Es gibt eine Einigung der Koalition im Asylstreit - dabei geht es vor allem um die Abweisung von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben und für die Deutschland deswegen nicht zuständig ist. Was aber passiert mit den Geflüchteten, die in Deutschland einen Asylantrag stellen? Bisher werden sie dezentral untergebracht. Das soll sich ändern.
Die Koalition hat entschieden, dass Flüchtlinge, die an der deutsch-österreichischen Grenze ankommen und bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, prinzipiell zurückgewiesen werden können.
Sie sollen in bestehende Einrichtungen der Bundespolizei in unmittelbarer Grenznähe kommen und nach 48 Stunden in das zuständige Land zurückgeschickt werden.
Zentrale Unterbringung von Geflüchteten in AnkER-Zentren geplant
Doch was passiert mit Geflüchteten, die in Deutschland einen Asylantrag stellen können? Bisher werden sie nach der Registrierung auf Kommunen verteilt.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD aber bereits auf ein anderes Konstrukt geeinigt - sogenannte AnkER-Zentren.
Was die Idee hinter AnkER-Zentren ist, was im Koalitionsvertrag dazu steht, was der aktuelle Stand ist und welche Kritik es gibt, erklären wir hier.
Das ist die Idee von AnkER-Zentren
Anker steht laut Koalitionsvertrag für Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung.
Ihre Einführung ist in der Vereinbarung von Union und SPD auf Seite 107 unter dem Punkt "Zuwanderung steuern - Integration fordern und unterstützen" sowie dem Unterpunkt "Effizientere Verfahren" geregelt.
Dort steht: "Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, brauchen Asylverfahren, die schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden. Deren Bearbeitung erfolgt künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (...)"
Sozialwissenschaftler Thorsten Schlee erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion die Sinnhaftigkeit wie folgt: "Bei der Aufnahme von Geflüchteten sind verschiedene Behörden involviert, darunter etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kommunale Sozial- und Gesundheitsämter, Jugendämter und die Bundesagentur für Arbeit. Die AnkER-Zentren sollen für ein reibungsloses Zusammenspiel verschiedener Behörden sorgen, und die Integrations- und Abschiebegeschwindigkeit erhöhen."
AnkER-Zentren sollen Asylverfahren also zentralisieren und beschleunigen.
Das ist zu AnkER-Zentren im Koalitionsvertrag geregelt
Solange das Verfahren läuft, bleiben die Asylbewerber dort. Wegen der Vereinbarkeit mit europäischem Recht und dem Ziel der erfolgreichen Integration - wie es im Koalitionsvertrag heißt- soll der Aufenthalt aber auf 18 Monate begrenzt, bei Familien mit minderjährigen Kindern in der Regel auf sechs Monate, heißt es im Koalitionsvertrag.
Laut Innenminister
In den AnkER-Zentren soll zudem eine geschlechter- und bei Familien eine jugendgerechte Unterbringung gewährleistet werden.
Folgt ein positiver Bescheid werden die anerkannten Geflüchteten auf die Kommunen verteilt. Wird der Asylantrag hingegen abgelehnt, sollen sie direkt aus den Zentren abgeschoben werden.
Das ist der Stand bei den AnkER-Zentren
Seehofer hat bislang noch kein detailliertes Konzept vorgelegt. Bekannt ist bisher aber, dass er landesweit 40 AnkER-Zentren schaffen will.
In den meisten Bundesländern gibt es dagegen aber Vorbehalte, Interesse haben bisher vor allem CDU-regierte Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen bekundet, lediglich Sachsen und Bayern wollen tatsächlich solche Zentren errichten. In Bayern sollen es sieben sein.
Erste Pilot-Zentren sollen wohl bis zum September entstehen, einem aktuellen Bericht des Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge zwölf in fünf Bundesländern.
Demnach hat das Bamf im Intranet ein Dokument veröffentlicht, das die Standorte Gießen (Hessen), Heidelberg (Baden-Württemberg), Manching, Bamberg, Augsburg, Donauwörth, Zirndorf, Regensburg, Deggendorf, Schweinfurt (alle Bayern), Dresden (Sachsen) und Lebach (Saarland) nennt.
In jedem dieser Zentren sollen jeweils 1.000 bis 1.500 Flüchtlingen untergebracht werden. In Bayern gibt es beispielsweise in Manching und Bamberg bereits Flüchtlingsunterkünfte, die in etwa eine so große Kapazität aufweisen.
Der Erfolg oder Nichterfolg der Pilot-Zentren soll nach etwa einem halben Jahr überprüft werden.
Das sind die Probleme bei der Umsetzung
Kulturwissenschaftler Werner Schiffauer sagt im Gespräch mit unserer Redaktion zur generellen Umsetzbarkeit: "Sie ist gegeben. Sie wird allerdings wesentlich kostspieliger als die bisher praktizierte Lösung, bei der nach Möglichkeit auf zentrale Unterbringung verzichtet wurde." Das ist einer der Gründe, warum sich einige Bundesländer gegen die Idee sperren.
Dazu kommt die Frage der Zuständigkeit: Ist der Bund oder sind die Länder für die Aufnahme und folgende Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen zuständig?
Bisher sind es die Länder - und das ist für Schlee das Problem: "Die Länder lassen sich prinzipiell nur ungern in ihre Zuständigkeiten und Verwaltungshoheit hineinregieren."
Im Koalitionsvertrag heißt es, dass "über die Frage von Zuständigkeit und Trägerschaft (...) eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern getroffen" werden soll. Details sind aber noch nicht geklärt.
Es stellt sich dabei nicht nur die Frage, welches Bundesland solche Zentren errichten will, sondern auch welche Kommune.
Experte Schlee verweist eben auf "Vorbehalte gegenüber der Einrichtung von Sonderräumen und Lagern für Geflüchtete". Denn eine solche Konzentration von Geflüchteten an einem Ort könne auf Ablehnung der ansässigen Bevölkerung stoßen und Kristallationspunkt für Konflikte sein, fürchtet Schlee.
Das sagen Kritiker der AnkER-Zentren
Das Problem der zentralen Unterbrigung
Hauptkritikpunkt ist eben die zentrale Unterbringung von zu vielen Geflüchteten an einem Ort.
Das sieht selbst ein CDU-Innenminister kritisch: die Kapazität von 1.000 bis 1.500 Flüchtlingen sei "zu hoch, da es bei dieser Größe viel Konfliktpotenzial geben könnte", erklärte Lorenz Caffier aus Meckelnburg-Vorpommern bereits im Mai.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor einem "erheblichen Aggressions- und Gefährdungspotenzial". Die Vergangenheit hat in der Tat gezeigt, dass die Beschäftigungslosigkeit als Folge des Verbots von Arbeit und das Leben auf engem Raum zu Problemen führen können.
Ähnlich sieht es Experte Schiffhauer: "Es ist zu erwarten, dass viele Bewohner - vor allem junge Männer - nach Möglichkeiten suchen werden, um der Unwirtlichkeit der Unterbringung zu entfliehen." Sie könnten Städte als Treffpunkt wählen, um der Isolation zu entfliehen. Das könnte zu Konflikten auch mit der heimischen Bevölkerung führen.
Das Problem der Sicherheit
Zudem stellt sich die Frage, wer für die Sicherheit sorgen soll. Seehofer hatte vorgeschlagen, dass die Bundespolizei eingesetzt wird. Die lehnt das aber ab.
Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow sagte im "Bayerischen Rundfunk" nach dem Großeinsatz der Polizei in einer Flüchtlingsunterkunft im baden-württembergischen Ellwangen Anfang Mai: "Wir wollen solche Zentren nicht bewachen - wir sind ausgebildete Polizeibeamte und kein Wachpersonal."
In Ellwangen hatten sich Hunderte Flüchtlinge gegen die Abschiebung eines Togoers gewehrt. Laut Schiffhauer womöglich kein einmaliges "polizeiliches Problem".
Er fürchtet, dass es in Großunterkünften eher zu solchen Solidarisierungen von Geflüchteten gegen Abschiebungen kommen könnte. "Dies wird dann wieder Kriminalisierungen nach sich ziehen."
Das Problem der Integration
Linken-Chefin Katja Kipping kritisiert: AnkER-Zentren würden vor allem bedeuten, "dass Begegnungen und Austausch zwischen Geflüchteten und Einheimischen behindert (...) werden", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Damit werde Integration sabotiert und nicht befördert.
Schiffauer sieht das ähnlich: "Eine der entscheidenden Faktoren der Integration in das Aufnahmeland ist die emotionale Integration." In den Ankerzentren werde dagegen vorhersehbar Distanz erzeugt.
Hinzu komme, dass die Flüchtlingsinitiativen aus der Zivilgesellschaft, die hervorragendes für Integration geleistet hätten, ausgebremst würden. "Der Zugang dieser Initiativen zu den Zentren wird erschwert, und zum Teil unmöglich gemacht."
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.