Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Bereitschaft zu Gesprächen mit Syriens Staatschef Baschar al-Assad erklärt. Was steckt hinter ihrer Aussage? Was würden Gespräche mit Assad bedeuten? Und wie könnte überhaupt eine Lösung für den Krieg in Syrien aussehen?

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"Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, dazu gehört auch Assad", erklärte Angela Merkel beim EU-Sondergipfel zur Flüchtlingssituation in Brüssel. Ihre Aussage ist überraschend, denn lange Zeit schloss der Westen Verhandlungen mit Syriens Diktator aus. Aber auch US-Außenminister John Kerry hat zuletzt die harte Position zu Assad etwas gelockert: Syriens Staatschef müsse nicht sofort gehen, sondern erst am Ende eines Friedensprozesses, meinte Kerry.

Will der Westen tatsächlich mit Assad verhandeln? Petra Becker, Nahost-Expertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält das für unwahrscheinlich. "Der Westen fühlt sich von Russland unter Druck gesetzt", sagt Becker im Interview.

"Assad ist überhaupt nicht an einer Verhandlungslösung interessiert"

Russlands Präsident Wladimir Putin ist einer der wichtigsten Unterstützer von Baschar al-Assad und hat die internationale Gemeinschaft immer wieder zu Gesprächen mit dem syrischen Staatschef aufgefordert. In den vergangenen Tagen und Wochen hat Russland zudem seine militärische Präsenz in Syrien verstärkt.

"Ich glaube, dass sich der Westen vorgeblich auf die Position der Russen einlässt", meint Becker. "Aber allen dürfte klar sein, dass Assad selbst überhaupt nicht an einer Verhandlungslösung interessiert ist."

Zudem sei eine einseitige Annäherung an den syrischen Diktator kontraproduktiv. "Die Hilfslosigkeit der Opposition gegen das syrische Regime hat zu ihrer Radikalisierung in weiten Teilen geführt", erklärt Becker.

Die Demokratiebewegung in Syrien fühle sich ohnehin im Stich gelassen. "Der Westen würde zum Feindbild, wenn er sich dafür entscheidet, Assad wieder ins Boot zu holen", warnt Becker. Sein Verbleib an der Macht würde den terroristischen Gruppen weiteren Zulauf bescheren.

Diplomatie ist gefordert

Der UN-Sicherheitsrat hat im August erneut eine diplomatische Initiative für Syrien angestoßen – auch mit Zustimmung Russlands. Mit Ausnahme des Islamischen Staates (IS) sollen Vertreter aller Gruppen in Syrien daran teilnehmen, auch Regimeanhänger und Vertreter von Rebellengruppen.

Becker erwartet einen langen Prozess, eine schnelle Lösung könne es kaum geben. "Man muss versuchen, alle Kräfte, die noch an einer friedlichen Lösung interessiert sind, auf eine gemeinsame Linie zu bringen", sagt die Expertin. Am Ende des Prozesses müsse eine legitime Regierung gewählt werden, die von einer möglichst breiten Bevölkerung getragen wird.

Dafür braucht es vor allem Vertrauen, sonst wird keine Seite die Waffen niederlegen. Erst dann könnten die Rebellen und die Armee, die jetzt noch gegeneinander kämpfen gemeinsam gegen die IS-Terroristen vorgehen. "Es ist eine sehr schwierige Aufgabe, aber es ist der einzige Weg", meint Becker.

Eine Lösung des Konflikts ist auch deswegen so schwierig, weil verschiedene Staaten Interessen in Syrien verfolgen. So unterstützt neben Russland auch der Iran das Regime. Der Krieg wird dabei religiös aufgeladen und als Kampf zwischen Sunniten und Schiiten inszeniert. "Der Iran rekrutiert Milizen unter Schiiten im Libanon mit der Begründung, dass schiitische Heiligtümer in Syrien bedroht seien", sagt die Nahost-Expertin.

Die religiösen Kampfansagen ruft wiederum Saudi-Arabien, Irans Konkurrent um die Vorherrschaft in der Region, auf den Plan und macht eine Befriedung noch komplizierter.

Die Türkei spielt eine umstrittene Rolle in dem Konflikt. Sie unterstützt die Opposition, doch auf das Erstarken der Kurden in Nordsyrien reagierte Erdogan sehr empfindlich und ließ kurdische Stellungen bombardieren. "Aber die kurdischen Kräfte haben bisher am effektivsten gegen den IS gekämpft", erklärt Becker.

Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit 2011, doch erst seitdem syrische Flüchtlinge dieses Jahr verstärkt nach Europa drängen, scheint das Thema wieder in der internationalen Politik wieder mehr Priorität zu erhalten.

Syriens Nachbarstaaten sind mit Flüchtlingen überlastet

Allerdings: Hunderttausende Flüchtlinge verteilen sich in ganz Europa, während Syriens Nachbarstaaten Libanon oder Jordanien bereits Millionen Flüchtlinge leben. Es droht die Gefahr der Ausweitung des Konflikts.

Vor allem der Libanon ist überlastet. Es kam schon zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der auf Seiten des Assad-Regimes kämpfenden Hisbollah-Miliz und Flüchtlingen, berichtet Becker. Hinzu komme, dass der Libanon in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit palästinensischen Flüchtlingen gemacht hat: "Der Libanon will auf gar keinen Fall eine weitere Flüchtlingswelle aufnehmen."

Die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern sind auch deshalb sehr schlecht. In den kalten Wintern sind bereits Menschen in den Zelten erfroren. "Man kann sich vorstellen, welche Wut sich dort aufstaut", warnt Becker.

Petra Becker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Seit Januar 2015 ist sie dort an dem Projekt "Die Fragmentierung Syriens" beteiligt. Becker studierte Islamwissenschaften in Münster hat von 2003 bis 2012 für die Deutsche Botschaft in Damaskus gearbeitet.

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