Wie soll Deutschland mit China umgehen, von dem es wirtschaftlich so stark abhängig ist? Seit Längerem wird in der Bundesregierung an einer China-Strategie gearbeitet. Bisher ergebnislos. Der Kieler Wirtschaftsforscher Rolf Langhammer sieht eine Strategie nur auf ein einzelnes Land bezogen kritisch.

Eine Analyse
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Erst Anfang des Jahres gab es in Deutschland Diskussionen um chinesische Investitionen im Hamburger Hafen. Die chinesische Staatsreederei Cosco wollte dort Anteile kaufen. Auch die Debatten um Huawei und den Ausbau der 5G-Netze liegt noch nicht lang zurück. Andernorts in der Welt kauft sich China immer mehr in die Infrastruktur von Staaten ein, sei es in Afrika oder Asien.

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"China ist im Globalen Süden in den letzten Jahren stark aufgeschlagen, etwa mit seiner Strategie der 'Neuen Seidenstraße' oder der 'Global Development Initiative'", sagt Rolf Langhammer vom "Kiel Institut für Weltwirtschaft". China selbst interessiere sich für die Investitions- und Beschaffungsmärkte in den Ländern. Und es wagt sich dorthin vor, wo bisher kein Europäer investieren wollte. So etwa in der Textilindustrie von Äthiopien, erklärt Langhammer: "Da gehen chinesische Investoren hin und von dort haben sie unter handelspolitischen Vorzugsbedingungen Zugang zum EU-Markt."

Einen einfacheren Zugang zu den dortigen Regierungen hätte China auch aufgrund einer "gemeinsamen autokratischen Sicht", sagt der Kieler Ökonom. Individuelle Menschenrechte würden gegenüber einem kollektiven Wohlstandsziel hinten angestellt.

Europäer uneinig im Umgang mit China

Die europäische Politik geht bisher nicht immer einheitlich mit China um. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war zuletzt in Peking und wurde dafür von anderen Europäern kritisiert. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock fuhr ebenfalls nach China und stieß dort auf teils frostige Reaktionen. Anfang des Monats fanden in Berlin die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt. Diese wurden umgehend vom SPD-Außenpolitiker Michael Roth kritisiert. Dieses Format sei eigentlich nur für Wertepartner gedacht, erklärte der Vorsitzende des Bundestags-Außenausschusses gegenüber RND.

Kritisch sah dies auch die Vize-Vorsitzende der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe des Bundestags, Gyde Jensen. Die Bundesregierung solle sich nicht von der chinesischen Führung als Propagandakulisse missbrauchen lassen, sagte die FDP-Politikerin dem RND. Umso mehr sucht die Bundesregierung bei ihrer China-Strategie nach einer gemeinsamen Lösung. Zumindest gab es innerhalb der Koalition lange Zeit Einigkeit darüber, dass es nicht um De-Coupling (Entkopplung) gehen solle, sondern um De-Risking (Risikominimierung), wie tagesschau.de bereits Anfang des Jahres berichtete.

Doch was diese Schlagwörter konkret bedeuten sollen und wie eine solche Strategie eigentlich praktisch aussehen soll, darüber gibt es bislang in der Bundesregierung keine Einigkeit. Und ganz so nah beieinander liegen die Interessen der Akteure innerhalb der Bundesregierung dann wohl doch nicht, glaubt Rolf Langhammer. Seiner Ansicht nach lege das Außenministerium den Schwerpunkt eher auf Menschenrechte und Nachhaltigkeitsstandards, das Wirtschaftsministerium eher auf die Abhängigkeiten im Handel.

Und diese Abhängigkeiten sind nicht gering. Sie bestehen besonders bei medizinischen Vorprodukten, seltenen Erden, Halbleitern, Computerchips und Hightech-Produkten. Auch die deutsche Wirtschaft ist stark mit China verbunden. So kommen die Hälfte aller europäischen Direktinvestitionen in China von den deutschen Autokonzernen und dem Chemiehersteller BASF, wie in der Zeit nachzulesen ist.

Langhammer: Eigene Strategie für jedes Land "ist Unsinn"

Doch wie kann im Umgang mit China letztlich eine Lösung aussehen? Ökonom Langhammer sieht eine China-Strategie als solche kritisch. "Für jedes Land eine eigene Strategie zu entwickeln, ist Unsinn", sagt er, denn solche, auf einzelne Länder bezogene Strategien seien allenfalls nur "defensiv und reaktiv". In dieser Logik bräuchte es im nächsten Jahr möglicherweise auch eine USA-Strategie, wenn Trump die Wahl gewinnen sollte.

Stattdessen spricht sich Langhammer mit seinen Kollegen am Kieler Institut für eine allgemeine Außenhandelsstrategie aus. Darin solle vielmehr geklärt werden, wie mit Autokratien umgegangen werde, die ihre Wirtschaft jederzeit als Waffe einsetzen könnten. So wie Deutschland dies auch bei Russland hinsichtlich der Öl- und Gasversorgung im letzten Jahr erlebt hat.

Für eine umfassende Außenhandelsstrategie spreche zudem laut Langhammer, dass sich auch aktuell ein neuer Trend in der internationalen Politik andeute: weniger Handel und mehr ausländische Investitionen für den heimischen Markt. So hatte zuletzt die US-Regierung den "Inflation Reduction Act" verabschiedet. Dieser ist ein Anreiz zu Investitionen von Europäern in den Vereinigten Staaten.

Diese sollen dann dem amerikanischen Markt nützen und unter anderem zu mehr Arbeitsplätzen in den USA führen. Langfristig seien die Wachstumsmärkte der Zukunft wahrscheinlich ohnehin eher Indien, Afrika oder Lateinamerika – und weniger China, mahnt Langhammer. Wie man damit umgehen wolle, darauf müsse Deutschland Antworten finden.

Marktwirtschaften reagieren langsamer als Autokratien

Letztlich, so der Kieler Wirtschaftsforscher, sei der EU-Binnenmarkt wichtiger als der Handel mit China und den USA. Die deutsche Politik müsse sich auf die Stärken des eigenen Systems konzentrieren. Doch ganz so leicht dürfte dies nicht werden. Denn Verlagerung des Handels weg von China berge auch Kosten, so Langhammer. "Das ist der unmittelbare Preis der Versicherungsprämie gegen Risiken und Unsicherheit aus den Beziehungen zu China."

Zudem sei der Handlungsspielraum der Politik in demokratischen Systemen begrenzter als in autokratisch geführten Staaten. In der Marktwirtschaft liege die Verantwortung bei den Unternehmen und den Verbrauchern, Preissignale würden immer nur verzögert umgesetzt. "Ich befürchte, die China-Strategie der Bundesregierung wird deswegen auch sehr weich gewaschen sein – viele Ziele und wenige Instrumente", so Langhammer.

Zentral sei daher, den Blick zu weiten und neben dem Güterhandel auch den Dienstleistungssektor, die Kapitalmärkte und die Arbeitsmärkte mit der nötigen Zuwanderung von Fachkräften in den Blick zu nehmen. Dies sei besser, "anstatt nur auf ein Land zu blicken und nur defensiv auf das zu reagieren, was dort in dem jeweiligen Land selbst geschieht".

Über den Experten:
Prof. Dr. Rolf Langhammer war Stellvertreter des Präsidenten und ab 2007 Vizepräsident des "Kiel Institut für Weltwirtschaft" (IfW) in Kiel. Er war bis zu seiner Pensionierung Professor am IfW Kiel, ist dort aktuell aber weiter tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem: Internationaler Dienstleistungshandel, Effekte der regionalen Integration aufstrebender Volkswirtschaften und Reformen des multilateralen Handelssystems.

Verwendete Quellen:

  • rnd.de: SPD-Außenpolitiker stellt Fortbestand deutsch-chinesischer Regierungskonsultationen infrage
  • tagesschau.de: Woran es bei der China-Strategie hakt
  • zeit.de: Risiko China
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