Durch eine geplante Justizreform in der Slowakei sieht Brüssel die Rechtsstaatlichkeit in dem Land bedroht – und droht mit der Kürzung von Geldern. Gleichzeitig treiben neue Gesetze der Kulturministerin die Menschen auf die Straße. Beschreitet die Slowakei einen ähnlichen Weg wie Ungarn? Zwei Experten ordnen ein.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Stimmung in der Slowakei ist aufgeladen: Im ganzen Land, allen voran in der Hauptstadt Bratislava, gehen die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße und protestieren gegen die populistische Regierung unter Robert Fico.

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Fico hatte im vergangenen Jahr mit seiner linkspopulistischen Partei Smer-SSD die Wahlen gewonnen und eine Regierung zusammen mit der rechtsextremen Slowakischen Volkspartei SNS und der linksgerichteten Partei Hlas-SD gebildet. Fico ist bereits zum vierten Mal Ministerpräsident der Slowakei.

Proteste seit Dezember

Anlässe für Protest gibt es nun gleich mehrere. Bereits im Dezember trieb die geplante Justizreform die Menschen auf die Straße. Mit ihr könnte Fico die Korruptionsbekämpfung in der Slowakei behindern, das Strafmaß für verschiedene Straftaten senken und den Schutz von Whistleblowern einschränken. Kernelement der Reform ist die Abschaffung einer speziellen Staatsanwaltschaft, die in Angelegenheiten von Korruption und organisierten Verbrechen ermittelt.

Der Leiter der Behörde, Daniel Lipšic, gilt als politischer Gegner von Fico. In den vergangenen Jahren hatte die Sonderstaatsanwaltschaft auch Licht auf viele Fälle aus der Ära Fico geworfen. "Es geht um etwa 140 Leute, die vor 2020 etwas Schlimmes getan haben. Fico will ihnen mit der Abschaffung des Organs helfen", ist für Slowakei-Experte Radoslav Štefančík im Gespräch mit unserer Redaktion klar. Die personellen Veränderungen und der Schutz der eigenen Leute seien das Hauptmotiv für die Reform.

Einfluss des Staates auf die Kultur

Aktuell wird noch im Zusammenhang mit einem Korruptionsverdacht gegen den früheren Polizeipräsidenten Tibor Gašpar untersucht – er zog auf Ficos Parteiliste ins Parlament ein. Ermittlungen laufen auch gegen einen stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden wegen Veruntreuung. Auch in Brüssel wurde die geplante Reform als Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit kritisiert. Die EU-Kommission drohte der Slowakei mit der Blockade von Geldern.

Für wütenden Protest sorgt nun aber auch Kulturministerin Martina Šimkovičová, die auf verschiedenen Wegen den Einfluss des Staates auf den Kulturbereich maximieren will. So will Šimkovičová, die für die rechtsextreme SNS im Parlament sitzt, die Chefposten für Museen, Galerien und Orchester nicht mehr ausschreiben, sondern selbst oder durch kommunale Zuständige ernennen und abberufen. Zudem hat sie kulturelle Beziehungen mit Russland und Belarus wieder aufgenommen, obwohl Sanktionen in Kraft sind.

Außerdem kündigte sie an, das Kulturministerium werde an der Finanzierung von Pride-Paraden und der Ausbildung von Jugendlichen und Aktivisten zu LGBTIQ-Themen in Schulen sparen.

Torpediert die Slowakei Ukraine-Hilfen?

Letztlich lassen auch die Äußerungen zur Ukraine Beobachter international aufhorchen. Bereits kurz nach Amtsantritt hatte Fico einen Stopp der Militärhilfe seines Landes für die Ukraine verkündet.

"Wir haben mit dem Krieg nichts zu tun", hieß es laut "Tagesschau". Der slowakische Premier sprach sich auch gegen Sanktionen gegen Russland aus und rief zu besseren Beziehungen zu Putin auf. "Ich werde nicht für Sanktionen gegen Russland stimmen, solange wir keine Untersuchungen über ihre Auswirkungen auf die Slowakei haben", sagte er.

Beobachter fürchten, die Slowakei – geographisch zwischen Polen und Ungarn gelegen – könne sich nun auch politisch immer weiter diesen Ländern annähern. Noch sieht Slowakei-Experte Radoslav Štefančík das Land aber deutlich von Ungarn entfernt.

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Was die Slowakei von Ungarn unterscheidet

"In Ungarn regiert Viktor Orban allein, Fidesz ist die einzige Partei in der Regierung. In der Slowakei hat Robert Fico hingegen noch zwei Koalitionspartner, die beide ihre eigenen Interessen haben", erinnert er. Davon definiere sich beispielsweise Peter Pellegrini von der Hlas als moderner sozialdemokratischer Politiker.

Außerdem habe Orban eine klare Mehrheit im Parlament, während die Fico-Regierung nur eine knappe Mehrheit im Parlament besitze und insgesamt nicht besonders stabil sei. "Letztlich ist die Zivilgesellschaft in der Slowakei sehr aktiv und lebendig. Jede Woche gibt es Demonstrationen. Die Menschen sind mit der Justizreform nicht einverstanden", erinnert Štefančík.

Experte: Fico hat zwei Gesichter

Doch er ist sich sicher: Fico hat zwei Gesichter. "Eins davon zeigt er seinen Wählern und eins der EU", sagt der Experte. Ein Teil der Gesellschaft in der Slowakei stehe Russland nahe, glaube Desinformationen und sei zum Beispiel gegen Covid-Impfungen gewesen. "Diese Leute bilden einen wichtigen Teil der Smer-SD-Wählerschaft. Fico muss seine Politik und seine Entscheidungen so präsentieren, dass er sie mobilisiert."

Das zweite Gesicht zeige Fico in der Europäischen Union, so auch beim Treffen mit Olaf Scholz. "Da hat er beispielsweise signalisiert, dass er eigentlich bereit ist, die Unterstützung der Europäischen Union an die Ukraine mitzutragen", erinnert Štefančík.

Zwar sage Fico auf der einen Seite, er wolle keine Waffen mehr an die Ukraine liefern, aber auf der anderen Seite habe er nichts dagegen, wenn die slowakischen Privatfirmen ihre Waffen und Waffenprodukte an die Ukraine verkaufen. Vieles ist populistische Rhetorik.

Anti-russisch oder pro-russisch?

Auch Dirk Dalberg rät dazu, zwischen der innen- und außenpolitischen Entwicklung in der Slowakei zu unterscheiden. "Außenpolitisch präsentieren sich Polen und Ungarn anti-Brüssel – das ist die Slowakei nicht wirklich", sagt er. Auch in ihrer deutlichen anti-russischen oder pro-russischen Haltung seien die Nachbarländer nicht mit der Slowakei vergleichbar, sagt er unserer Redaktion.

"Fico und seine Koalitionspartner sind nicht wirklich anti-ukrainisch. Nur die SNS ist klar pro-russisch. Die Slowakei möchte lediglich keine Waffen mehr kostenlos aus den Beständen der eigenen Armee liefern; wenn die Ukraine sie einkauft, ist es aber okay", zeigt Dalberg auf. Gleich zu Beginn der Invasion habe die Slowakei viel Militärmaterial an die Ukraine geliefert und liefere auch weiterhin humanitäre Güter wie Zelte und Winterkleidung.

Konservativer Umschwung im Land

Dalberg sagt: "Fico war lange sehr EU-freundlich, hat dann aber eine Kehrtwende gemacht, um das national-konservative Wählerpotenzial abzuschöpfen." Mit dem Koalitionspartner SNS sei er bemüht, alte pan-slawische Traditionen anzusprechen, und argumentiere beispielsweise, er verstehe nicht, warum die Ukraine und Russland überhaupt gegeneinander Krieg führen, weil es beides slawische Völker sind.

"Innenpolitisch entwickelt sich die Slowakei aber tatsächlich tendenziell Richtung Polen unter Kaczynski, wenn man zum Beispiel das Abtreibungsrecht und die Einstellung gegenüber Homosexuellen betrachtet. Man kann einen konservativen, ideologischen Umschwung beobachten", sagt Dalberg. In Bezug auf sein Verhalten gegenüber den Medien erinnere Fico wiederum an Orban – so wollte er zuletzt Fragen von bestimmten Zeitungen nicht beantworten. "Davon, dass Orban tatsächlich ein Vorbild für Fico ist, würde ich aber nicht unbedingt sprechen", meint Dalberg.

Über die Gesprächspartner

  • Radoslav Štefančík ist ein slowakischer Politikwissenschaftler und Germanist. Er lehrt an der Wirtschaftsuniverstität Bratislava.
  • Dr. Dirk Dalberg arbeitet am Institut für Politikwissenschaften der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Bratislava. 2023 hat er zusammen mit Astrid Lorenz das Buch "Das politische System der Slowakei" herausgegeben.

Verwendete Quellen

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