Die friedliche Revolution der DDR jährt sich in diesem November zum 35. Mal. Wie steht es heute um die deutsche Einheit? Ein neuer Bericht zeigt: Die Deutschen sind sich sehr ähnlich. Die großen Knackpunkte sind globale Themen.

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Jedes Jahr gibt die Bundesregierung einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit heraus. In diesem Jahr will der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), wie schon 2022 einen anderen Blick auf die Ostländer werfen.

Statt eines stumpfen Berichtes zur Wiedervereinigung hat er zahlreiche Autorinnen und Autoren aus Ost- und Westdeutschland, sowie aus Polen und dem Baltikum ihre Eindrücke zur deutschen Einheit aufschreiben lassen.

Herausgekommen sind unterschiedliche Blickwinkel unter dem Titel "Ost und West. Frei, vereint und unvollkommen." Teil des Berichts sind außerdem eine Erhebung zur Unterrepräsentation der Ostdeutschen in Elitenpositionen und ein Auszug aus dem Deutschland-Monitor 2024.

Großer Konsens über gewünschte Gesellschaft

Die Mitautorin des Monitors, Marion Reiser von der Uni Jena, ist bei der Vorstellung des Berichts in Berlin auch anwesend. Die Erhebung, stellt sie klar, habe deutlich gezeigt, dass es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, in welcher Gesellschaft die Menschen in Deutschland leben wollen.

Konkret wolle die übergroße Mehrheit von mehr als 80 Prozent in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft leben. Ostbeauftragter Schneider sieht dieses Ergebnis auch durch die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bestätigt. Das zeige ihm zufolge die hohe Wahlbeteiligung. Was er aber nicht schönreden wolle, sei die Kritik, die es offensichtlich an der Politik gebe.

Globale Krisen sorgen für Debatten

Doch auch wenn die generelle Einigkeit bei der Frage nach der bevorzugten Gesellschaftsform hoch sei, würden gerade die globalen Herausforderungen laut Reiser stark diskutiert. Dabei gehe es um Fragen zur Rolle der EU, des Klimaschutz und der Migration. Hier gebe es eine hohe Ablehnung und Skepsis, besonders in Ostdeutschland.

Die Freiheitsrechte würden von einer Mehrheit der Menschen als Grundlage für das Zusammenleben genannt. Allerdings sehen laut der Wissenschaftlerin bis zu 40 Prozent der Befragten diese Rechte nur teilweise oder sogar gar nicht erfüllt. Fehlende Presse- oder Meinungsfreiheit würde dabei etwa überdurchschnittlich oft von Menschen in Ostdeutschland bemängelt, die der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht zugeneigt seien.

Sicherheit wichtiger als Freiheit

Ebenfalls auffällig: Es gibt ein klares Bedürfnis nach Sicherheit. Bei der Abwägung des Spannungsfeldes von Sicherheit, Freiheit und Gleichheit würden 73 Prozent der Befragten Freiheit gegenüber Gleichheit bevorzugen. 54 Prozent der Befragten würden wiederum Sicherheit gegenüber Freiheit bevorzugen.

Die Eliten-Auswertung kommt außerdem zu dem Schluss: Ostdeutsche sind in relevanten Bereichen nach wie vor zu selten vertreten. Und nicht nur das: Vielen westdeutschen Führungskräften ist nicht bewusst, dass der Mangel an Repräsentation ein Problem darstellen könnte. "Viele sehen keinen Handlungsbedarf", sagt Schneider dazu. Und stellt klar, dass der Markt dieses Problem nicht von allein regeln werde.

Stärke der AfD Grund zur Sorge

Mit Blick auf die Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sieht Schneider weitere Probleme auf den Osten zukommen: Denn die starken Ergebnisse der AfD schädigten den Ruf der Regionen.

So könnte der Zuzug, den Ostdeutschland dringend bräuchte, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, gehemmt werden. "Das betrifft nicht nur Ausländer. Wollen Sie in einem Ort leben, in dem 50 Prozent die AfD gewählt haben?", fragt er in die Runde.

Schneider kommt selbst aus Thüringen – dem Land, in dem die AfD mit großem Abstand die Wahl gewonnen hat – dass ihn das nicht kaltlässt, ist ihm anzumerken.

Es sei ein Problem, dass es gerade in Regionen mit schlechten demografischen Voraussetzung eine Korrelation mit dem AfD-Wahlergebnis gäbe, meint Schneider. In diesem Fall seien die politischen Handlungsmöglichkeiten sehr begrenzt. "Gut ausgebildete Menschen, insbesondere Frauen, fehlen."

Übersetzen lässt sich das wohl so: Der Osten braucht Zuzug, gerade im ländlichen Raum. Ist dort das gesellschaftliche Klima für Menschen mit einem offenen Weltbild aufgrund des AfD-Wahlergebnisses nicht einladend, werden sie nicht hinziehen. "Ich empfinde es als nicht einladend", sagt Schneider. Die Politik kann niemanden Zwingen dort hinzugehen. Der Fachkräftemangel bliebe also.

Schneider wolle nichts schönreden, sagt er. Auch deshalb habe er den Bericht mit dem Wort unvollkommen überschrieben. Was ihm aber auch wichtig ist zu betonen: Die friedliche Revolution in der DDR, die den Grundstein für den Fall des Regimes und die Wiedervereinigung gelegt hat, jährt sich im Herbst zum 35. Mal.

In den vergangenen Jahrzehnten ist in Deutschland viel passiert und viel zusammengewachsen. Eine Entwicklung auf die Schneider stolz ist und die er zeigen möchte.

Verwendete Quellen

  • Pressekonferenz zur Vorstellung des Berichts zur deutschen Einheit
  • Bericht 2024 "Ost und West. Frei, vereint und unvollkommen."
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