Schafft die FDP die politische Rückkehr? Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag sortieren sich die Liberalen auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende neu. Neben der Wahl eines neuen Bundesvorsitzenden steht auch eine programmatische Neuausrichtung an: Das Image der Steuersenkungspartei will die FDP endgültig ablegen. Ein längst überfälliger Schritt, meint Parteienforscher Jürgen Falter im Interview.

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Bei der Wahl im Herbst hat die FDP den Einzug in den Bundestag verpasst. Was waren die Fehler?

Prof. Falter: Eigentlich hat die FDP fast alles falsch gemacht, was eine Partei falsch machen kann. Sie hat sich auf einen Koalitionsvertrag 2009 eingelassen, der so schwammig formuliert war, dass kabinettsinterner Streit schon programmiert war. Sie ist mit einem Programm angetreten, das sich in nur ganz wenigen Punkten im Koalitionsvertrag wieder gefunden hat. Sie ist gescheitert mit ihren Forderungen nach niedrigeren Steuern oder einem einfacheren Steuersystem. Und dann ist sie in den internen Clinch mit der CSU geraten, in dem sie viele Federn lassen musste. Über die Fehler der FDP könnte ich noch stundenlang sprechen.

Der designierte neue Vorsitzende Christian Lindner hat gerade in der "Süddeutschen Zeitung" ein Interview gegeben, das mit dem Titel "Wir sind keine Kapitalisten" überschrieben war. Könnte man auch sagen: "Wir waren nur Kapitalisten – und genau das war unser Problem"?

Der Satz von Lindner bezieht sich auf die Überbetonung des Wirtschaftsliberalismus und dass der Bürgerrechtsliberalismus über Jahre nur die zweite Geige gespielt hat. Der Sozialliberalismus, der in den 1970er und 1980er Jahren sehr große Bedeutung in der FDP hatte, hat nach 1982 eigentlich gar keine Bedeutung mehr gespielt. Auf diese Weise hat sich die FDP selbst ihres zweiten und dritten Standbeins beraubt.

Die programmatische Verengung soll laut Lindner ein Ende haben.

Das ist auch überlebenswichtig. Die FDP muss sich wieder breiter aufstellen, aber nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihrer Führung. Sie muss wieder erkennbarer werden. Das bedeutet auch Leute an die Spitze zu holen, die glaubwürdig für die Dreiströmung des Liberalismus stehen. Zweitens muss sie auch farbige Leute an die Spitze holen, die Aufmerksamkeit in den Medien bekommen. Denn das ist die größte Gefahr für die FDP: Dass sie aus den Medien langsam verschwindet, denn dann verschwindet sie allmählich auch politisch.

Die FDP setzt dabei große Hoffnungen auf Christian Lindner. Zu Recht?

Lindner ist mit Sicherheit eine Person, die in den Medien gut ankommt. Er ist intelligent, er ist eloquent, er schlägt sich auch in Talkshows wacker. Er alleine wird die FDP aber nicht retten. Man muss sich überlegen, wen man noch nach vorne holt, um eben alle drei Säulen des Liberalismus zu repräsentieren.

Wer kommt infrage?

Wolfgang Kubicki [der FDP-Fraktionschef im Landtag von Schleswig-Holstein, Anm. d. Red.] hat sich ja bereits angeboten, um sozusagen für die Farbe zu sorgen. Er ist als Rechtsanwalt mit Sicherheit dafür geeignet, den Bürgerrechtsliberalismus zu betonen. Wer den Sozialliberalismus vertreten soll, ist mir bis jetzt noch nicht klar – auch wenn Lindner ja selbst etwas in diese Richtung tendiert.

Im kommenden Mai steht die Europawahl an. Eine Schicksalswahl für die FDP?

Zumindest eine wichtige Wahl. Die FDP braucht dort einen Achtungserfolg. Aber bis zur kommenden Bundestagswahl stehen noch viele Landtagswahlen an, drei alleine im nächsten Jahr. Und auch dort könnte die FDP punkten.

Wie groß sind die Chancen der FDP im Europawahlkampf zu punkten?

Die sind groß - vor allem, weil es dort keine Fünf-Prozent-, sondern nur eine Drei-Prozent-Hürde gibt. Im Wahlkampf wird sie auch nicht so im Schatten der Auseinandersetzung der Spitzenkandidaten von Union und SPD stehen wie im Bundestagswahlkampf. Zudem muss die FDP keine Rücksicht mehr auf einen Koalitionspartner nehmen. Es wird aber auch viel von einem möglichen Spitzenkandidaten abhängen. Silvana Koch-Mehring ist durch ihre Dissertationsaffäre ja immer noch angeschlagen. Auch hier wird es sehr wichtig sein, mit glaubwürdigen Personen ins Rennen zu gehen.

Die programmatische Neuausrichtung wird sich wohl auch im Europawahlkampf bemerkbar machen. Welche Schwerpunkte erwarten Sie von der FDP?

Ich nehme an, dass die FDP vor allem eine kritischere Haltung als bisher zur Euro-Krisenbewältigung einnimmt. Das heißt, aus einem ordnungspolitischen Konzept heraus die Fehler benennt, die in der Euro-Zone gemacht wurden. Dann könnte sie wohl auch einen Teil der 400.000 Wähler, die sie bei der Bundestagswahl an die Alternative für Deutschland (AfD) verloren hat, zurückholen.

Was passiert, wenn die FDP den Sprung ins Europaparlament verpasst?

Wenn die FDP sowohl in der Europawahl als auch bei den Landtagswahlen des kommenden Jahres den Sprung in die Parlamente verpasst, wird sie aus meiner Sicht an innerer Auszehrung zugrunde gehen. Dann bliebe ihr wohl nur noch ein anderer Kurs, hin zu einer reinen Euro- und Mittelstands-Protestpartei - auch wenn diese Programmatik inzwischen schon weitgehend von der AfD besetzt ist.

Herr Falter, wir danken für das Gespräch.

Der Politikwissenschaftler Dr. Jürgen W. Falter war zwischen 1991 und 2012 Professor für Innenpolitik am Institut für Politikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörten Parteien, Wahlen, politischer Extremismus und politische Einstellungen. Seit 2012 leitet er die Forschungsprofessur zum Thema "Die Mitglieder der NSDAP 1925–1945. Eine quantitative sozialhistorische Analyse" ebenfalls an der Universität in Mainz.
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