Im "Sommerinterview" spricht ARD-Journalist Matthias Deiß mit dem FDP-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Christian Lindner über den kommenden Haushalt, „Strukturreformen“ im Sozialstaat und private Altersvorsorge. Klassische FDP-Themen, bei denen Lindner wenig Neues zu verkünden hat. Neu hingegen ist der kurze Moment, in dem Lindner mit einem einzigen Wort viel über sein Verhältnis zu seinen Koalitionspartnern sagt.

Christian Vock
Eine Kritik
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Ein "Sommerinterview" scheint eine gewisse Leichtigkeit zu versprühen, die man zumindest bei der Wahl des Ortes, an dem man traditionell in der Sommerpause mit den Spitzenpolitikern der Parteien spricht, in der Vergangenheit gerne aufgegriffen hat. Doch auch wenn hier gerne im Freien gesprochen wird – eine inhaltliche Leichtigkeit gab es in den "Sommerinterviews" im Grunde nie. Das gilt auch für das Gespräch zwischen Bundesfinanzminister Christian Lindner und Matthias Deiß, dem stellvertretenden Studioleiter und Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio.

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Und so passt es einerseits zum in diesem Jahr wechselhaften Sommer in Deutschland und andererseits zur Wahl der Themen, dass das Interview zwischen Deiß und Lindner diesmal nicht auf einer Berliner Dachterrasse oder einem schattigen Plätzchen im Grünen stattfindet, sondern im Studio. "Herzlich willkommen, Christian Lindner, hier im Trockenen", begrüßt Deiß seinen Interviewgast, während es in Berlin regnet.

Die wichtigsten Aussagen von Christian Lindner:

Wie er bei seinem jüngsten Truppenbesuch den Soldaten erklärt habe, dass Verteidigungsminister Pistorius nicht die geforderten Mittel bekommt, "sondern mehr als fünf Milliarden weniger", will Deiß gleich bei der ersten Frage wissen. Lindner verweist, wie es bei solchen Antworten üblich ist, erst einmal auf die eigenen Leistungen: "Ich habe ja das 100-Milliarden-Sonderprogramm für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Als Finanzminister denke ich, dass in den vergangenen 25 Jahren kaum einer meiner Vorgänger mehr getan hat für die Streitkräfte."

Die Antwort auf die eigentliche Frage fällt dann etwas verklausulierter und zweideutiger aus: "Und auch für das Jahr 2025 erhält Herr Pistorius all das an zusätzlichen Mitteln, was er im Gespräch mit dem Bundeskanzler und mir als fachlich notwendig nachweisen kann." Deiß kontert mit der Kritik Pistorius’ an der Einigung, in der der Verteidigungsminister unter anderen sagt "Das ist ärgerlich für mich", denn er könne dadurch nicht angemessen auf die "Zeitenwende und Bedrohungslage" reagieren.

Für Deiß "ein schwerer Vorwurf", der "Haushalt auf Kosten der Sicherheit" bedeute. Dem entgegnet Lindner: "Das ist falsch. Wir investieren stark in die Sicherheit. Deutschland erfüllt das Nato-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die äußere Sicherheit. Wann in den letzten Jahrzehnten hat es das gegeben?" Zur Sicherheit gehöre auch die "finanzielle Stabilität" Deutschlands, daher müsse sich auch der Verteidigungshaushalt "in die allgemeine ökonomische Situation einpassen."

Ob Pistorius übertreibe, will Deiß daraufhin wissen, doch Lindner verweist erneut auf die bisherigen Mittel: "Damit kann man arbeiten und damit muss man auch wirtschaften." In die Zukunft gerichtet verspricht der Finanzminister: "Deutschland wird dauerhaft zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung, für die Bundeswehr aufwenden." Das stehe nicht in Konkurrenz zur Schuldenbremse, im Gegenteil: "Wir haben ja keine Notlage. Sondern der Angriff Russlands auf die Ukraine begründet eine neue dauerhafte Realität." Auf die müsse man "strukturell reagieren" und Durchhaltevermögen zeigen.

Neben dem Verteidigungshaushalt kommt Deiß auf die Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Haushaltsentwurfs zu sprechen. Hierzu sagt Lindner: "Ich warte das Ergebnis der Prüfung ab." Es sei aber richtig, "dass wir noch eine Aufgabe haben in einer Größenordnung von acht bis neun Milliarden Euro." Für Lindner sei "eines absolut klar": "Verfassungsrechtliche Risiken oder ökonomisch nicht Sinnvolles werde ich als Finanzminister nicht unterstützen. […] Ich trage die politische Verantwortung und die Schuldenbremse, die Regeln, wie Haushalte aufgestellt werden, die stehen in unserer Verfassung und müssen beachtet werden."

Deshalb habe er "eine unabhängige Prüfung" angestoßen. Solle diese negativ ausfallen, werde man sich Alternativen überlegen. "Keine Alternative ist, die Notlage im Rahmen der Schuldenbremse zu erklären", so Lindner.

So schlug sich Christian Lindner:

Von den zu überlegenden Alternativen kommt Lindner zu dem, was "in den nächsten Jahren sowieso ansteht", und hier zeigen sich die zwei Auffälligkeiten, die die Kommunikationsweise von Christian Lindner im "Sommerinterview" kennzeichnen. "Wir haben nicht zu wenig Geld, sondern wir haben zu hohe Ausgaben", beginnt Lindner und verrät dann auch gleich, in welchen Bereichen er diese "zu hohen Ausgaben" sieht: im Sozialen. Er rede nicht von Investitionen oder von der Sicherheit, sondern von den "stark steigenden Sozialausgaben".

Hier zeigt Lindner zum einen die Jahrzehnte alte FDP-DNA im Sozialbereich, man könnte auch "das Menschenbild der Partei" sagen. Linder spricht davon, "den Sozialstaat neu aufzustellen", er redet von "treffsicher" und von "mehr Empathie für Bedürftige" sowie von "mehr Konsequenz bei Trittbrettfahrern." Lindners Fazit: "Wir werden hier weitere Strukturreformen brauchen." Kürzungen bei denen, die ohnehin schon am wenigsten haben, klingt eben nicht so charmant wie "Strukturreformen".

"SPD und Grüne würden sofort die Steuern in Deutschland erhöhen."

Christian Lindner, Bundesfinanzminister

Dass die Wortwahl entscheidend ist, weiß Christian Lindner jedenfalls, beim zweiten Kennzeichen seiner Kommunikation im "Sommerinterview" bleibt der FDP-Chef aber nicht immer so konsequent bedacht. Man merkt Lindner deutlich an, dass er einerseits natürlich das Gesicht der von der FDP gewählten Regierungskoalition wahren und die Erfolge herausstellen will und muss, sich und seine Partei aber gleichzeitig von den Koalitionspartnern abgrenzen muss. Und da verrät manchmal schon ein kleines Wort, wie man sich die Wertschätzung Lindners seinen Regierungspartnern gegenüber vorstellen muss.

Als Deiß fragt, wie sich Lindner fühle, wenn Olaf Scholz öffentlich über die Führungsrolle des Kanzlers beim Haushalt, also Lindners Bereich, spricht, verweist der Finanzminister auf die "massiven" Unterschiede der drei Regierungsparteien und sagt: "SPD und Grüne würden sofort die Steuern in Deutschland erhöhen. Aber sofort. Da zögern die keine Sekunde." Wenn Lindner hier von "die" spricht, dann ist das keine neutrale Sachinformation über die programmatische Ausrichtung seiner Regierungspartner.

So spricht man von jemandem, mit dem man am liebsten nichts zu tun haben möchte und nicht von Menschen, mit denen man die Zukunft des Landes gestalten will – und aus eigener Entscheidung wollte. Da schwingen persönlicher Frust, Abgrenzung, Überheblichkeit und ja, auch ein Stück weit Verachtung mit. Lindner hat nie einen Hehl aus den grundsätzlichen Differenzen zwischen den Ampel-Parteien gemacht, aber hier verliert der FDP-Vorsitzende für einen kurzen Moment die Contenance. Man kann das eine Überinterpretation nennen oder auch einen Blick hinter die Fassade.

So schlug sich Matthias Deiß:

Nun kann man natürlich diskutieren, ob die weitgehende Konzentration auf Haushaltsfragen angesichts von Klimakrise, Ukraine-Krieg, US-Wahlen und Co. der aktuellen globalen Lage angemessen ist, schließlich ist Christian Lindner nicht nur Finanzminister, sondern auch Chef einer Partei – wenn auch einer kleinen. Aber er ist eben auch Finanzminister und zudem schafft es Matthias Deiß, die globalen Fragen – wenn auch längst nicht die wichtigsten – in Fragen zum Haushalt einzubinden, etwa, wenn er nach der Finanzierung der Bundeswehr fragt.

Gleichzeitig gelingt es Deiß, Lindner nicht mit Ausweichmanövern davon kommen zu lassen. Als Deiß Lindner etwa fragt, ob er auch unter einem Bundeskanzler Robert Habeck Finanzminister sein werde, verweist Lindner darauf, dass diese Frage angesichts der Umfragewerte irrelevant sei. Sekunden zuvor attestierte Lindner jedoch, als es um Friedrich Merz und Olaf Scholz geht, einem Oppositionsführer und einem Kanzler generell und rein formal Kanzlerfähigkeiten.

Angesichts von Habecks politischen Stationen als Landesminister, Parteivorsitzender, Bundesminister und amtierender Vizekanzler hätte Lindner seiner eigenen Logik folgend einfach "Ja, wenn unter Scholz, warum dann nicht auch unter Habeck?" antworten können. Macht er aber nicht. Gleichzeitig weicht Lindner damit einer Antwort schlicht aus, was auch Deiß bemerkt: "Sie drücken sich um eine Antwort."

Das Fazit

Ja, ein "Sommerinterview" scheint eine gewisse Leichtigkeit zu versprühen. Dass die auch am Sonntagmittag nur ein Trugschluss ist, lag aber nicht am Berliner Regen. Matthias Deiß zeigte sich im Gespräch mit Finanzminister Christian Lindner hartnäckig, gut vorbereitet und stellte die richtigen Fragen – sofern es für ein nur knapp 30-minütiges Gespräch überhaupt die richtigen Fragen geben kann. Bei den Antworten ist die Sache mit der Richtigkeit nur unwesentlich einfacher.

Denn Christian Lindner verriet nichts, was man nicht so oder so ähnlich von der FDP kennt oder erwartet hätte. Einhaltung der Schuldenbremse, Abbau des Sozialstaates, das Nein zu Steuererhöhungen, der Fetisch der Leistungsgesellschaft oder die Erzählung von der FDP, die – anders als die Grünen – gegen Verbote ist, stattdessen das Land "nach vorne entwickeln" möchte. Dass man beides gleichzeitig machen kann, verschweigt Lindner jedoch. Was er an diesem Sonntag hingegen nicht verschweigen kann, sind seine Gefühle gegenüber seinen Koalitionspartnern. Zumindest für einen kurzen Moment.

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