• In den vier großen Talkshows von ARD und ZDF treten immer wieder die gleichen Gäste auf, zum großen Teil kommen sie aus der Bundespolitik.
  • Minderheiten, Bürger, gesellschaftlich organisierte Gruppen wie Gewerkschaften, NGOs oder auch Kommunal- und Europapolitiker kommen deutlich seltener zu Wort.
  • Paulina Fröhlich vom Berliner Think Tank "Das Progressive Zentrum" nennt Gründe dafür.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Peter Altmaier. Karl Lauterbach. Olaf Scholz. Markus Söder. Die vier am häufigsten eingeladenen Talkgäste des Jahres 2020 haben viele Gemeinsamkeiten. Sie sind alle männlich, sie sind über 50 Jahre alt und gehören einer der beiden großen Volksparteien an, also entweder der SPD oder CDU/CSU.

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Auf Platz fünf folgt mit Annalena Baerbock die erste Frau, eine Politikerin ist aber auch sie. Genauso wie Armin Laschet und Malu Dreyer. Erst auf Platz acht taucht in der Auswertung des Medienportals "meedia.de" mit dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit ein Nicht-Politiker auf.

Expertin vermutet: Inszenierter Streit meist wichtiger als Suche nach Lösungen

Der Vorwurf, dass in die vier großen Talkshows von ARD und ZDF, also "Anne Will", "maischberger. die woche", "Hart aber fair" und "Maybrit Illner", immer wieder dieselben Gäste eingeladen werden, ist nicht neu. Regelmäßig wird darüber diskutiert, ob im Sinne eines breiteren Diskurses die Auswahl der Gäste nicht vielfältiger sein müsste. Doch in den "Big Four", wie die öffentlich-rechtlichen Talkshows auch genannt werden, dominieren prominente Politikerinnen und Politiker. Aber warum ist das so?

"Ich denke, es kommt darauf an, nach welcher Logik eine Talkshow-Besetzung gewählt wird. Es scheint mir, als würde der inszenierte Streit meist wichtiger sein, als zum Beispiel das Aufzeigen von verschiedenen Perspektiven oder auch die Suche nach Lösungen", erklärt Paulina Fröhlich vom Think Tank "Das Progressive Zentrum" aus Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion: "Möchte man auf einen spannenden Streit hinaus, so spielt die Prominenz der Gäste eine Rolle, sowie ihre möglichst zugespitzten Positionen. Darüber hinaus möchten die Redaktionen aber auch sichergehen, dass die Gäste souverän sprechen und formulieren können."

Talkshows: Studie kritisiert mangelnde Vielfalt bei den Gästen

Fröhlich hat gemeinsam mit Johannes Hillje im Herbst 2020 in der Studie "Die Talkshow-Gesellschaft" die Zusammensetzung von Talkshow-Runden analysiert. Das Ergebnis: Fast zwei Drittel der Talkgäste kamen aus der Politik und aus den Medien, während andere gesellschaftlich organisierte Gruppen wie Gewerkschaften, NGOs oder auch die EU- oder Kommunalpolitik unterrepräsentiert sind. "Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen sind meist unbekannt und die Arbeit von NGOs konzentriert sich häufig eher auf die Suche nach Lösungen als auf die Diskussion der Schuldfrage. Somit werden sie nach einer Aufmerksamkeitslogik uninteressanter", erklärt Fröhlich.

Natürlich geht es für jedes TV-Format darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Talkshow, in der ein polarisierender und meinungsstarker Politiker wie beispielsweise Wolfgang Kubicki auftritt, wird mit ziemlicher Sicherheit eine bessere Quote erzielen als eine Talkrunde mit eher unbekannten Gästen. Zumal die Aussagen Kubickis in der Vergangenheit immer wieder in der Nachbetrachtung der Talkshow für Schlagzeilen in anderen Medien gesorgt haben, was für Bekanntheit und Relevanz des Formats ein zusätzlicher positiver Effekt ist.

Talkshow-Macher: Es ist nicht immer möglich, alle Positionen abzubilden

Die Gäste "sollten unterschiedliche Positionen und Perspektiven auf das Thema haben, kommen aus Politik, Wissenschaft und Journalismus oder sind engagierte, betroffene Bürger. Entscheidend ist, dass sie grundsätzlich ein Interesse an der Diskussion und im besten Fall an der Lösung des Problems haben", teilte die Redaktion von "Maybrit Illner" in Bezug auf die Gästeauswahl mit. Es sei dabei nicht immer möglich, alle Positionen zu einem Thema abzubilden.

Während Gäste aus der Wissenschaft aufgrund der Corona-Pandemie und mit Blick auf den Klimawandel in den letzten beiden Jahren deutlich häufiger eingeladen wurden, sind andere Gruppen nach wie vor selten zu sehen. Auch Minderheiten kommen in Talkshows selten zu Wort.

Nachvollziehbar ist dies aus Sicht der Redaktionen in gewisser Weise, da jeder neue Gast ein Risiko für den Ablauf der Sendung darstellt. Auf Gäste zu setzen, die sich schon bei zahlreichen TV-Auftritten bewährt haben, macht den Ablauf kalkulierbarer. Was sicherlich auch ein Grund ist, warum immer wieder die gleichen Gesichter zu sehen sind.

NGOs oder Verbraucherschutzorganisationen genießen höheres Vertrauen als Parteien

"Politische Repräsentanten und Repräsentantinnen gehören meines Erachtens unbedingt in Talksendungen, da sie sich hier gegenüber ihren Diskussionspartnern sowie dem Publikum erklären können und müssen", sagt Paulina Fröhlich: "Gleichzeitig würde die Öffentlichkeit davon profitieren, wenn nicht immer dieselben Köpfe aufträten. NGOs oder Verbraucherschutzorganisationen zum Beispiel genießen gesellschaftlich ein höheres Vertrauen als beispielsweise Parteien. Diese Köpfe öfter mit in den Diskurs einzubeziehen, würde in so mancher Debatte sicherlich positive Effekte auslösen."

Was die Politik angeht, seien in vielen Fragen auch andere Ebenen relevant, erklärt die Expertin: "Wieso nicht auch jene anhören, die häufig legislativ entscheiden oder praktisch umsetzen und nah an den Bürgerinnen und Bürgern sind? Der Quotendruck sollte Öffentlich-Rechtliche ohnehin weniger tangieren, da sie ja nicht nur nach einer Marktlogik funktionieren. In den selbstgegebenen Ansprüchen der Sender sind Qualitätskriterien vorgesehen, die auch Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit und Bürgernähe umfassen."

Die "ProSieben-Bundestagswahl-Show" als positives Beispiel

Gerade mit Blick auf das Quotenargument ist es interessant, dass Fröhlich die Talkrunde eines privaten Fernsehsenders als positives Beispiel nennt: die im September ausgestrahlte "ProSieben-Bundestagswahl-Show", die von Louis Klamroth moderiert wurde.

"Hier sprachen Betroffene, Engagierte und Expertinnen und Experten aus der Praxis über die Themen Obdachlosigkeit, Flucht und Klimawandel. Sie waren auf der Bühne. Jeweils zwei Spitzenpolitiker der sechs größeren Parteien saßen vor ihnen – eher in der Rolle des Publikums – und reagierten jeweils auf Fragen der Betroffenen. Das war eine neue und andere Art, einen öffentlichen Diskurs zu führen", sagt Fröhlich.

Möglichkeiten, Talkshows anders zu gestalten und die Gäste diverser auszuwählen, gibt es also durchaus. So lange die "Big Four" in der ARD und im ZDF mit ihrem Konzept aber weiterhin so erfolgreich sind und Woche für Woche ein Millionenpublikum erreichen, wird sich vermutlich wenig ändern.

Über die Expertin: Paulina Fröhlich ist Leiterin des Programmbereichs "Zukunft der Demokratie" bei "Das Progressive Zentrum", einem linksliberalen Berliner Think Tank.

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Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Paulina Fröhlich
  • Statement der "Maybrit Illner"-Redaktion
  • progressives-zentrum.org: Wer spricht für wen? – Die Talkshow-Gesellschaft
  • meedia.de: Peter Altmaier und Karl Lauterbach sind die Talkshow-Könige 2020

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