In einem Appell fordern mehrere FDP-Politiker den Austritt ihrer Partei aus der Ampelregierung. Parteichef Lindner zeigt sich ambivalent gegenüber der Forderung.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Alexander-Georg Rackow spricht ruhig und bedacht, als unsere Redaktion ihn am Donnerstagnachmittag am Telefon hat. Er hatte sich auf eine Anfrage per Mail direkt telefonisch gemeldet. Er, früher selbst Journalist bei der "Bild am Sonntag" und dem "Focus", kenne den Arbeitsalltag und dachte, er melde sich direkt. Das sei einfacher.

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Nichts lässt darauf schließen, dass da gerade ein Radikaler spricht oder ein Zündler. Und doch sind seine Forderungen politischer Sprengstoff. Zusammen mit weiteren FDP-Politikern auf kommunaler Ebene hat Rackow gerade einen Appell an den Parteivorstand gerichtet. Darin die Forderung, dass seine Partei aus der Ampelregierung austritt – kurz gesagt: Er möchte die Regierung der Bundesrepublik platzen lassen.

Er sei von Anfang an gegen den Eintritt in die Ampel gewesen, erklärt der Vizechef der FDP-Fraktion im Kreistag von Bad Segeberg im Gespräch. Die Ampel sei in Umfragen immer die unbeliebteste aller möglichen Regierungskoalitionen gewesen und nun zeichne sich nach zwei Jahren ab, dass das seinen Grund habe. "Die FDP kann in dieser Koalition keine liberale Politik umsetzen." Das habe sich nun gezeigt. "Wir als FDP müssen für die Werte einstehen, die unsere Partei nach vorne gebracht hat. Stabile Steuer- und Wirtschaftspolitik."

Dass das bisher nicht umsetzbar gewesen sei, liege laut Rackow vor allem an den Grünen, die sich bei liberalen Vorhaben permanent querstellten. Mit ihnen sei keine Regierung zu machen. Die Grünen würden die Koalition allerdings nicht freiwillig verlassen. "Daher ist die einzige Option, dass die FDP die Koalition verlässt."

Raus aus der "Todeszone"

Aktuell steht die FDP laut Umfragen bei knapp 5 Prozent. Rackow bezeichnet das als "Todeszone". Es ist nur wenige Wochen her, dass die Partei aus dem Bayerischen Landtag geflogen war. Nicht unwahrscheinlich, dass der Abwärtstrend auch die Bundespartei in den Abgrund reißt. Ein Austritt aus der Regierung sei daher der einzige Weg, wieder aus dieser Dynamik herauszukommen: "Wir haben jetzt die Chance, durch einen mutigen Schritt zu zeigen, dass wir zu unserer Politik stehen. Ein Austritt aus der Regierung wird uns einen Teil unserer Glaubwürdigkeit zurückgeben."

Und was, wenn sie in der Regierung bleibt? Es wäre nicht das erste Mal, dass die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, nachdem sie Mitglied einer Regierungskoalition gewesen ist. 2013 wurde der Juniorpartner von der Union mehr oder weniger kannibalisiert. Für viele FDP-Mitglieder, die das miterlebt hatten, ein traumatisches Erlebnis. Auch FDP-Chef Christian Lindner berichtete in seinen Memoiren "Schattenjahre" davon, wie hart die vier Jahre in außerparlamentarischer Opposition waren und wie sehr sie ihn geprägt haben.

Warum verliert die FDP immer dann an Zustimmung, wenn sie in einer Regierungskoalition mitgestalten und die eigenen Vorhaben umsetzen kann? "Das Problem ist, dass wir eine kleine, aber überzeugte Anhängerschaft haben. Die hätten gerne die reine Lehre", erklärt FDP-Lokalpolitiker Rackow. Kompromisse mit anderen Parteien passen da nicht gut ins Bild. Andersherum sei es eben besonders wichtig für die FDP, den eigenen Werten treu zu bleiben. "Wir sind 2017 wieder in den Bundestag gekommen, weil wir glaubhaft versichert haben, dass wir es ernst meinen."

"Lieber nicht regieren als falsch regieren"

"Lieber nicht regieren als falsch regieren", dieser Satz, mit dem der FDP-Chef anschließend an die Bundestagswahl 2017 die Jamaika-Sondierungen mit CDU und Grünen platzen ließ, sei eben korrekt. Und er gelte laut Rackow nach wie vor. Der 39-Jährige wähnt den FDP-Chef tendenziell auf seiner Seite. Es gebe gute Gründe, warum Lindner sich auf einer Veranstaltung der "Rheinischen Post" am vergangenen Montag so geäußert habe, dass er zur Not aus der Regierung austrete.

Wörtlich hatte der FDP-Chef gesagt: "Es kann schon der Punkt kommen, bei dem ich sage: Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Lindner habe sich eben eine Hintertür offengelassen, die Regierung doch noch zu verlassen, sagt Parteifreund Rackow. Das kann man durchaus anders sehen. Die "Welt" titelte am vergangenen Mittwoch: "Lindner spricht sich für Verbleib in Ampelkoalition aus". Tatsächlich hatte dieser im selben Gespräch auch erklärt, dass er zu den Kompromissen der Ampel stehe und solange wie möglich den Koalitionspartnern die Treue halten werde.

Wie wahrscheinlich ist es also, dass der Parteivorstand dem Aufruf folgt und die Regierung platzen lässt?

Bisher hat sich auf bundes- und landespolitischer Ebene lediglich der thüringische FDP-Chef Thomas Kemmerich hinter die Forderungen von Rackow und seinen Mitstreitern gestellt, wie der "Spiegel" berichtete. Der FDP-Politiker aus Bad Segeberg rechnet aber damit, dass sich noch Abgeordnete aus dem Bundestag dem Aufruf anschließen werden. Aktuell sei sitzungsfreie Zeit und daher wenig Betrieb. Wenn die Abgeordneten zurück im politischen Berlin sind, würde sich das ändern.

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Experte: Austritt aus der Regierung unwahrscheinlich

Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier hält einen Austritt der FDP aus der Ampelregierung für unwahrscheinlich, wie er gegenüber unserer Redaktion erklärt. "Wenn die FDP jetzt austritt, wird man sich die Frage stellen, warum sie überhaupt in die Regierungskoalition eingetreten ist." Um das ohne Gesichtsverlust und entsprechend schlechten Wahlergebnissen zu überstehen, müsste die Partei glaubhaft erklären, warum sie nun nicht mehr regieren will. Dafür gebe es aber aktuell kein Zeitfenster.

Dass die FDP-Basis aufgrund der schlechten Umfragewerte revoltiert, kann Politikwissenschaftler Jun hingegen nachvollziehen. "Die FDP hat eine andere Politik im Wahlkampf versprochen. Davon ist aus Sicht vieler FDP-Wählerinnen und Wähler wenig in der Politik der Ampel zu finden." Generell sei eine Koalition mit den Grünen an sich schon eine Gratwanderung. "In sozio-ökonomischen Fragen sind die Differenzen sehr groß zwischen FDP und Grünen." Trotzdem hält er es durchaus für möglich, dass die beiden Parteien sich auch weiterhin auf eine gemeinsame Zusammenarbeit in der Regierung einigen können.

Über die Gesprächspartner:

  • Alexander-Georg Rackow ist Vizechef der FDP-Fraktion im Kreistag von Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. Er ist einer der Initiatoren des Aufrufes "Weckruf Freiheit!", der einen Austritt der FDP aus der Ampelkoalition fordert.
  • Uwe Jun ist Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Trier. Seine Forschungsschwerpunkte sind Parteienforschung, Vergleichende Parlamentarismusforschung, Föderalismus, Politische Kommunikation und Koalitionsforschung.

Verwendete Quellen:

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