Im Paragraf 218 Strafgesetzbuch steht, dass in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche illegal sind. Die Ampel-Regierung in Berlin will das ändern. Gegenwind bekommt sie von der stellvertretenden CSU-Fraktionsvorsitzenden Dorothee Bär.

Ein Interview

Der Abbruch einer Schwangerschaft zählt – ähnlich wie die Organspende oder die aktive Sterbehilfe – zu den großen ethischen und moralischen Themen unserer Zeit. Derzeit ist in Deutschland eine Abtreibung egal in welcher Schwangerschaftswoche per Gesetz verboten und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.

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Aber es gibt Ausnahmen. Nach einer Pflichtberatung und einer dreitägigen Wartefrist darf in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen abgetrieben werden. 2023 taten dies rund 106.000 Frauen. Auch wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes sowie wenn ein kriminologischer Hintergrund (bspw. Vergewaltigung) besteht, darf die Schwangerschaft abgebrochen werden.

Die Bundesregierung will nun an diesem seit 1995 bestehenden Kompromiss rütteln. Sie beauftragte eine Expertenkommission, sich des Themas anzunehmen. Diese präsentierte im April dieses Jahres ihre Ergebnisse – und empfahl die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen.

Ein zufriedenstellendes Ergebnis für die zuständigen Ministerinnen und Minister Lisa Paus (Grüne, Familie), Karl Lauterbach (SPD, Gesundheit) und Marco Buschmann (FDP, Justiz). Für die Opposition und vor allem für die stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende Dorothee Bär ist das Ganze aber eine unnötige Diskussion in Zeiten, in denen sich bereits zahlreiche Risse durch die Gesellschaft ziehen.

Werden Schwangerschaftsabbrüche in dieser Legislaturperiode noch legal, Frau Bär?

Dorothee Bär: Schwangerschaftsabbrüche sind auch heute straffrei. Vor dem Hintergrund der Vielzahl von Streitigkeiten innerhalb der Ampel-Koalition halte ich es für unwahrscheinlich, dass sie sich gerade bei diesem kontroversen und ethisch-moralischen Thema einigen wird. Zudem sprach Bundesjustizminister Marco Buschmann im Rahmen der Debatte zum Paragrafen 219a (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, Anm. d. Red.) davon, dass dieser losgelöst von Paragraf 218 betrachtet werden müsse und Letzterer nicht angetastet werde. Insofern hoffe ich, dass die FDP ihr Wort hält.

"Es wurde quasi geliefert, wie bestellt."

Dorothee Bär über das Ergebnis der von der Regierung eingesetzten Expertenkommission

Sie hatten schon damals befürchtet, dass dennoch am Paragraf 218 gerüttelt wird. Jetzt kam vor einigen Monaten eine Expertenkommission – eingesetzt von der Ampel-Regierung – zu dem Schluss, dass zumindest eine Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Wochen entkriminalisiert werden sollte. Wie stehen Sie dazu?

Zunächst einmal ist es wichtig, zu erwähnen, dass die Expertenkommission der Ampel-Koalition sehr einseitig besetzt wurde. Es folgt alles dem Muster von großen gesellschaftlichen Veränderungen: Nach der Abschaffung von Paragraf 219a war die Arbeit der Kommission ein Auftragsgutachten. Es wurde quasi geliefert, wie bestellt. Daher ist die Empfehlung für mich wenig überraschend. Es gibt aber etwas, das mich an der Vorgehensweise besonders gestört hat, was es in dieser Form noch nie zuvor gegeben hat.

Das wäre?

Wir als größte Oppositionsfraktion wurden beispielsweise in diesen Prozess nicht miteinbezogen. Das ist bei so einer Frage, bei der es um Leben und Tod geht, höchst ungewöhnlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass es in den vergangenen Legislaturperioden gelebte Praxis war, solch sensible und ethische Fragen überfraktionell zu besprechen. Leider schien die Ampel daran kein Interesse zu haben. Aufgrund dessen haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine eigene Bioethik-Kommission ins Leben gerufen.

In der Expertenkommission der Bundesregierung saßen allerdings ausschließlich Wissenschaftler und keine Politiker.

In solch einer Frage ist es doch aber mehr als sinnvoll, die Lösung auf eine ganz breite gesellschaftliche Basis zu stellen. Deswegen haben wir es uns nicht so leicht gemacht wie die Ampel und unsere Bioethik-Kommission mit Expertinnen und Experten breit aufgestellt. In Bezug auf Paragraf 218 kenne ich allerdings niemanden in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der bei diesem Thema anderer Meinung ist.

"Lebensschutz ist immer modern"

Dorothee Bär

Welche Meinung wäre das?

Seit 30 Jahren haben wir mit dem Paragrafen 218 eine befriedete Situation. Wir dürfen diesen sorgfältig austarierten Kompromiss nicht einfach auflösen. Aus diesem Grund ärgern mich auch Aussagen zu dieser Thematik, in denen betont wird, wir müssten moderner werden. Lebensschutz ist immer modern. Das Lebensrecht Ungeborener ist verfassungsrechtlich geschützt, denn die Menschenwürde steht auch dem ungeborenen menschlichen Leben zu.

Das hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Daher sollten wir unter keinen Umständen das Lebensrecht Ungeborener gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau aufwiegen. Es war erschreckend, die Reden der Mitglieder der Ampel-Koalition in der Debatte im Deutschen Bundestag zum Paragraf 219a zu hören. Natürlich ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau zentral. Aber in der gesamten Bundestagsdebatte wurde der Schutz des ungeborenen Lebens von Seiten der Ampel-Fraktionen überhaupt nicht thematisiert.

Aber die Kommission berücksichtigt beides. Sie schlägt eine Entkriminalisierung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vor und ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nach der 22. Woche.

Das ist meines Erachtens kein gangbarer Weg, denn dabei werden einige Aspekte vollkommen außer Acht gelassen. Wichtig ist zum Beispiel, dass die Beratungspflicht in den ersten zwölf Wochen bestehen bleibt. Es braucht eine unabhängige Stelle, zu der Frauen gehen können, um dort über die vielfältigen Gründe reden zu können, weswegen sie ihre Schwangerschaft abbrechen wollen. Es können ihnen dort Lösungswege aufgezeigt werden. Betroffene Frauen treffen schließlich eine Entscheidung, die ihr ganzes Leben beeinflussen wird.

Die Kommission rät nicht zur Abschaffung dieser Beratungseinrichtungen.

Dann sollte die Beratungspflicht auch weiterhin gesetzlich geregelt werden.

Sie sagten, Lebensschutz hat nichts mit Modernität zu tun, aber die Zeiten haben sich geändert. Umfragen ergeben, dass eine Mehrheit der Deutschen für eine Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen ist. Deutschland hat mit Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze in der EU. 15 von 16 Bundesländer fordern ein Umdenken beim Paragrafen 218 und sogar die evangelische Kirche tendiert in Richtung Straffreiheit.

Das Thema wurde von den Grünen auf die Agenda gesetzt, die darauf gedrängt haben, es in den Koalitionsvertrag zu schreiben. Letztendlich wird sich die Ampel-Koalition auch bei diesem Thema nicht einigen können. Vielmehr trägt sie damit nur zu einer Polarisierung der Gesellschaft bei. Das sorgt für tiefe Risse, auch zwischen Frauen. Ohne Not wird der gesellschaftliche Kompromiss gefährdet, der bei diesem Thema mühsam erarbeitet wurde.

"Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Kinder und Familien willkommen sind?"

Dorothee Bär

Kann es sein, dass die Illegalität zu den Rissen zwischen Frauen und zu einer Tabuisierung des Themas führt?

Es gibt keine Notwendigkeit für eine Neuregelung. Frauen haben auch jetzt die Möglichkeit, völlig straffrei abzutreiben. Rund 100.000 Frauen machen von diesem Recht jedes Jahr Gebrauch. Eine andere Frage ist hier viel entscheidender.

Welche?

Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Kinder und Familien willkommen sind? Manchmal werden finanzielle Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch angeführt. Das darf in einem reichen Land wie Deutschland kein Grund sein, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Die allermeisten Frauen machen sich die Entscheidung nicht leicht, sich für eine Abtreibung zu entscheiden. Allerdings sagen die wenigsten Frauen, dass sie keine Abtreibung vornehmen, weil sie sich kriminalisiert fühlen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden uns auch weiterhin für das ungeborene Leben einsetzen. Wir werden unseren Fokus dabei auf eine schnelle und gute Beratung richten sowie auf ausreichende medizinische Unterstützung.

Zur Person

  • Dorothee Bär (46) war von 2009 bis 2013 stellvertretende CSU-Generalsekretärin und für die gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion Sprecherin für den Bereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Von Dezember 2013 bis März 2018 war sie Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Von März 2018 bis Dezember 2021 war Bär Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Seit Dezember 2021 ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie und Kultur. Sie setzt sich bereits seit Jahren für die Rechte von Frauen und Familien ein und argumentierte stets strikt gegen die Abschaffung der Paragrafen 218 und 219a.
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