Die CDU könnte in Thüringen eine Regierung mit stabiler Mehrheit ermöglichen. Dafür müsste sie jedoch ein Bündnis mit der Linken eingehen – bislang ein Tabu für die Christdemokraten. Der Regierungsforscher Stephan Bröchler ist der Ansicht, dass sich die Union öffnen muss. Eine Regierungskoalition mit der Linken hält er jedoch für den falschen Weg.

Ein Interview

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Nach der Landtagswahl in Thüringen ist weiterhin ungewiss, wie das Land künftig regiert wird. Die Linke wurde mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow stärkste Kraft, doch das bisherige rot-rot-grüne Bündnis hat keine Mehrheit mehr. Rein rechnerisch könnte die Linke mit der CDU regieren. Die Union hat aber die Beteiligung an einer solchen Regierungskoalition ausgeschlossen.

Appelle werden laut, die Christdemokraten müssten ihre Vorbehalte gegenüber der Linken überwinden und sich auch angesichts der eigenen Krise für neue Bündnisoptionen öffnen. Was würde das für die CDU bedeuten, was für die deutsche Demokratie? Wir haben beim Regierungsforscher Stephan Bröchler nachgefragt.

Herr Bröchler, halten Sie eine Koalition der CDU mit der Linken für denkbar und wünschenswert?

Stephan Bröchler: Denkbar ja, wünschenswert ist jedoch fraglich. Eine Koalition aus Linken und CDU mit 50 von 90 Sitzen würde über eine klare Mehrheit im thüringischen Landtag verfügen. Damit könnte rein rechnerisch ein rot-schwarzes Bündnis eine stabile Regierung bilden.

Ein solches Regierungsbündnis ist unwahrscheinlich. Beide Parteien sind programmatisch unterschiedlich aufgestellt. Es ist zweifelhaft, wie die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Regierung zustande kommen kann.

Allenfalls in einer Notlage unserer Demokratie wäre es geboten, ein solches Bündnis einzugehen. Und eine solche Situation sehe ich trotz der Erfolge der AfD derzeit nicht. Die Bildung einer rot-schwarzen Regierung ist zudem überhaupt nicht zwingend. Eine Alternative wäre eine Minderheitsregierung.

"Bündnis würde denen in die Hände spielen, die behaupten, dass Parteiprogramme nicht zählen"

Die Christdemokraten haben in den vergangenen Jahren fast flächendeckend an Zustimmung verloren. Kann sich die Union eine reservierte Haltung überhaupt noch leisten?

Eine Absage an eine gemeinsame Regierung aus Linken und CDU ist nachvollziehbar. Denn soll unsere parlamentarische Demokratie weiterhin funktionieren, dann müssen die Parteien unterscheidbar bleiben.

Ein Bündnis aus Linken und CDU würde den politischen Kräften in die Hände spielen, die behaupten, dass Parteiprogramme nicht zählen, es vielmehr den Parteien nur darum gehe, an die Regierung zu kommen.

Für falsch halte ich jedoch die Gleichsetzung von Linken und AfD als extremistische Kräfte. In dieser Frage muss die Union unnötigen ideologischen Ballast abwerfen.

Hat sich die Linke Ihrer Meinung nach also inzwischen zu einer akzeptablen demokratischen Partei entwickelt? Der Verfassungsschutz hat ja nach wie vor Bedenken.

Hier bedarf es eines realistischen Blicks jenseits parteipolitischer Spiegelfechtereien. Dass die Partei Die Linke zum demokratischen Parteienspektrum zu rechnen ist, hat sich im politischen Alltag als offensichtlich erwiesen.

Die Linke ist heute bereits in vier Bundesländern an der Regierung beteiligt. In Thüringen stellt die Partei derzeit noch mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. Auch im Deutschen Bundestag stellt die Linke mittlerweile selbstverständlich eine Bundestagsvizepräsidentin und arbeitet als Oppositionspartei in allen Ausschüssen mit. Dennoch bleibt die kritische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eine offene Wunde.

Welche Handlungsoptionen sehen Sie für die CDU in der aktuellen Situation?

Die Union befindet sich in einer existentiellen Orientierungskrise. Die Partei muss entscheiden, ob sie dem Kurs der Öffnung für neue Wählerschichten durch Modernisierung von Angela Merkel weiterhin folgt oder sich wieder stärker an der Vorstellung von Konservatismus früherer Zeiten ausrichtet. Beide Ziele gleichzeitig zu verfolgen, ist kaum möglich. Die Gretchenfrage ist, ob die Union mit der AfD Regierungsbündnisse schließt. Die Gefahr der Spaltung der CDU steht im Raum.

"Der politischen Mitte ist zu wenig gelungen"

Was hat zu der heutigen Situation geführt, in der die politischen Ränder so stark an Bedeutung gewonnen haben und die Mitte immer schwerer zu differenzieren ist?

Der Aufstieg der AfD hat viele Gründe. Wir stehen vor großen und komplexen Herausforderungen, wie dem Klimaschutz, der Digitalisierung, der Zukunft der Europäischen Union, vor Armut und Unterdrückung in vielen Ländern der Welt. Ein wichtiger Auslöser ist ohne Zweifel auch das fehlerhafte Management in der Migrations- und Flüchtlingskrise im Jahr 2015.

Der politischen Mitte ist es angesichts dieses Berges aus Problemen zu wenig gelungen, Orientierung zu geben und die Rolle des Lotsen zu übernehmen. Dies hat zu einer Repräsentationslücke geführt, in der sich viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr in den Parteien und Parlamenten vertreten fühlen. Auffangbecken für dieses Reservoir aus Protestwählern und Antidemokraten ist die AfD, die einfache Lösungen verspricht.

Wie sehen Sie die künftige Entwicklung? Was würden Sie den Volksparteien empfehlen?

Ohne Zweifel befindet sich das Modell der Volkspartei in der Krise. Für Volksparteien wie Union und SPD reicht es nicht aus, programmatisch breit aufgestellt zu sein. Volksparteien muss es auch gelingen, die Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder und Wähler zu gewinnen. Dennoch haben Volksparteien Zukunft.

Die Herausforderung für moderne Volksparteien liegt darin, auch in einer so heterogenen Gesellschaft wie der Deutschlands erfolgreich unterschiedliche gesellschaftliche Schichten mit einer breit aufgestellten Programmatik zusammenzuführen.

Das Problem der Union liegt darin, dass sie derzeit über kein strategisches Zentrum verfügt. Es ist unklar, wer die Partei führt. Ist es Angela Merkel oder Annegret Kramp-Karrenbauer oder Friedrich Merz oder Armin Laschet?

Für die CDU stellen sich zusätzlich vor allem zwei Aufgaben: Die Partei muss die Frage klären, ob sie den Modernisierungskurs von Angela Merkel fortsetzen will oder nicht. Zweitens muss diese Entscheidung durch glaubwürdige Persönlichkeiten an der Spitze repräsentiert werden. Beide Aufgaben drängen nach einer Klärung.

Prof. Dr. Stephan Bröchler ist Regierungsforscher und leitet aktuell den Lehrstuhl für "Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland" an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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