher, dass Frank-Walter Steinmeier ohne den Segen der Unions-Parteien nicht antreten wird. Dass der Mit-Architekt der "Agenda 2010" mit den Stimmen der Links-Partei gegen die Stimmen der Union zum Präsidenten gewählt wird, ist unwahrscheinlich. Und für eine reine Zählkandidatur ist sich der erfolgreiche Außenminister wohl zu schade, auch wenn er viel Unterstützung aus der Bevölkerung und aus seiner eigenen Partei erfährt.

Rot-grün-roter Kandidat wäre ein gefährliches Signal

Für die SPD bliebe die Möglichkeit, einen Kandidaten zu suchen, der in einer Art rot-grün-roter Koalition gewählt werden könnte. Genau dafür haben sich mehrere Vertreter des linken Flügels am Wochenende ausgesprochen. Auch die Linken-Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping favorisieren nach Medienberichten einen rot-grün-roten Bewerber. Mit der Wahl eines solchen Kandidaten wäre die Merkel-CDU bloßgestellt. Aber: Eine Koalition in der Bundesversammlung wäre für die SPD auch ein gefährliches Signal. Immer wieder hatte die Partei eine Koalition mit der Linkspartei auf Bundesebene ausgeschlossen. Sehr glaubhaft wären solche Äußerungen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf nicht - die Angst vor einem Linksruck könnte die ohnehin geschwächten Sozialdemokraten weitere Stimmen kosten. Andererseits könnte eine Zustimmung für einen Kandidaten mit CDU-Parteibuch (wie zum Beispiel Lammert) wie eine endgültige Kapitulation der Sozialdemokraten vor der unbesiegbaren Kanzlerin erscheinen. Auch für die SPD ist die Situation nach dem Amtsverzicht Gaucks also alles andere als einfach.

Eine Lösung, bei der alle Beteiligten ihr Gesicht wahren könnten, wäre ein dritter Kandidat - am besten einer ohne Parteibuch, auf den sich CDU und SPD einigen könnten.

Ein Kandidat mit hohem Ansehen wäre das im Idealfall, der sich in der Öffentlichkeit redegewandt äußerte, aber niemandem weh täte und die Parteien in Ruhe ihre Regierungsarbeit machen ließe. So jemanden zu finden und gemeinsam zu präsentieren, könnte sich als die beste Strategie für beide erweisen: für Angela Merkel und für Sigmar Gabriel.

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